Fußball

Nagelsmanns große Erleichterung Beim DFB-Team hat sich Grundsätzliches geändert

Neues Trikot, neues Glück.

Neues Trikot, neues Glück.

(Foto: picture alliance/dpa)

Für die beiden ersten Länderspiele des Jahres wagt Bundestrainer Julian Nagelsmann einiges. Er wird belohnt: Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gewinnt beide Partien. Nicht nur das, sie kreiert auch Vorfreude auf die anstehende Heim-EM.

Erleichterung kann sich auf viele Arten zeigen. Manchmal offensichtlich, manchmal versteckt. Wer alle Varianten einmal erleben will, der hatte am Dienstagabend im Keller des Frankfurter Stadions beste Chancen. Es liegt ein Flimmern in der Luft, eine Aufregung, eine Redseligkeit. Ständig hallt ein lautes Ploppen durch die Katakomben, wenn gerade zwei Spieler zum Handshake eingeschlagen haben. Menschen, auf deren Kleidung ein DFB-Logo prangt, haben gute Laune.

In dem Gewusel sind aber auch die Protagonisten des Abends unterwegs. Da ist Thomas Müller, der auf Müller-Art eine Reporterfrage zu der Torhymne "Major Tom" abwimmelt. DFB-Neuling Maxi Mittelstädt plauscht mit den anwesenden Journalistinnen und Journalisten, İlkay Gündoğan mit ehemaligen Kollegen aus England. Hinter den DFB-Aufstellern huscht Bundestrainer Julian Nagelsmann herum und herzt den schon umgezogenen Florian Wirtz.

All das sind Indizien: Beim DFB-Team hat sich vorerst etwas Grundlegendes geändert. Müller sagte es selbst: Sie hatten bei der Nationalmannschaft schon häufiger Spaß - nur bis eben die Spiele kommen. Diesmal ist es anders, das ist im Trubel zwischen den ganzen Menschen spürbar. Die Länderspielreise war ein Erfolg: erst mit dem 2:0-Sieg in Lyon gegen Frankreich, nun mit dem 2:1 über die Niederlande.

Von "Workern" und "Zauberern"

Denn es hat sich etwas radikal geändert. Plötzlich gibt es eine klare Idee, eine gemeinsame Vision davon, wie die DFB-Elf erfolgreich sein kann. Bundestrainer Nagelsmann hat schon jetzt Bemerkenswertes geschafft. Nicht nur mit der Tatsache, dass rechtzeitig vor der Europameisterschaft im eigenen Land eine Aufbruchstimmung aufkeimt, sondern auch mit der Art und Weise, wie er das erreicht hat.

Nagelsmann legte ein klares Konzept für seinen Kader, für seine Spielidee vor. Dafür brauchte es eine neue Hierarchie: Er überzeugte Toni Kroos, den Dirigenten von Real Madrid, vom DFB-Comeback. Er läutete das Ende der Nibelungentreue ein, die das DFB-Team jahrelang begleitete: Niemand sollte ein EM-Ticket bekommen, nur weil schon einmal sein Name auf einem Trikot gestanden hatte.

Er ging stattdessen wie bei einem Hollywoodfilm vor: Der Bundestrainer besetzte feste Rollen. Die "Worker" sollen die Defensivarbeit absolvieren, die "Zauberer" um Wirtz und Jamal Musiala für besondere Momente sorgen. Sein neuer Kader umfasst 13 Stammkräfte und zehn Herausforderer. Wer nicht in die Rollen passt oder damit nicht klarkommt, der wird dann eben nicht gecastet.

Kimmichs neue Rolle

Dabei war das ganze nicht ohne Risiko. Plötzlich sind verdiente Stammkräfte wie Mats Hummels und Leon Goretzka nicht dabei. Nagelsmann traute sich, das Mittelfeld des DFB-Teams neu zu ordnen. Mit Kroos' Rückkehr rückte Joshua Kimmich auf die Rechtsverteidigerposition. Die vermeintliche Degradierung beflügelt den Bayern-Star. In Lyon stoppt er Kylian Mbappé, in Frankfurt gestaltet er den Spielaufbau mit. Und er nimmt die neue Rolle an: Gegen die Niederlande war er in der 79. Minute ausgewechselt worden, nach Abpfiff rannte er trotzdem jubelnd aufs Feld.

