Bellingham, Boss of England Der unaufhaltsame Aufstieg des Teenie-Königs
22.11.2022, 07:07 Uhr
Bellingham ist Englands neuer Anführer.
(Foto: AP)
Ein Teenager wird zum neuen König von England gekrönt. Auf dem Fußballplatz zumindest. Jude Bellingham regiert das WM-Auftaktspiel der Three Lions gegen den Iran und ist vorne wie hinten schon unersetzlich. Dieses Turnier könnte den 19-Jährigen endgültig zum Weltstar machen - und Begehrlichkeiten wecken.
Achtung, liebe Leserinnen und Leser, dies wird ein rein sportlicher Bericht aus Katar. Das ist durchaus ein Novum dieser Tage, da darf das ruhig mal vorab erwähnt werden. Und der gestrige Tag bot ja zum ersten Mal wunderschönen Fußball-Sport in Katar. So ganz ohne Ironie. Hauptverantwortlicher dafür ist ausgerechnet ein Teenager. 19 Jahre ist Jude Bellingham jung. Da tingeln die meisten Heranwachsenden in Deutschland gerade ungelenk zur Prüfung der Tischlerlehre, völlig verkatert zur Uni-Mensa oder viel zu aufgeregt zum ersten Date. Aber Bellingham schießt nun nicht mehr nur Tore für Borussia Dortmund - sondern er regiert in diesem Alter bereits das Spiel des Vize-Europameisters beim größten Turnier der Welt.
God Save the King. So heißt die Nationalhymne Englands nun wieder, seitdem die Queen verstorben ist. Mason Mount hat das vor der Partie gegen den Iran noch nicht so ganz drauf und überzeugt mit einer treuen Darbietung von "God Save the Queen". Mit Bellingham wird Mounts Fauxpas zwar wenig zu tun gehabt haben, doch dieses eine Spiel macht bereits deutlich, wer der wahre neue König Englands ist. Auf dem Fußballfeld zumindest. Die Fans wissen Bescheid und stimmen im Khalifa Stadium den Beatles-Song "Hey Jude" an.
Das schöne Wort Dosenöffner wird in der Fußballfachsprache gerne verwendet, wenn die sogenannte Pille lange nicht in den sogenannten Kasten will, dann aber doch ein Tor fällt und die eigene Mannschaft sich danach in einen sogenannten Rausch spielt. Bei der 6:2-Demontage gelingt Bellingham dieser wichtige Küchenutensil-Treffer - und anschließend flutscht es bei den Three Lions. Schon beim BVB überzeugt der Teenager dieses Jahr als Torjäger mit neun Toren und drei Vorlagen in 22 Pflichtspielen, diesmal steigt er genau im richtigen Moment vor seinem Gegenspieler hoch und hebt den Ball gefühlvoll mit dem Kopf ins lange Toreck. Sowas können nicht viele. Mit 19 sowieso nicht. Und dann noch bei einer Weltmeisterschaft. Im allerersten WM-Spiel. Ein königliches Premierentor für Bellingham im Nationaldress, mit dem er zum zweitjüngsten englischen WM-Torschützen (nach Michael Owen 1998) aufsteigt.
"Wirklich stolzer Moment"
"Ich habe gesagt, dass ich in diesem Jahr mehr Tore für Dortmund und England schießen will", sagt ein glücklicher Youngster anschließend der BBC: "Ein wirklich stolzer Moment für mich." England-Legende Alan Shearer weiß nach der Partie gar nicht mehr wohin mit seinem Lob, weil Bellingham nicht nur super performt habe, "sondern auch sein Verhalten, wie er redet, ist fantastisch." Dann spricht der ehemalige Stürmer aber auch einen Satz, den die BVB-Fans gar nicht gerne hören, obwohl in ihm viel Wahrheit liegt: "Es ist nur eine Frage der Zeit, bevor er zu einem großen Klub wie Real Madrid oder Liverpool geht."
Gleich zu Beginn der Partie ist der Jungstar bemüht, das Spiel an sich zu reißen. Er fordert und erhält viele Bälle, beruhigt seine Mitspieler, reguliert die Geschwindigkeit und den Fluss des englischen Spiels. 40 Pässe (die gesamte iranische Mannschaft hat nur sechs mehr zu diesem Zeitpunkt) spielt der neue König in der ersten Hälfte, 100 Prozent davon kommen an.
Bellingham gibt lautstark Kommandos, zeigt an, wo es langgeht. Andere mögen noch mehr Tore schießen und noch helleres Rampenlicht genießen, aber er regiert. Das weiß der Jungstar und all die Topstars um ihn herum. Immer anspielbar, zieht er in seinem 17. Länderspiel mit beeindruckender Gelassenheit, Kontrolle und Klasse die Fäden im Mittelfeld. Dann übernimmt er, als Harry Maguire in der zweiten Hälfte angeschlagen den Platz verlassen muss, sogar noch den Platz in der Innenverteidigung, bis Eric Dier ins Spiel kommt.
Ernster Titelfavorit
Immer wieder spielt Bellingham kluge Pässe aus der Schaltzentrale oder er zerlegt die iranische Defensive mit dynamischen Läufen. So geschehen beim wunderschönen 3:0. Die Three Lions zeigen bei diesem Tor ihre ganze Offensivpower. Bellingham ist auch durch ein Foul nicht zu stoppen, tankt sich durch das komplette Mittelfeld und legt gerade noch so, aber dennoch präzise auf Harry Kane ab. Der Kapitän lässt seinen Gegenspieler mit einer Täuschung aussteigen, passt hart in die Mitte, wo Raheem Sterling herangerauscht kommt und trifft.
Die Three Lions schießen sich beim Kantersieg den Nations-League-Frust von der Seele, senden gleich mal ein Zeichen der Stärke an die anderen Top-Mannschaften und sind in dieser Form, wenn sie denn gehalten wird, und mit diesem starken Bellingham ein ernster Titelfavorit. Mit der Star-Offensive um Kane ist der BVB-Profi einer der Grundpfeiler für eine erfolgreiche England-Elf. Er gibt dem Stoßstürmer und seinen Wirbelwinden auf den Außenbahnen die nötige Sicherheit und Rückendeckung und wird im Nationalteam von Spiel zu Spiel wichtiger.
Jude Bellingham, I. regiert das Spiel der Three Lions mit eisernem Fuß, grandiosem Spielverständnis und einem ausgeprägten Torinstinkt. Sein erster WM-Treffer wird nicht sein letzter bleiben. Dem neuen König von England steht eine Weltkarriere bevor.
Quelle: ntv.de