Fußball

DFB und die Trainerfrage Der Nagelsmann-"Leak" sorgt fürs große Dilemma

Was wird aus Julian Nagelsmann?

Was wird aus Julian Nagelsmann?

(Foto: picture alliance/dpa)

Eigentlich galt bei der Fußball-Nationalmannschaft: Mit dem Ende der Heim-EM ist auch die Zeit von Bundestrainer Julian Nagelsmann vorbei. Doch plötzlich gerät die vermeintliche Gewissheit ins Wanken. Geht es doch weiter?

Beim DFB herrscht wieder einmal Unruhe. Mehr als über das seit Jahren gewohnte Maße hinaus. Am späten Mittwochabend platzierte der "Kicker" die Meldung, dass der größte Einzelsportverband der Welt mit dem aktuellen Bundestrainer Julian Nagelsmann verlängern will. Das kam überraschend, weil man doch (a) erstmal die Heim-Europameisterschaft gemeinsam absolvieren und dann sprechen wollte, und (b) weil am Samstag und Dienstag zwei große Testspiele anstehen, die für Nagelsmann, die Nationalmannschaft und die Stimmung im Land vor dem Turnier im Sommer wegweisend sind. Gehen diese schief, ist jedes Buschwindröschen der EM-Hoffnung schneller verwelkt, als Kylian Mbappé, mit Frankreich erster deutscher Gegner, laufen kann.

Der DFB, im Prinzip seit dem WM-Triumph 2014 auf der Suche nach Ruhe und einem Mann, der das Potenzial der Nationalmannschaft gewinnbringend hebt, liefert sich dem aktuellen Amtsinhaber aus. Verbandsboss Bernd Neuendorf hat den Bericht des "Kicker" bestätigt. Im Subtext schwingt mit, dass es bislang keinen konkreten Plan gibt, wie es im Sommer, nach dem Turnier, weitergehen kann. Das war zwar auch ein Teil der Verabredung mit Nagelsmann, die wirkt nun aber wie einseitig aufgekündigt.

Für den Deutschen Fußball-Bund hätte es aber kaum doofer laufen können. Ungeachtet von Ergebnissen - auf den Sieg zum Auftakt gegen die USA folgten unter Nagelsmann ein Unentschieden und zuletzt zwei desillusionierende Pleiten -, ist Nagelsmann der Mann der Wahl. Dass er die Vorgesetzten mit seiner Art und seinen Visionen überzeugt haben mag, ist die eine Sache. Geht die Sache gut, ist der 36-Jährigen mit seiner rigiden Kaderpolitik erfolgreich, prima. Aber was, wenn nicht?

Ein spektakulärer Trainermarkt

Was, wenn die Nationalmannschaft das nächste Turnier-Debakel nach den vergeigten Weltmeisterschaften 2018 in Russland und 2022 in Katar und der bestenfalls unglücklich verlaufenen EM 2021 in die Verbandschroniken schreibt? Nagelsmann geht in diesem Frühjahr bereits All-in, indem er das Leistungsprinzip an die oberste Stelle setzt, indem er das Prinzip der Nibelungentreue, eine gepflegte Praxis beim DFB-Team, aushebelt. Das konnte er auch deshalb, weil er eben als EM-Bundestrainer gekommen ist, der unbequeme Entscheidungen treffen kann, weil sie ihn nicht längerfristig beschäftigen müssen. Und klar, mit dem bisherigen Misserfolg hat er die besten Argumente auf seiner Seite.

Welche Pläne hätte er noch in der Tasche, um das immer noch im wilden Wellengang taumelnde Schiff in ruhiges Fahrwasser zu manövrieren? Zumal er wieder und wieder betont, wie sehr er die tägliche Trainingsarbeit vermisst. Und dass er seine Stärke in der Entwicklung von Mannschaften und Spielern sieht. Das Amt des Bundestrainers bietet ihm da nur wenig Handlungsspielraum.

Ist Nagelsmann nun der große Gewinner dieses Vertrags-"Leaks"? Nagelsmann, der mit seiner Ansage, die Dinge schnell regeln zu wollen, möglicherweise glaubt, den Ball zum DFB gedroschen zu haben, muss offenbar noch für sich klären, ob er Bundestrainer oder Klubtrainer sein möchte. Nur eine Sache scheint gewiss: Es kommt eine neue Dynamik in die offene Zukunftsfrage. Wenige Stunden, bevor der "Kicker" die Nachricht eilte, hatte der Trainer nochmals betont, dass ihm kein Angebot vorliege. Alles also ungeklärt. Bleibt die Frage: Woher kam die Information mit den DFB-Plänen? Man weiß es nicht. Was man aber weiß: Rund um Nagelsmann werden immer wieder Dinge durchgestochen, weit vor offiziellen Bekanntgaben. Er selbst, so betonte der Trainer selbst etwa bei der Medienrunde zur Kaderbekanntgabe, wundere sich darüber.

