50 Jahre Krimis vom Punkt "Der Dümmste schießt den besten Elfmeter"
30.05.2020, 08:43 Uhr
Zu spät losgesprungen, der Peter Shilton.
(Foto: imago/Sven Simon)
Ob im Elfmeter-Krimi bei der Weltmeisterschaft 1982 gegen Frankreich, in der Nervenschlacht bei der Heim-WM 2006 gegen Argentinien oder zuletzt bei der Europameisterschaft 2016 gegen Italien - die deutsche Fußball-Nationalmannschaft entschied die Dramen vom Punkt oft für sich. Vor allem einer verfolgte die Krimis mit Stolz und Genugtuung: ihr Erfinder Karl Wald. 2011 starb der frühere Amateur-Schiedsrichter im Alter von 95 Jahren, doch seine Erfindung reicht weit über seinen Tod hinaus. Am 30. Mai 1970 wurde das Elfmeterschießen als spielentscheidendes Element offiziell ins Regelwerk aufgenommen – und revolutionierte fortan den Fußball. Wir haben mit Olaf Thon, Weltmeister von 1990 und Uefa-Cup-Sieger 1997 mit Schalke, über die Faszination des Duells vom Punkt gesprochen. An beiden Titel war er als erfolgreicher Schütze beteiligt.
Herr Thon, wann haben Sie das letzte Mal einen Elfmeter geschossen?
Olaf Thon: Das war ziemlich genau vor einem Jahr mit der Traditionsmannschaft des FC Schalke.
Und, haben Sie getroffen?
Ja, allerdings war und bin ich eigentlich kein besonders guter Elfmeterschütze.
Es gibt zwei Belege gegen diese Behauptung: der entscheidende Elfmeter im WM-Halbfinale 1990 gegen England und der mitentscheidende Elfmeter im Uefa-Cup-Finale gegen Inter Mailand 1997 ...
Das stimmt natürlich. Ich hatte in beiden Spielen den Mut und habe deswegen geschossen. Wobei sich die Frage ob ich schieße 1997 beispielsweise gar nicht gestellt hatte. Als Kapitän musste ich vorangehen, da gab es ja gar keine Diskussion. Auch wenn ich zuvor im Achtelfinale gegen den FC Brügge im Spiel einen Elfmeter vergeben hatte. Aber nochmal: Ich war und bin kein Spezialist vom Punkt, da gibt es ganz andere. Manni Kaltz beispielsweise, oder Ingo Anderbrügge und natürlich auch Lothar Matthäus. Die haben die Dinger immer schön mit dem Innenspann verwandelt.
Und Sie, wie haben Sie geschossen?
Ich habe mich immer für den Schuss mit der Innenseite entschieden. Ich hätte das mit dem Spann auch gekonnt, aber ich habe mich mit anderen Technik wohlgefühlt. Zwar ist die Chance da größer, dass der Torwart den Ball hält, dafür ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass du den Schuss völlig verziehst.
Was zeichnet einen guten Elfmeterschützen aus?
Das ist eigentlich ganz einfach: Du darfst nicht nachdenken. Nicht auf dem Weg dorthin und nicht beim Schuss. Ich habe mal aus Spaß gesagt: Der Dümmste schießt den besten Elfmeter. Aber klar, eine gute Technik hilft dir schon auch weiter.
Wie war das, als sie 1990 von der Mittellinie zum Punkt gelaufen sind? Wussten Sie in dem Moment schon um die Bedeutung ihres Elfmeters?
Die Situation war gut für mich. Vor mir hatte Stuart Pearce verschossen. Ich dachte mir also: Wenn du verschießt, dann bleibt`s ja ausgeglichen. Außerdem hatte ich mir vorher alle unsere Elfmeter genau angeschaut und festgestellt: Der Shilton (Anmerk. d. Red.: Peter, Torwart der Engländer) fliegt immer erst in die Ecke, wenn der Ball schon drin ist, so habe ich mich stark geredet. Dann habe ich mir 25 Meter vor dem Tor den Ball geschnappt, ihn in die Hand genommen, ihn zurecht gelegt und geschossen ...
… in die rechte untere Ecke. Wann haben Sie sich dafür entschieden?
Das war mir tatsächlich früh klar. Wie gesagt: Ich wusste das der Shilton erst fliegt, wenn der Ball in der Ecke ist. Also habe ich gedacht: Schieß' nicht zu nah an den Pfosten, lass ein bisschen Platz, achte auf deine Technik, triff den Ball sauber, dann klappt das schon.
