Meilenweit von der Bestform entfernt Brasilien träumt von alter Größe
11.08.2011, 12:30 Uhr
Ernüchtert in Stuttgart: Mano Menezes und sein Superstar Neymar.
(Foto: dapd)
Erstmals seit 1993 verliert Brasilien ein Länderspiel gegen Deutschland. Die Selecao enttäuscht beim 2:3 und ist mit dem Ergebnis noch gut bedient. Der Druck auf Nationaltrainer Mano Menezes wächst, denn die Presse findet: "Brasilien hat verlernt, die Großen des Weltfußballs zu besiegen."
Es stand zwar Brasilien drauf, aber es war nicht Brasilien drin: Die brasilianische Fußball-Nationalmannschaft spielte zwar in ihren traditionellen kanariengelben Trikots. Doch die Erben Peles waren beim 2:3 (0:0) gegen Deutschland in Stuttgart nur ein Schatten ihrer selbst. "Brasilien hat verlernt, die Großen des Weltfußballs zu besiegen", schrieb "Folha" de Sao Paulo, nachdem die Selecao zuletzt bei der Copa America im vergangenen Monat im Viertelfinale schmählich gescheitert war und nach den Niederlagen gegen Argentinien sowie Frankreich (je 0:1) erneut als Verlierer den Platz verließ.
Weniger als drei Jahre vor der Heim-Weltmeisterschaft 2014 sind die Ballzauberer vom Zuckerhut meilenweit von ihrer Bestform entfernt. Der Druck auf Nationaltrainer Mano Menezes, der am Mittwoch genau 365 Tage im Amt war, wächst. "Die Fans wollen 2014, dass wir den Titel zu Hause holen und mit ihnen feiern. Sie wollen aber nicht hören, dass sie Geduld haben müssen, denn Fußball sind Ergebnisse. Und wenn diese nicht stimmen, wächst der Druck", konstatierte Torwart Julio Cesar von Inter Mailand.
Tolle Künstler, schlechte Mannschaft
Verbands-Chef Ricardo Teixeira weiß, dass die 180 Millionen fußballverrückten Brasilianer in der Heimat allmählich nervös werden. Weil der fünfmalige WM-Champion auch in Stuttgart zwar mit tollen Individualisten wie Neymar, Robinho oder Alexandre Pato bestückt war, aber als Mannschaft gegen den WM-Dritten kein Land sah. Und weil Teixeira mit Korruptionsskandalen in Serie selbst für schlechte Stimmung sorgt.
CBF-Präsident Teixeira stärkte deshalb dem umstrittenen Menezes demonstrativ den Rücken. "Die Arbeit wird in der gleichen Form fortgesetzt. Die Schwierigkeiten haben wir schon erwartet", sagte der CBF-Präsident. Derweil wird in den brasilianischen Medien bereits über Ex-Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari (Weltmeistercoach von 2002) oder Muricy Ramalho als mögliche Nachfolger von Menezes diskutiert. Teixeira fast trotzig: "Die CBF wird weiter schwere Gegner für die Selecao aussuchen. Das Projekt wird nicht geändert. Mano möge die Erkenntnisse gewinnen, die er braucht." Der Trainer ergänzte ganz fatalistisch: "Im Fußball gibt es keine Wunder."
29 Neulinge in zwölf Monaten
Menezes, Nachfolger des ehemaligen Stuttgarter Bundesliga-Profis Dunga, hat in den letzten zwölf Monaten nicht weniger als 60 Spieler, darunter 29 ohne vorherige Länderspielerfahrung, getestet. In der Mercedes-Benz-Arena wurde deutlich, dass der einstige Fußball-Lehrmeister derzeit wieder in der Ausbildung steckt.
Der personelle Umbruch geht selbst in Brasilien mit dem schier unerschöpflichen Reservoir an Talenten nicht von heute auf morgen. Auch der als Jahrhunderttalent gepriesene Neymar vom Pele-Klub FC Santos braucht noch Zeit. Der Teenager, der angeblich für 45 Millionen Euro im Winter zu Real Madrid wechseln soll, stand trotz seines Tores in der Nachspielzeit (90.+2) in der Schwaben-Metropole eindeutig im Schatten des gleichaltrigen Dortmunders Mario Götze. Am auffallendsten bei Neymar: sein Mohikaner-Haarschnitt.
Deutschland hat indes für Menezes Vorbildcharakter: "Seit ich die Selecao vor einem Jahr übernommen habe, war es der erste Gegner, der besser als unser Team gespielt hat. Deutschland muss uns als Parameter dienen. Deshalb machen wir die Testspiele auf diesem Niveau. Um zu wissen, bis wohin wir gehen können." Die DFB-Auswahl habe gegenüber der WM 2010 noch an Qualität gewonnen.
Immer wieder blöde Fehler
Eklatant waren aufseiten der Brasilianer auch erneut die individuellen Fehler. So von Andre Santos vor dem Treffer zum 1:3 gegen Bastian Schweinsteiger. Menezes: "Dies müssen wir unbedingt abstellen." Wie schon bei der Copa America in Argentinien haben Neymar und Co. außerdem Probleme, ihr Hochgeschwindigkeits-Offensivspiel aufzuziehen. "Wir müssen uns sehr anstrengen", analysierte der Coach, "die Deutschen kamen fast mechanisch nach vorne."
In 13 Länderspielen unter Menezes gab es nur sechs Siege, vier Unentschieden und drei Niederlagen. Eine Bilanz, die die Anhänger der Selecao nicht gewohnt sind. Und der Nationaltrainer will in diesem Jahr noch gegen Welt- und Europameister Spanien sowie den viermaligen WM-Titelträger Italien spielen. Mit Tests gegen die Besten der Besten will er sein Heimatland wieder zur alter Stärke führen. Damit künftig auch wieder Brasilien drin ist, wenn Brasilien drauf steht.
Quelle: ntv.de, Ralph Durry und Heiner Gerhardts, sid