Fußball

WM-Favorit statt Verliererteam Julian Nagelsmanns Hochrisikoplan geht voll auf

Der Bundestrainer erklärt, der DFB-Kapitän hört zu.

Der Bundestrainer erklärt, der DFB-Kapitän hört zu.

(Foto: picture alliance / M.i.S.)

Wie ausgewechselt wirkt die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Vergleich zum vergangenen November. Daran hat Bundestrainer Julian Nagelsmann großen Anteil. Und doch steht er vor einer schwierigen Aufgabe.

Da steht sie nun, die einzige kleine Sorge von Bundestrainer Julian Nagelsmann. Und nach der 7:0-Gala gegen Bosnien-Herzegowina haben Joshua Kimmich und sein Knöchel gleich mehrere gute Nachrichten parat. Es gibt nur ein Problem: Der DFB-Kapitän ist kaum zu verstehen. Das liegt nicht daran, dass er so undeutlich spricht, sondern eher daran, dass jedes Mal, wenn sich die Tür zur Kabine der deutschen Fußball-Nationalmannschaft öffnet, laute Musik in den kleinen Raum davor dringt.

Seine wichtigsten Botschaften dringen aber auch durch die Bässe: Wie schlimm ist es denn nun mit der Verletzung, Herr Kimmich? "Ist nichts", schließt der Bayern-Star lachend seinen Vortrag. Zuvor hat er das gemacht, was ein Kapitän nach einem 7:0-Kantersieg machen sollte: loben, Euphorie bremsen und motivieren. Was die Weltmeisterschaft in anderthalb Jahren angeht, sei Hoffnung "absolut berechtigt", lobt Kimmich. Aber, Vorsicht: "Trotzdem ist es bis zur WM 2026 noch ein weiter Weg." Es folgt eine Mischung aus Zuversicht und Motivation: "Jeder Sieg tut uns gut, auch gegen Ungarn, wo es vermeintlich um nichts mehr geht, wollen wir nachlegen und zeigen, dass wir gierig sind."

All das dürfte den Bundestrainer erleichtern und gefallen, wie auch die Sätze, die Kimmich danach sagt. "Man merkt, dass wir nicht so abhängig vom Personal sind", erklärt er. Mit Blick auf die kommende Weltmeisterschaft wird es philosophisch. "Das Turnier beginnt nicht erst, wenn das Turnier beginnt", sagt Kimmich, "sondern schon in der Vorbereitung." Da hat er einen Punkt. Es ist immer besser, ungeschlagen in eine Endrunde zu gehen, das zeigten zuletzt die erfolgreichen Beispiele Argentinien (WM 2022) und Italien (EM 2021). Und so hat die kommende WM in den USA, Mexiko und Kanada auch schon an diesem kalten Samstagabend im deutschen Freiburg begonnen, gegen Bosnien-Herzegowina.

"Es sind alle da"

Für Bundestrainer Nagelsmann sind das allesamt gute Nachrichten - und er kann froh sein, dass die WM 2026 nicht schon vor einem Jahr angefangen hat. Damals, im November 2023, war es noch die Vorbereitung auf die Heim-Europameisterschaft, die dem Fußball-Land große Sorgen bereitet hat. Schließlich verlor die DFB-Elf nach einem grausigen Länderspiel auch die letzten Spiele im vorherigen November - erst 2:3 in Berlin gegen die Türkei, dann 0:2 bei den Österreichern in Wien. Schlimmer als die Ergebnisse war die Spielweise: lustlos, uninspiriert und pomadig. Der Bundestrainer ging danach voll ins Risiko, veränderte radikal: Plan, Personal, Idee.

Nun, zwölf Monate später, ist alles anders. Am Abend endet gegen Ungarn (20.45 Uhr/ZDF und im ntv.de-Liveticker) ein erfolgreiches Länderspieljahr. Eine einzige folgenschwere Niederlage gab es (bislang) - das 1:2 im EM-Viertelfinale gegen Spanien. Was sich durch den Aufbruch bei den März-Länderspielen geändert hat, zeigte der Auftritt gegen Bosnien-Herzegowina. Nur der Schlusspfiff des Schiedsrichters stoppte das DFB-Monster beim Toreschießen. Sieben Stück waren es am Ende, fast alle einzigartig in der Entstehung und ähnlich sehenswert. Es gab eigentlich nichts zu kritisieren: Das Dreiergespann um Kai Havertz, Jamal Musiala und Florian Wirtz zauberte und traf, die Abwehr leistete sich keine Aussetzer, selbst die Einwechselspieler sorgten für keinen Bruch.

