Erfolg im Derby sorgt für Ruhe Der BVB dreht sich immer weiter im Kreis
25.10.2020, 08:28 Uhr
Mats Hummels traf erstmals im Revierderby.
(Foto: Jrgen fromme /firo Sportphoto)
Borussia Dortmund gewinnt das frappierend einseitige Spiel gegen den ewigen Rivalen aus dem Ruhrgebiet problemlos mit 3:0, was Trainer Lucien Favre zumindest kurzfristig aus der Schusslinie nimmt. Dagegen wird Manuel Baum immer deutlicher vor Augen geführt, dass er auf Schalke ein Himmelfahrtskommando übernommen hat
Norbert Dickel gab mal wieder alles. Wie immer begrüßte der frühere Torjäger, der bei den Heimspielen von Borussia Dortmund seit vielen Jahren die Stimmung anheizt, "im schönsten Stadion der Welt die besten Fans der Welt". In normalen Zeiten mag man dem ja durchaus zustimmen, doch seit acht Monaten sieht sich der Mann gezwungen, bewussten Etikettenschwindel zu betreiben. Die Zeiten sind nun mal nicht mehr normal, derzeit ist die legendäre Dortmunder Kulisse nicht mehr als eine schöne Erinnerung.
An einem kühlen Samstagabend verloren sich gerade einmal 300 Zuschauer im gigantischen Bauwerk an der B1. Dabei finden doch in Zeiten, in denen das Leben nicht von diesem Virus bestimmt wird, der das öffentliche Leben fast komplett lahmlegt, im größten Stadion der Republik mehr als 80.000 Besucher Platz. Die können so viel Radau veranstalten, dass man sein eigenes Wort nicht verstehen kann.
Doch derzeit ist alles anders. Auf der Pressetribüne waren die Stimmen der Reporter vom Bezahlfernsehen und vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk mehr als deutlich zu vernehmen, was die ohnehin schon gespenstische Atmosphäre noch ein wenig skurriler erscheinen ließ.
Dortmund: Bürki - Meunier (80. Morey), Hummels, Akanji, Guerreiro - Dahoud (71. Witsel), Delaney - Sancho (77. Hazard), Brandt (77. Reus), Reyna (71. Passlack) - Haaland. - Trainer: Favre
Schalke: Rönnow - Thiaw, Salif Sane, Nastasic - Ludewig, Mascarell, Oczipka - Harit, Bentaleb (56. Bozdogan) - Paciencia (56. Kutucu), Matondo (71. Raman). - Trainer: Baum
Schiedsrichter: Felix Zwayer (Berlin)
Tore: 1:0 Akanji (55.), 2:0 Haaland (61.), 3:0 Hummels (78.)
Zuschauer: 300
Gelbe Karte: - Mascarell
Die 181. Auflage jener Begegnung, die bei den Menschen zwischen Ruhr und Emscher seit Jahr und Tag gesteigerte Emotionen auslöst, sie war kein Spiel wie jedes andere. Unter den gewohnten Umständen wären die 90 Minuten für schwarz-gelb zum echten Festakt geworden: 3:0 (0:0) nach einer Begegnung, bei der die ungeliebten Rivalen in königsblau so bemitleidenswert unterlegen waren, dass man sich ernsthafte Sorgen um sie machen musste. Das hätte in Dortmund jede Menge Triumphgeheul und Schadenfreude ausgelöst.
Favres beeindruckende Quote
Doch im Hier und Jetzt entfalten selbst solche Siege nicht die Wucht, die eine prallgefüllte Südtribüne garantiert. Auch sonst fiel es den Gastgebern schwer, den Moment zu genießen, weil die herbe Schlappe zum Champions-League-Auftakt nachhallte. Das Rätselraten geht weiter, beim börsenorientierten Fußballunternehmen müssen sie sich langsam vorkommen, als säßen sie irgendwo auf dem Jahrmarkt in einem Karussell, das die immer gleiche Strecke zurücklegt: Mal bergauf, wenn die Mannschaft ihr im Überfluss vorhandenes Talent mit Leben füllt und bei mitreißenden Auftritten die Fantasie ihrer Fans beflügelt.