Nun ist die Lage so: Der internationale Trainermarkt ist in diesem Sommer so spektakulär wie selten zuvor. Beim FC Bayern macht sich Thomas Tuchel vom Hof, beim FC Liverpool verabschiedet sich Jürgen Klopp. Zwei große Vereine, die im obersten Regal nach Nachfolgern suchen werden. Was wiederum andere Stellen freimachen könnte. Was macht Bayer Leverkusens Supertrainer Xabi Alonso? Bleibt er oder zieht es ihn womöglich zu einem seiner Ex-Vereine? Was passiert bei Manchester United, wo Erik ten Hag eigentlich nonstop in der Kritik steht? Was wird aus Edin Terzić bei Borussia Dortmund? Trotz Erfolgen in der Champions League und zuletzt guter Ergebnisse in der Bundesliga ist das Fundament unter seinem Stuhl nicht ausgehärtet.

Für den DFB blöd gelaufen

So vieles ist offen, so vieles ist reizvoll. Und natürlich schielt Nagelsmann auf einen großen Job. Ob beim DFB, oder eben bei einem Verein. Und er hat es eilig. Vor der Europameisterschaft will er die Dinge unbedingt geklärt haben. In einer Lage, in der sich alles nur behäbig sortiert, erhört sich nun der Druck auf potenzielle Interessenten am jungen Trainer. Und gleichzeitig gibt die sportliche Situation und die Stimmung im Land rund um den kickenden Teil des DFB derzeit keine Verlängerung mit Nagelsmann her, dessen Qualität natürlich unumstritten ist. Aber Qualität muss sich eben auch in Ergebnissen manifestieren.

Für den DFB ist das, wie gesagt, maximal blöd gelaufen. Verlängert man tatsächlich langfristig, müsste die EM ein großer Erfolg werden, um sich aus der festen Umklammerung der ewigen Unruhe zu lösen. Bei einem neuerlichen Desaster steckte man in einem unangenehmen Rechtfertigungszwang - und hätte einen teuren Trainer an der Backe, der eine tonnenschwere Hypothek mit sich herumschleppt. Man hätte eine Menge zu erklären. Und müsste beinahe darauf hoffen, dass ein Klub den geschätzten Trainer aus seinem Vertrag beim DFB herauskauft. Immerhin, so ganz blauäugig ist der DFB nicht: Es soll vorher ein gemeinsames EM-Ziel vereinbart werden, ab dem der Vertrag erst gelten soll.

Dass Nagelsmann den Drang spürt, Klarheit zu haben, kann man ihm nicht verübeln. Er will unbedingt eine Anschlussaufgabe an die EM. Er bräuchte nicht mal einen Tag Pause, um sich in die neue Aufgabe zu stürzen. Das erklärte Nagelsmann mit großer Vehemenz. Ein halbes oder gar ein ganzes Jahr Pause, so wie es Jürgen Klopp für sich entschied, werde er sich nicht in den Lebenslauf schreiben.

Das Problem mit der Doppelrolle

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Was das nächste Problem aufruft. Ab dem 26. Mai bereitet sich das DFB-Team unter Nagelsmann mit einem Trainingslager in Thüringen auf die EM vor, direkt im Anschluss bezieht man das Quartier in Herzogenaurach. Findet der Coach tatsächlich zeitnah einen Verein, reist er plötzlich zweigleisig. Er bereitet die Nationalmannschaft auf die EM vor und müsste sich zwangsläufig in die Planungen bei seinem künftigen Arbeitgeber einmischen. Oder er arbeitet dann noch an seiner Zukunft. Unvorstellbar, wie das funktionieren soll - und wie eine solche Doppelrolle dem dünnhäutigen Fußballvolk vor der Heim-Europameisterschaft vermittelt werden könnte.

Und je nachdem, wie das Turnier für die deutsche Nationalmannschaft läuft, würde er Teile der Vorbereitung bei seinem neuen Klub verpassen. Gut, dafür müsste die deutsche Nationalmannschaft schon sehr weit kommen, am 14. Juli wäre das Finale. Sollte er das erreichen und danach gehen, wäre der DFB im großen Triumph doch auch ein großer Verlierer.

Quelle: ntv.de, Mitarbeit: tno

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