"Was für ein Spiel! Herzrasen!" Aue feiert sein Dortmund-Wunder
16.04.2013, 15:42 Uhr
Fassungslos vor Glück: Aue-Coach Karsten Baumann ließ der Ausgleich verzückt zurück.
(Foto: dpa)
Zweitligist Erzgebirge Aue zeigt Kämpferqualitäten und holt trotz doppelter Unterzahl gegen Aufstiegsaspirant 1. FC Kaiserslautern einen 0:1-Rückstand auf. Der Ausgleich ist ein Produkt des Willens und des Zufalls. Doch der Preis für Aue ist hoch.
Als neun Auer dem Aufstiegskandidaten 1. FC Kaiserslautern einen Punkt klauten und Erinnerungen an das Dortmunder Wunder in der Champions League weckten, wackelte das 85 Jahre alte Erzgebirgsstadion in seinen Grundfesten. Von diesem 1:1 werden sie im Erzgebirge noch in vielen Jahren sprechen, da ist sich Vereins-Ikone Holger Erler sicher. "Dieses Erlebnis war für Aue wie für Dortmund das Spiel gegen Malaga", sagte der 63-Jährige: "Im ganzen Stadion ging die Post ab, um mich herum hatten viele Leute Tränen in den Augen. Und ich bin richtig stolz auf meinen Verein."
Erler spielte einst 20 Jahre für Wismut Aue, ist mit 399 Oberliga-Einsätzen Rekordspieler und gehörte in den vergangenen 20 Jahren dem Trainerstab von Erzgebirge an, "aber so etwas habe ich noch nicht erlebt. Das war der absolute Wahnsinn". Torhüter Martin Männel schrieb noch im Stadion via Facebook völlig berauscht: "Was für ein Spiel! Herzrasen!"
Sieg der Moral und des Charakters
In den letzten sieben Minuten und der Nachspielzeit, in denen neun Auer nach dem Ausgleich von Kevin Schlitte den gefühlten Sieg der Moral und des Charakters verteidigten, hielt es fast keinen der 8300 Zuschauer mehr auf seinen Sitzen. "Ich hatte schon noch Angst", gestand Erler: "Aber diese Truppe hat eine unglaubliche Moral." Doch der Preis für den völlig unverhofften Punkt, der den Vorsprung auf den Relegationsplatz auf vier Zähler anwachsen ließ, war hoch.
"Ich werde einen Antrag stellen, dass ich eine Sondergenehmigung bekomme", sagte Trainer Karsten Baumann (43), als die kleine Ernüchterung eingetreten war. Die Comeback-Pläne des in 261 Bundesliga-Einsätzen als harter Abwehrspieler erprobten Baumann waren zwar ein Scherz. Sie haben aber einen ernsten Hintergrund: "Mir gehen die Verteidiger aus."
Im nächsten Auswärtsspiel bei Eintracht Braunschweig, für das die Sachsen ohnehin nur Gäste bei der Aufstiegsfeier sein sollen, fallen in Thomas Paulus (5. Gelbe Karte), René Klingbeil (Rot/66.) und Kevin Pezzoni (Gelb-Rot/76.) gleich drei potenzielle Innenverteidiger aus. "Zur Not spiele ich auch noch mit", meinte Erler schmunzelnd: "Wir müssen als Verein aus einer 17.000-Einwohner-Stadt ohnehin immer alle Kräfte mobilisieren. Doch wenn man nach einem solchen Erlebnis noch absteigen würden, wäre es doppelt schlimm."
Viel Willen, ein wenig Zufall
Erler ist vor den letzten fünf Spielen dennoch optimistisch, und auch bei Torschütze Schlitte überwiegt die Euphorie die Skepsis. "Bei dem Charakter, den die Mannschaft gezeigt hat, muss niemandem bange sein", versprach er.
Die Moral war es schon, die die Auer am Montag zum Erfolg trieb. Kraft hatten die Sachsen beim Ausgleich schon keine mehr, "aber dafür gibts ja Standards", meinte der bundesligaerfahrene Paulus, der nach einem Freistoß von Fabian Müller den Ball per Kopf zu Schlitte verlängerte.
Das Tor war übrigens auch ein Produkt des Willens - und des Zufalls. "Einstudiert war die Variante jedenfalls nicht", sagte Freistoßschütze Müller schmunzelnd. Kein Wunder. Der eigentlich für Standards zugeteilte Jan Hochscheidt war nämlich schon ausgewechselt, weil er ebenfalls kurz vor einem Platzverweis stand. Doch das alles hinderte neun Auer am Montag nicht, sich mit einem "Dortmund-Wunder" für immer ins Gedächtnis der Erzgebirge-Fans zu brennen.
Quelle: ntv.de, sid