Doch ebenso regelmäßig geht es dann wieder so steil bergab, dass beim Betrachter nichts als Ratlosigkeit zurückbleibt. Wie in Rom, als der BVB einen solch verstörend blutleeren Auftritt hinlegte, dass Sportdirektor Michael Zorc mit triefendem Sarkasmus feststellte, die Mannschaft habe "alle Abstandsregeln vorbildlich eingehalten".
Für den FC Schalke 04 konnte das nichts Gutes bedeuten. Den Dortmundern gelingt es regelmäßig, nach einem sportlichen Offenbarungseid wie in der Ewigen Stadt in ihrem schwarz-gelben Karussell umgehend wieder nach oben zu fahren. Folgerichtig sprach Zorc nach dem locker herausgespielten Erfolg gegen Schalke von einer "guten Reaktion. Das war zwar nicht immer brillant, aber alles in allem gute Arbeit".
Der Erfolg im Derby war nicht nur für die Borussia im Allgemeinen wichtig, um im Revier keinen stürmischen Herbst heraufzubeschwören. Auch der Trainer kann die drei Punkte gut gebrauchen, um die immer wieder auflodernden Diskussionen um seine Person einzudämmen. Lucien Favre feierte sein persönliches Dienstjubiläum. Mit Hertha BSC, Borussia Mönchengladbach und seit Sommer 2018 in Dortmund hat der kauzige Westschweizer mittlerweile 300 Bundesliga-Begegnungen erlebt. Die Hälfte davon hat er gewonnen, das 3:0 gegen Schalke bedeutete Favres 150. Sieg. Eine Bilanz, die sich durchaus sehen lassen kann.
Baum sucht das Positive
Favre darf im Revier also bis auf Weiteres wieder ruhiger arbeiten, Rückendeckung erhielt er von Nationalspieler Julian Brandt, der eine starke Vorstellung ablieferte: "Es funktioniert doch. Ich glaube, wir haben schon sehr, sehr gute Spiele in dieser Saison gezeigt, und ich glaube, wir werden in dieser Saison alle gemeinsam mit dem Trainer einen guten Weg gehen."
Während in Dortmund wieder Ruhe einkehrte, wird die Krise beim Rivalen immer existenzieller. Schalke wartet in der Liga saisonübergreifend seit 21 Begegnungen auf ein Erfolgserlebnis und nähert sich damit langsam aber sicher der ewigen Bestmarke von Rekordhalter Tasmania Berlin an, dem es vom 21. August 1965 bis zum 14. Mai 1966 gelang, 31 Mal in Folge ohne Sieg zu bleiben. Gemeinsam mit Kaiserslautern, Dresden und Blau-Weiß 90 Berlin rangiert Königsblau mittlerweile auf Platz zwei in einem Ranking, in dem kein Verein auftauchen möchte.
Rasche Besserung ist nicht in Sicht, dabei hatte der neue Trainer Manuel Baum vor Spielbeginn noch erklärt, man könne "bei einer Niederlage, die aus Leidenschaft entsteht, auch mal ein Auge zudrücken". Nach Beendigung des frappierend einseitigen Kräftemessens versuchte Baum tapfer, dem erneuten Desaster zumindest ein bisschen Positives abzugewinnen: "Gegen den Ball kann man den Jungs keinen großen Vorwurf machen", verkündete der 41-Jährige tapfer, um dann den Finger in die Wunde zu legen: "Wenn wir den Ball erobert hatten, konnten wir gar nicht so schnell schauen, wie der wieder weg war." Dem ehemaligen Augsburger Trainer wird von Woche zu Woche deutlicher vor Augen geführt, dass er auf Schalke ein echtes Himmelfahrtskommando übernommen hat: "Das Hauptproblem gerade ist - meiner Meinung nach - der Kopf."
Quelle: ntv.de