Genauso wie 1997? Da war's schließlich wieder die rechte Ecke.

Olaf Thon wurde 1997 mit Schalke Uefa-Cup-Sieger. Im Finale verwandelte er einen Elfmeter.
(Foto: imago/WEREK)
Ne, da war's eher spontan. Ich hatte das Gefühl, dass Pagliuca (Anmerk. d. Red.: Gianluca, Torwart von Inter Mailand) in die andere Ecke springt. Und so war's ja dann auch. Ich könnte jetzt prahlen, ich habe ihn verladen. Aber so war's leider nicht.
Welches Elfmeterschießen war das wichtigste in ihrer Karriere? Beziehungsweise das, an das sie am liebsten zurückerinnern?
Natürlich schon diese beiden. Und zwischen ihnen würde ich auch keinen Unterschied machen.
Und an welches denken Sie gar nicht gerne zurück?
Ach, das gibt’s keins.
Wer ist im Elfmeterschießen eigentlich im Vorteil? Der Schütze, der agiert? Oder der Torwart, der reagiert?
Der Torwart.
Das ist so einfach zu beantworten?
Ja.
Wie viel Stress löst der Torwart beim Schützen denn aus?
Ich habe immer versucht, mich nicht vom Torwart beeinflussen zu lassen. Ich habe immer versucht mich zu fokussieren. Klar habe ich schon mit einfließen lassen, was der Torwart macht. Shilton zum Beispiel, der stand immer ganz lange und ganz ruhig. Das war sein Weg Stärke zu zeigen.
Was war für Sie denn angenehmer? Der Zappelige auf der Linie oder der ganz Ruhige?
Wie gesagt, mich hat das nicht groß interessiert. Aber aus Sicht eines Torwarts würde ich denken, dass ein ruhiges Verhalten das beste ist. Da bietest du dem Schützen nichts an. Aber grundsätzlich gilt: Je größer deine Reichweite und je beweglicher du bist, desto größer sind deine Chancen.
Wenn Sie die Situation früher mit heute vergleichen, würden Sie sagen, dass es heute mit all den zur Verfügung stehenden Daten schwieriger geworden ist, einen Elfmeter zu versenken?
Ja, das denke ich auf jeden Fall. Als Torhüter kennst du ja alle Statistiken des Schützen. Allerdings ist es ja auch so, dass der Schütze weiß, was der Torwart weiß. Aber dennoch denke ich, dass es für den Schützen komplizierter geworden ist.
Womöglich fördert es ja auch einfach nur die Kreativität die Schützen!
- Weltmeister 1990
- Vize-Weltmeister 1986
- Uefa-Cup-Sieger 1997 (mit Schalke)
- DFB-Pokal-Sieger 2001, 2002 (mit Schalke)
- Deutscher Meister 1989, 1990, 1994 (mit dem FC Bayern)
Davon rate ich ganz dringend ab. Deine Rituale, dein Rhythmus, die sind ganz entscheidend. Das sehen wir ja ganz besonders bei einem Cristiano Ronaldo. Wenn du dessen Technik hast, kannst du aber natürlich bei der Ecke variieren oder auch mal einen Lupfer einstreuen.
Ist es eigentlich eine andere Herausforderung eine Schütze im Elfmeterschießen zu sein oder im Spiel einen Elfmeter verwandeln zu müssen?
Auf jeden Fall! Im Elfmeterschießen kann es immer noch einen geben, der schlechter ist als du – wenn du verschießt. Und es gibt als Team ja meistens auch noch die Möglichkeit einen Patzer auszugleichen. Das geht im Spiel nicht. Da ist der Mannschaftssport Fußball plötzlich was für das Einzelnen. Das ist eine ganz andere Geschichte!
Wenn Sie sich als Trainer entscheiden müssten: Wen würden Sie in einem Elfmeterschießen aufstellen, die mit den besten Nerven oder die mit der besten Technik?
Am liebsten natürlich die, die beides haben! Denn auf diese Kombination kommt es ja an. Es gibt einfach so Spieler, die haben dieses Gen in sich, dass sie ihren Puls, ihre Nervosität im Griff haben und dann ihre Technik gut anwenden können.
Denkt man als Schütze eigentlich auch manchmal: Heute zeige ich der Welt mal, was für eine Granate ich bin und nagel den Ball donnernd unter die Latte und dann über die Linie?
Wie gesagt, man sollte besser nicht nachdenken. Sonst hat man womöglich so einen Mist im Kopf.
Und verschießt?
Exakt!
Mit Olaf Thon sprach Tobias Nordmann
Quelle: ntv.de