"Leck mich anne Büx!" Die ekstatische Nacht des BVB
10.04.2013, 13:21 Uhr
Es geht darum, dass auf dem Platz immer wieder etwas passiert, von dem man geglaubt hat, dass es niemals passieren werde: Die Herren Hummels, Weidenfeller und Schmelzer dürften das genauso sehen.
(Foto: dpa)
Mit der Brechstange und viel Glück erreichen die Fußballer der Borussia aus Dortmund das Halbfinale der Königsklasse. Ein gutes Spiel war es nicht, aber wen interessiert das? Nach einer Nacht, die zeigt, warum sie diesen Sport erfunden haben.
Tore: 0:1 Joaquin (25.), 1:1 Lewandowski (40.), 1:2 Eliseu (82.), 2:2 Reus (90.+1), 3:2 Felipe Santana (90.+2)
Borussia Dortmund: Weidenfeller - Piszczek, Subotic, Felipe Santana, Schmelzer - Gündogan (86. Hummels), Sven Bender (72. Sahin) - Blaszczykowski (72. Schieber), Götze, Reus - Lewandowski
FC Malaga: Willy - Gamez, Demichelis, Sanchez, Antunes - Toulalan, Camacho - Joaquin (87. Portillo), Duda (74. Eliseu) - Isco, Baptista (83. Santa Cruz)
Referee: Thomson Zuschauer: 65.829 (av)
Schüsse: 15:7 Ecken: 7:2 Ballbes.: 59:41
Analyse? Was gibt es da noch zu besprechen? Die Fußballer von Bor ussia Dortmund waren raus aus der Champions League. Nach dem 0:0 im Hinspiel gingen die Gäste vom FC Málaga vor 65.829 Zuschauern im ausverkauften Westfalenstadion acht Minuten vor dem Ende der Partie in Führung. Schluss, aus der Traum, Endstation Viertelfinale. Es hat halt nicht sein sollen, die Spanier waren cleverer, die Borussen zu hektisch. "Wir waren schon tot", sagte Klubchef Hans-Joachim Watzke hinterher.
Warum Borussia Dortmund am Ende und wider alle Wahrscheinlichkeit nun doch im Halbfinale der Königklasse steht, weiß auch der niederländische Ex-Profi Erik Meijer nicht. Aber er brachte es in Sachen Analyse als Experte im Bezahlsender Sky auf den Punkt: "Der BVB hat mit einer Idee, die 1846 geboren wurde, das Spiel gedreht: lange Bälle auf lange Kerls." Mit Gewalt, mit der guten alten Brechstange. Und ganz viel Glück. So ist sich auch Trainer Jürgen Klopp sicher, dass die Dortmunder diese Champions League nie gewinnen, wenn sie so spielen wie gegen Málaga. "Meine Mannschaft war nervös. Zu viele Fehler. Zu wenig Bewegung." Moderner Hochgeschwindigkeitsfußball Dortmunder Prägung sieht anders aus. Aber darum geht es nicht.
"Freunde, ich kann nicht mehr"
Es geht auch nicht darum, dass die Borussen tatsächlich eins ihrer schwächeren, wenn nicht gar das schwächste Spiel in dieser Königsklassensaison zeigten. Auch nicht darum, dass in den letzten Minuten dieser dramatischen Partie die Schiedsrichter nur noc h körperlich anwesend waren. Bei den Treffern zum 2:1 für Málaga und zum 3:2 für den BVB standen die Schützen Eliseu und Felipe Santana klar im Abseits. Es ist auch müßig darüber zu spekulieren, warum eine Mannschaft wie der FC Málaga, die anderthalb Stunden souverän in der Abwehr steht, plötzlich so zusammenbricht. Oder der Frage nachzugehen, ob die Dortmunder nach all den Fehlpässen und lang nach vorne geschlagenen Bällen tatsächlich noch daran geglaubt haben, sie könnten die Partie drehen.
Es geht um die Faszination des Fußballs. Um seine Wildheit, seine Emotionalität, seine Unberechenbarkeit. In den beiden Partien gegen Málaga hatte sich die junge Dortmunder Mannschaft etliche Chancen erspielt, aber bis zur 91. Minute im Rückspiel nur einmal den Ball ins Tor des Gegners geschossen. Erst als die Spieler alles, was sie je von ihrem Trainer gelernt hatten, über den Haufen warfen, trafen Marco Reus und eben besagter Santana. Es geht darum, dass auf dem Platz immer wieder etwas passiert, von dem man geglaubt hat, dass es niemals passieren werde. Oder wie es Boris Rupert, zur Extase neigender Kommentator des BVB-Radios im Internet, nach dem Siegtreffer zur Frage ob Abseits oder nicht brüllte: "Weißte watt? Leck mich anne Büx! Freunde, ich kann nicht mehr."
Es geht darum, dass etwas geschieht, was sich jeder Analyse entzieht. Wie im Jahr 1999, als Manchester United im Finale der Champions League gegen den FC Bayern in der Nachspielzeit binnen 69 Sekunden aus einem 0:1 ein 2:1 machte. Auf der Insel und in München sprechen sie heute noch davon. Und in Dortmund werden sie sich über Generationen an diese wundersame Nacht erinnern. Nicht, weil es ein gutes Fußballspiel war. Auch nicht in erster Linie, weil sich der BVB nun zu den besten vier Mannschaften Europas zählen darf. Das weiß auch Jürgen Klopp. "Die großen Spiele bleiben nicht in Erinnerung, weil sie fantastisch waren - sondern eng und dramatisch." Weil sie zeigen, warum sie in England diesen Sport erfunden haben. Damals, Mitte des 19. Jahrhunderts. Was gibt es da noch zu besprechen?
Quelle: ntv.de