"Teurer Weg, Büroflächen zu schaffen" Warschaus Weißer Stadion-Elefant
08.06.2012, 14:59 Uhr
Ganz schön schön, aber auch ganz schön teuer und groß: Wie das neue Warschauer Nationalstadion nach der Fußball-EM sinnvoll genutzt wird, steht immer noch nicht fest.
(Foto: picture alliance / dpa)
Vor sportlichen Großveranstaltungen wird gern über deren Vermächtnis für das Ausrichterland und seine Bevölkerung philosophiert. Wenn der Sportzirkus dann weitergezogen ist, bleiben oft nur explodierte Kosten zurück und Weiße Elefanten. Mächtige Großbauten, die nicht mehr sinnvoll genutzt werden können, weil sie vornehmlich als Prestigeobjekte konzipiert wurden. Auch das neue, mehr als 500 Millionen Euro teure Warschauer Nationalstadion, in dem heute vor 55.000 Zuschauern die Fußball-EM 2012 eröffnet wird, könnte in diese Kategorie fallen, glaubt Ian Nuttall. Der Stadionexperte war zeitweise selbst an der Entwicklung der Arena beteiligt, bis er gefeuert wurde. Mit n-tv.de sprach er über fatale Versuchungen beim Bau neuer Stadien, warum die Warschauer Arena kein polnisches Wembley ist, den negativen Einfluss der Politik und die Bedeutung eines sinnvollen Businessplans - den er in Warschau immer noch vermisst.

Der Brite Ian Nuttall zählt zu den weltweit führenden Beratern beim Bau von Sportstadien und Unterhaltungsarenen und ist Begründer von stadiumbusiness.com.
n-tv.de: Was sind die zentralen Punkte bei einem Stadionneubau, damit aus der Arena mittelfristig kein "Weißer Elefant" wird?
Ian Nuttall: Die Stadionplaner müssen der Versuchung widerstehen, sich auf die Bauphase und das Eröffnungsevent zu fokussieren. Der Fokus muss stattdessen von Anfang an auf einem Businessplan liegen, der dem Stadion für die kommenden zehn bis zwanzig Jahre eine Nutzung sichert. Das Geschäft mit einem Stadion beginnt mit der Eröffnung, nicht während der Bauphase. Deshalb raten wir den Bauherren auch immer dazu, erst dann einen Architekten zu engagieren, wenn es einen Businessplan gibt – und nicht vorher!
Welche dieser Punkte wurden in Warschau erfüllt?
Das neue Stadion in Warschau war ein Versprechen für die Bewerbung um die Fußball-EM 2012. Als die Ukraine und Polen 2007 den Zuschlag bekommen haben, hätten die polnischen Behörden bereits einen konkreten Plan für die Zeit nach der EM haben müssen. Das hatten sie nicht. Und nun versuchen sie seitdem, das irgendwie wieder aufzuholen.
Ist das eher Ausnahme oder Regel bei großen Stadionprojekten, auch im Vergleich zu den anderen sieben EM-Stadien?
Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Zusage für den Bau eines Stadions vor der Erstellung eines Businessplans gemacht wird. Dieses verdrehte Vorgehen gibt es auch in Brasilien bei den Vorbereitungen für die WM 2014. Bei den anderen EM-Stadien ist es allerdings so, dass die meisten ein Fußballteam als Hauptmieter haben. Das garantiert eine regelmäßige Nutzung und verbessert die finanzielle Lebensfähigkeit von vornherein.

Posen vor prächtiger Kulisse: Polens Sportministerin Joanna Wanka verkündete am 16. Dezember 2011 das offizielle Ende der Bauarbeiten am Nationalstadion. Eröffnet werden konnte die Arena erst am 29. Januar 2012.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Polens Sportministerin Joanna Mucha hofft, das Warschauer Nationalstadion könnte zum polnischen Wembley werden. Ist das – Stand heute - realistisch?
Das Warschauer Stadion ist wunderschön und ich bin sicher, es wird zu einer Ikone für die polnische Bevölkerung – genauso wie es Wembley für den englischen Fußball und Musikfans ist.
Kein aber?
Aber: Die Hauptunterschiede – aus geschäftlicher Sicht – sind, dass Wembley erstens von einer Tochterfirma des englischen Fußballverbandes FA betrieben wird und nicht von einer Regierungsbehörde. Zweitens, dass es langfristige Vereinbarungen mit der FA und einigen anderen Sportverbänden gibt, die eine fixe Zahl von Sportgroßereignissen im Stadion garantieren. Das ist die Basis für jeden Businessplan. Und drittens steht das Wembleystadion in London – dem größten Konzert- und Unterhaltungsmarkt der Welt.
Beworben wird das Warschauer Nationalstadion als Multifunktionsarena, nicht als Fußballstadion. Es ist heutzutage üblich, ein Fußballstadion zu bauen, um es dann hauptsächlich für andere Veranstaltungen zu nutzen?
Das Nationalstadion wurde ursprünglich als Fußballstadion geplant und sein Design erfüllt auch absolut alle Anforderungen der Uefa an ein EM-Stadion. Das Fehlen einer Heimmannschaft kann jedoch zu Problemen bei der künftigen Nutzung führen. Deshalb ist man bestrebt, die Multifunktionalität in den Vordergrund zu stellen. Aber was ist denn eigentlich eine Multifunktionsarena? Es ist letztens Endes immer noch ein riesiger Raum, der Fußballspiele, Konzerte oder andere Großereignisse benötigt, um seine Betriebskosten einzuspielen.
Auch die Nutzung als Bürokomplex wird angepriesen.
Das Warschauer Stadion bietet eine enorme Bürofläche – die bis jetzt aber noch nicht ausgestattet geschweige denn vermietet wurde. Es gibt also theoretisch eine weitere Einnahmequelle für die Zukunft. Trotzdem bleibt ein Stadion ein sehr teurer Weg, um Büroflächen zu schaffen.
Sie waren selbst an der Planung des Stadions beteiligt. Sehen Sie denn einen sinnvollen Geschäftsplan?