Und doch ist es nicht das einzige Risiko, verdiente Spieler auszusortieren. Wer nach Leistung geht, kommt nicht umhin, die formstärksten Spieler zu nominieren - auch wenn sie keine internationale Erfahrung haben. Das bedeutet: Diesmal war ein Quartett vom VfB Stuttgart dabei. Der Mut zahlte sich aus. Mittelstädt machte seine Sache überraschend gut, die Einwechslung von Chris Führich belebte spürbar das Spiel.

All das zeichnete sich in den vergangenen Monaten nicht annähernd ab - auch deshalb ist die Erleichterung so groß. Bislang war es immer anders. Schon als Nagelsmann Bundestrainer wurde, folgte nach der US-Reise auf Euphorie wieder die Ernüchterung: Mit den Pleiten erst gegen die Türkei (2:3) und dann Österreich (0:2) lag die DFB-Elf wieder dort, wo sie in den vergangenen Jahren erschreckend oft endete: am Boden.

"Jetzt geht die Scheiße schon wieder los"

"Wenn man den Staff nach dem Österreich-Spiel gesehen hat, das war kein schönes Bild", sagt Nagelsmann auf der Pressekonferenz. Einige hätten in den vergangenen sechs, sieben Jahren nur auf die Mütze bekommen. Und als Trainer sei das "natürlich nicht so super, wenn du in der Kabine stehst und die alle so siehst". Schließlich ist der Trainer bei den Ergebnissen seines Teams nicht ganz unbeteiligt. Dann tauchte wieder ein Gedanke auf, erklärte Nagelsmann: "Jetzt geht die Scheiße schon wieder los."

Zu oft hatte die Nationalmannschaft das in den vergangenen Jahren durchgemacht. Die Geister aus Russland, als das DFB-Team 2018 in seiner langen Geschichte erstmals in einer WM-Gruppenphase scheiterte, verschwanden nie so richtig. Weder beim Ausscheiden im Achtelfinale bei der Corona-EM 2021, noch beim Wüsten-Debakel bei der Katar-WM 2022.

Irgendwann in dieser Zeitspanne hatte das DFB-Team eine Generalüberholung bitter nötig. Bundestrainer Joachim Löw versuchte es, doch scheiterte. Sein Nachfolger Hansi Flick sah es selbst auch, verbrannte sich im miserablen Länderspieljahr 2023 an seiner wilden Experimentierei aber die Finger. Und nach Anlaufschwierigkeiten hat es Nagelsmann offenbar in die richtigen Bahnen gelenkt.

"Dann ist viel möglich"

Und doch, noch ist nicht alles perfekt gewesen. Manchmal fehlt es noch an Torgefahr, manchmal wackelt die Defensive noch. Die vergangenen Tage seien "sehr, sehr gut" gewesen, sagte Nagelsmann. "Wir fallen jetzt nicht in eine Hysterie, es gibt immer noch Dinge zu analysieren." Um diese Dinge zu sehen, sei das Niederlande-Spiel herausragend gewesen.

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Doch in der nächsten Zeit findet das ohne Trainer Nagelsmann statt. "Leider haben wir jetzt erst mal keinen Zugriff auf die Spieler, aber wir haben im Mai dann die Zeit, das zu machen." In den letzten Testspielen vor der EM geht es erst gegen die Ukraine (3. Juni, 20.45 Uhr/ARD und ntv.de-Liveticker), dann Griechenland (7. Juni, 20.45 Uhr/RTL und ntv.de-Liveticker). Er freue sich darauf, sagte Nagelsmann, es sei entscheidend, dass die Spieler bis dahin diesen Drive in ihren Klubs weitertragen. "Da sind wir erst mal nur zweite Geige und im Sommer dann die erste.

Und der Bundestrainer hat Grund zur Vorfreude: "Der Spirit, der war anders." Die Spieler müssten sich auf die Entscheidungen des Trainerteams einlassen. "Und das haben sie auch getan", sagte Nagelsmann. "Und wenn das ineinandergreift, dann ist auch viel möglich im Fußball." Vielleicht auch bei der EM im Sommer.

Quelle: ntv.de

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