Nur, wo kommt plötzlich diese ungeheuerliche Gier her? Hört man den Spielern zu, fallen oft die Wörter "Freude" und "Spaß". Bundestrainer Nagelsmann selbst hatte zu Beginn der Länderspielreise darauf keine richtige Antwort gefunden. Statt zu analysieren, freute er sich über den neuen Ist-Zustand. "Es sind alle da, obwohl sie angeschlagen sind", sagte Nagelsmann. Es sei natürlich völlig hypothetisch, "aber vor einem Jahr hätten bestimmt einige angerufen und gesagt: 'Ich habe meine Problemchen, ich komme nicht, ich brauche meine Kraft für den Verein'".

Und da schließt sich der Kreis zu Kapitän Kimmich. Irgendwann wird vielleicht mal ein Fußball-Lexikon erscheinen, in dem die Begriffe "Einsatzfreude" und "Motivation" mit dem Bayern-Spieler bebildert sind. Kimmich will immer spielen und, viel wichtiger, Kimmich will auch immer gewinnen. Egal, um was es geht. Das zeigte sich auch wieder in Freiburg: Der Kapitän verletzte sich gegen Bosnien-Herzegowina am Knöchel. Ausgewechselt wurde er aber nicht, weil die Verletzung so schwer war, sondern auch um ihn vor sich selbst zu schützen.

Ein schwieriges Jahr

Zwar kann Nagelsmann nicht klonen, aber nach diesem Länderspieljahr hat er nicht nur einen Kimmich zur Verfügung, sondern mindestens zehn weitere. Denn "Hunger" und "Gier" sind in diesem DFB-Team die großen Stichworte. Die DFB-Stars kommen, obwohl sie eigentlich Besseres zu tun hätten. Der November ist normalerweise der Auftakt in die wichtige Klub-Phase bis Weihnachten. Die Länderspielpause wäre eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um für den Jahresendspurt nochmal Kraft zu tanken.

Hinzu kommt: Der Kapitän hat es selbst gesagt: Tatsächlich hat man beim Zuschauen selten das Gefühl, dass es auf einzelne Köpfe ankommt - mal vom Zauberertrio Havertz, Musiala und Wirtz abgesehen. Im Tor wechseln sich (noch) Oliver Baumann und Alexander Nübel ab. Während sich im Oktober mit Aleksandar Pavlovic und Angelo Stiller die Zukunft auf der Doppelsechs präsentierte, zeigten nun Robert Andrich und Pascal Groß, dass die Gegenwart doch auch ganz okay ist.

Das lässt sich für alle weiteren Mannschaftsteile durchdeklinieren. Im Sturmzentrum treffen wahlweise Niclas Füllkrug, Tim Kleindienst oder Deniz Undav. Insgesamt umfasst der Schattenkader von Bundestrainer Nagelsmann 30 bis 35 Spieler. Viele von ihnen werden auch im kommenden Länderspieljahr zum Einsatz kommen, schließlich ächzt die Fußballwelt unter stetiger Belastung. Auch die Nationalelf: Am Freitag wird der Gegner für das Nations-League-Viertelfinale im kommenden März ausgelost. Möglicherweise wartet dann im Sommer das Final-Four-Turnier im Sommer - plus die neuerlich aufgeblähte Klub-Weltmeisterschaft.

Nagelsmann steht 2025 deshalb vor einer Gratwanderung. Noch immer zehrt das DFB-Team von der Euphorie der Heim-Europameisterschaft. Die Mission der beiden November-Länderspiele ist es, diese auch ins kommende Jahr herüberzuretten. Denn dort (mal von der Nations League abgesehen) wartet kein Turnier, das die Fans für die Nagelsmannschaft begeistern kann. Stattdessen folgt mit der WM-Quali der wenig glamouröse Nationalelf-Alltag.

Und für den Bundestrainer die Aufgabe, den Fußball weiterzuentwickeln, ohne zu viel zu verändern. "Wir haben ehrlich gesagt keine große Zeittoleranz, viel liegenzulassen", sagte Nagelsmann vor dem Ungarnspiel. "Wir wollen immer zu 100 Prozent gewinnen, aus schlichtem Eigeninteresse, besser zu werden." Es sind Sätze, die auch von Kapitän Kimmich hätten stammen können.

Quelle: ntv.de

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