Mega-Außenseiter kapern TurnierDanke, FIFA - für die XXL-WM mit 48 Ländern

Hochnäsig und arrogant blicken große Teile von Fußball-Deutschland auf die XXL-WM. 48 Teilnehmer? Viel zu viele, kritisieren Fans und Beobachter in großen Fußballnationen. Dabei ist das Gegenteil richtig.
Diese Nacht geht in die Fußballgeschichte ein, als eine der dramatischsten Schlussphasen, die dieser Sport je gesehen hat. Die Ausgangslage: Fünf Spiele gleichzeitig, in denen es um alles geht. In mittelamerikanischen Metropolen und in kleinen karibischen Stadien. Costa Rica gegen Honduras. Panama gegen El Salvador. Guatemala gegen Suriname. Jamaika gegen Curaçao. Haiti gegen Nicaragua. WM-Tickets und letzte Playoff-Startplätze stehen auf dem Spiel. Große Ziele und große Träume gehen in Erfüllung, andere platzen bitterlich. In einer magischen Fußballnacht, die nur möglich war, weil die FIFA endlich mal eine gute Entscheidung getroffen hat.
Die WM 2026 mit 48 statt 32 Mannschaften auszutragen, das gefällt gerade in den großen Fußball-Nationen nicht allen. Eher den Wenigsten. Zu lesen und zu hören sind die immer gleichen Gähn-Aussagen: Warum wird überhaupt noch eine Qualifikation ausgetragen, wenn ohnehin jeder mitspielen darf? Soll die FIFA doch direkt alle 200 Mannschaften antreten lassen! Usbekistan gegen Panama, wer will sich das denn anschauen?
Hat die FIFA dem Fußball also mal wieder einen Bärendienst erwiesen? Überdehnt der Weltverband die Toleranz des Publikums? Fünfeinhalb Wochen WM statt vier Wochen, 104 Spiele statt 64. Aus Sicht der großen Fußballnationen ist der Ärger über die WM-Erweiterung durchaus verständlich. Noch ein Spiel mehr, wenn es in die K.o.-Runde geht. Noch mehr Kräfteverschleiß für die Topspieler. Eine Gruppenphase, die im Normalfall bloß ein lockerer Aufgalopp für die Topfavoriten ist, weil neben Gruppensiegern und Gruppenzweiten auch die acht besten Gruppendritten weiterkommen. Da sollte es diesmal sogar Deutschland durch die Vorrunde schaffen.
Ja, man kann diesen Modus kritisieren, die sportliche Verwässerung. Die Wahrscheinlichkeit ist tatsächlich groß, dass das Großereignis in den USA, Kanada und Mexiko eine sportlich ziemlich zähe Angelegenheit wird.
Cosmos Koblenz bei der WM
Bislang wurde hierzulande jede Teilnehmer-Ausweitung - ob WM oder EM - kritisch beäugt. Meistens mit dem Argument der sportlichen Verzwergung. Ja, mag sein, dass einzelne Länder den Topteam heillos unterlegen sind. Richtig ist jedoch auch, dass kleinere Nationalteams kleine, aber stetige Leistungssprünge machen können, wenn sie sich mit den Besten messen.
Und wenn doch nicht? Wäre das überhaupt so schlimm? Kommt es im Fußball in erster Linie auf das bestmögliche Spiel an? Die Champions League beispielsweise, sie ist zweifellos eine Aneinanderreihung von sportlicher Brillanz. Aber sportliche Weltklasse allein macht Fußball nicht zu dem besonderen Sport, der er ist.
Besonders wird Fußball, wenn er überraschend ist. Wenn er von dem Glück der Menschen erzählt. Das spuckt dieser Abend aus. Eine Geschichte über den Ersatzkeeper von Haiti, der im Ligabetrieb für Cosmos Koblenz gegen Eppelborn, Gau-Odernheim und Eisbachtal spielt. Eine Live-Schalte zum Public-Viewing nach Willemstad, der Hauptstadt von Curaçao. Eine Erklärung des besonderen Scouting-Systems der Kap Verde, die Nationalspieler per LinkedIn rekrutieren. Vor allem in Zeiten der Übersättigung mit Glanz- und Gloria-Fußball. Erling Haaland, Harry Kane, Vinicius Junior. Das ist doch jede Woche mehr oder weniger dasselbe. Eine WM, erst recht eine mit vielen Exoten und Außenseitern, ist eine wunderbare Abwechslung von den immer gleichen Champions -League-Abenden, deren Geschichten sich von Spieltag zu Spieltag ähneln. Nach dem Motto: kennst' du eine, kennst' du alle.
Ohne die WM-Erweiterung auf ein XXL-Starterfeld müsste die Fußballwelt auf einige kuriose Randgeschichten aus den entlegensten Flecken Erde verzichten. Das alles, damit die großen Fußballnationen, vornehmlich in Europa, weiter größtenteils unter sich bleiben können? Es gibt Härtefälle, vor allem oder sogar ausschließlich in Europa. Vielleicht trifft es erneut Italien, das zum dritten Mal in Folge in den Playoffs die WM verpassen könnte. Vielleicht trifft es Dänemark, das in einem dramatischen Spiel in Schottland die direkte Quali verpasst hat. Vielleicht schafft es die Türkei zum sechsten Mal in Serie nicht zur WM, weil Spanien in der Gruppe zu übermächtig war.
Zu wenig Europa?
Das mag alles ungerecht sein, wenn schon ein oder zwei Niederlagen in europäischen Quali-Gruppen ausreichen, um die Teilnahme zu verpassen. Würden schlicht und einfach die Top 48 der FIFA-Weltrangliste an der Endrunde teilnehmen, kämen 25 Teilnehmer aus Europa, 7 aus Südamerika, 7 aus Afrika, 5 aus Nord- und Mittelamerika und 4 aus Asien. Heißt im Klartext: Gemessen an der Spielstärke sind europäische Mannschaften bei der WM unterrepräsentiert. Die Weltmeisterschaft wäre um sportliche Klasse reicher, würden Europa mehr als 16 der 48 Startplätze gewährt. Gut, dass die FIFA das anders handhabt.
Gleichwohl darf aber nicht unerwähnt bleiben, dass der von Machtspielen und Absprachen durchsetzte Fußballweltverband mit der WM-Erweiterung in erster Linie andere Ziele verfolgen dürfte, als Fans und Spielern kleinerer Fußball-Nationen Träume zu erfüllen. Mehr Spiele bringen mehr Geld. Und das dürfte immer noch der größte Treiber dieser Entscheidung gewesen sein. Noch dazu hilft es FIFA-Chef Gianni Infantio, seine Macht auszubauen. Je mehr Mitgliedsländer zufrieden sind, umso besser für ihn. In der FIFA-Demokratie hat jedes Land eine Stimme. Egal, ob Deutschland, England, Brasilien. Jeder Fußballverband ist gleich mächtig, ungeachtet der Mitgliederzahl. Deutschland hat eine Stimme, Curaçao auch.
Aber wir sollten ungeachtet dessen dankbar sein. Dankbar, dass eine Entscheidung der FIFA, welche Intention auch immer sie damit verfolgt hat, die Fußball-Weltmeisterschaft noch globaler und vor allem noch mehr Menschen glücklich macht. Diejenigen, deren Träume in einer magischen Nacht wahr geworden sind. Und diejenigen, die ihrem Traum zumindest näher gekommen sind und nach Tagen der bitteren Tränen begreifen werden, dass eine WM-Teilnahme wirklich realisierbar ist.