Kein Wembley in Warschau: Anders als in England wird Polens Fußball-Nationalmannschaft nicht alle Länderspiele im Nationalstadion austragen.
(Foto: dpa)
Ich war in den frühen Entwicklungsprozess involviert, zwischen 2007 und 2009. Als ich dazukam, gab es keinen Businessplan, keine Marktforschung und auch gar kein Verständnis dafür, welche Herausforderungen der Betrieb eines Stadions eigentlich bedeutet. Wir haben dann ein Team mit großartigen Planern und Stadionbetreibern zusammengestellt, um die Hauptprobleme anzugehen. Wir wollten zum Beispiel eine Vereinbarung zwischen dem polnischen Fußballverband und dem Stadion erreichen, damit die polnische Nationalmannschaft alle Länderspiele in Warschau austrägt. Aber es gab damals so starke Spannungen zwischen dem PZPN und den Behörden, dass es beinahe unmöglich war beide Seiten an einen Tisch zu bringen. Und als es dann zu einem Ministerwechsel kam, wurden wir alle gefeuert. Es gibt nur eine Person, die seit dem Beginn des Stadionprojektes dabei war, und das ist Janusz Kubicki, der Chefkonstrukteur. Er ist der wahre Held dieses Stadionprojektes und verdient eine Medaille dafür, dass er dabeigeblieben ist und das Gebäude trotz der politischen Schlachten fertigbekommen hat.
Welchen Einfluss hatte die Politik?
Sie hatte einen großen und vor allem negativen Einfluss, und sie wird dem Stadion auch in Zukunft Ärger bereiten. Es gab allein während der Bauphase mehr als vier verschiedene Minister. Aber keiner wollte die schwierigen Entscheidungen treffen. Alle wollten nur den Ruhm, sich mit Polens beeindruckendstem neuen Gebäude fotografieren zu lassen. Nachdem schon so viele Steuergelder ausgegeben wurden, müssen das Finanz- und das Sportministerium jetzt endlich entscheiden, wer das Stadion künftig wie betreiben soll. Und sie müssen auch akzeptieren, dass der Steuerzahler den Stadionbetrieb vielleicht noch viele Jahre subventionieren muss.
In einer dänischen Studie mit dem Titel "Strahlende Zukunft oder künftige Last" wurden die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von 75 Stadien untersucht, die zwischen 1996 und 2010 für sportliche Großereignisse erbaut oder umfassend renoviert wurden. Das Fazit: Die Formel "Wenn wir es erst gebaut haben, kommen die Leute schon" ist kein sinnvoller Geschäftsplan.
Auch der Ausblick auf die Zukunft des Warschauer Nationalstadions ist trist. Von allen acht EM-Arenen erwarten die Autoren hier, analog zu Ian Nuttall, die größten Probleme - selbst unter der Voraussetzung, dass Polens Fußball-Nationalmannschaft doch noch alle Spiele dort austragen sollte.
Ist es realistisch, dass diese Entscheidungen getroffen werden?
Das wird sehr wahrscheinlich nach der EM passieren, weil es dann gegenseitige Schuldzuweisungen und große Veränderungen geben dürfte. Dann nämlich, wenn die wahren Kosten für den Bau, den Betrieb und die Instandhaltung bekannt werden.
Welche Lehren lassen sich aus dem Stadionbau in Warschau ziehen?
Dass es sehr einfach ist, Geld in Beton und Stahl zu investieren. Dass die wahren Kosten ohne Marktforschung, einen Geschäftsplan und Strategien für die Nutzung bis zur Eröffnung des Stadions aber unbekannt bleiben.
Wird das Nationalstadion, nach gescheiterten Stadionprojekten wie in Kapstadt oder London, der nächste Weiße Elefant?
Das hängt davon ab, wie man Scheitern definiert und welche Erwartungen man hat. Das Pekinger Vogelnest zum Beispiel hat enorm viel Geld gekostet, wird aber seit 2008 praktisch nicht mehr genutzt. Trotzdem würden die chinesischen Behörden wahrscheinlich argumentieren, dass das Stadion den Milliardenpreis angesichts des Werbeeffekts für China wert war. Immerhin war das Vogelnest damals Chinas ultimatives Werbesymbol.
Aber im Gegensatz zu China hat Polen als Demokratie eine gewisse Verpflichtung, keine Steuergelder für reine Prestigeprojekte auszugeben.
Die polnische Wirtschaft wächst als eine der wenigen in Europa gut und das Land – insbesondere Warschau – hat eine lebhafte, dynamische Bevölkerung die mit Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen noch unterversorgt ist. Auch ohne eine feste Fußballmannschaft könnte das Stadion diese Nachfrage für Unterhaltungsspektakel, Konzerte und andere spezielle Events erfüllen. Und es gibt auch das beim Bau von Formel-1-Strecken gern angeführte Argument, dass die Kosten für das Stadion durch globale Werbung und Markenbildung für Polen wieder eingespielt werden, durch die Millionen Menschen, die sich die Spiele aus Warschau ansehen. Eine derartige Zurschaustellung kann zu signifikanten Steigerungen beim Tourismus, ausländischen Direktinvestitionen und bei der Migration führen.
Könnte …
Die Herausforderung für das Management besteht darin, genug Veranstaltungen zu finden, um die Betriebskosten zu decken - für ein Stadion, das wunderschön ist, aber nunmal auch sehr groß.
Mit Ian Nuttall sprach Christoph Wolf
Quelle: ntv.de