Michael "Ata" Lameck wird 70 Die lahmste Ente der Bundesliga-Geschichte
15.09.2019, 07:44 Uhr
Sein Bundesliga-Debüt gab Lameck erst mit 23 Jahren.
(Foto: imago/Horstmüller)
Michael „Ata“ Lameck steht für so viele echte Urgesteine der Fußball-Bundesliga. Unglaubliche 518 Mal stand er für den VfL Bochum auf dem Platz. Zwischen 1972 und 1976 bestritt Lameck sogar 146 Spiele am Stück. Dabei hätte ihm sein Körper fast einen Strich durch seine Profi-Karriere gemacht.
Es sind diese Spieler, an die man sich rückblickend gerne erinnert. Urgesteine in ihren Vereinen. Charly Körbel in Frankfurt, Gerd Müller in München, Lothar Emmerich in Dortmund, Klaus Fischer auf Schalke - die Liste könnte endlos fortgesetzt werden. Es sind die Akteure der ersten fünfundzwanzig, dreißig Jahre der Fußball-Bundesliga. Doch dann irgendwann war dieses Kapitel vorbei. Dariusz Wosz, die Zaubermaus, ist auch ein Bochumer Idol und mit über 350 Einsätzen für den VfL ein echter Dauerbrenner gewesen - doch er hat Recht, wenn er sagt: "Über 500 Bundesliga-Spiele für einen Verein, das wird wohl niemand mehr schaffen."
Ata Lameck hat genau 518 Mal für seinen VfL Bochum auf dem Platz in der ersten Bundesliga gestanden. Sein damaliger Konditionstrainer Erich Klamma, ein Mann mit einer angenehmen Ruhrpott-Schnauze, bringt es auf den Punkt, wenn er über die bemerkenswerte Leistung von Lameck spricht: "518 Bundesliga-Spiele, da brauchen wir nicht drüber reden, die macht kein Blinder."
Wie der Spitzname "Ata" entstand

Die Neuzugänge des VfL Bochum zur Saison 1972/73: Torwart Werner Scholz, Michael Lameck, Reinhard Majgl, Klaus-Dieter Dewinski und Hermann Gerland.
(Foto: imago/Horstmüller)
Morgen vor 47 Jahren, am 16. September 1972, stand der Mann, den alle nur Ata nennen, obwohl er eigentlich Michael mit Vornamen heißt, zum ersten Mal für den VfL Bochum in einer Bundesliga-Partie auf dem Platz. Kurzer Einschub. Das mit Atas Vornamen muss man noch einmal genauer erklären, denn es gibt tatsächlich immer noch Menschen, die man mit dem richtigen Namen von Lameck überraschen kann ("Wie? Der heißt gar nicht Ata?"). Dabei ist die Geschichte seines Spitznamens so einfach, wie wunderbar.
Weil der kleine Michael sich als Kind gerne am ganzen Körper mit der schwarzen Asche seines Heimatplatzes des TuS Essen-West 81 einsaute, packte ihn seine Mutter zu Hause zusammen mit einer tüchtigen Portion "Ata" in die Wanne und scheuerte drauflos, bis ihr Junge wieder kalkweiß vor ihr saß. Schon wenn die Mama ihren verdreckten Fußballer bei einem Blick aus dem Fenster kommen sah, rief sie dem Papa in der guten Stube zu: "Ata." Und der erhob sich dann sogleich aus seinem Ohrensessel, lief flink in das Abstellkämmerchen, holte das Wundermittel heraus und erhitzte das Wasser im Badezimmer.
Bundesliga-Debüt mit 23
Damals, im September 1972, war Ata Lameck bereits 23 Jahre alt. Für einen Fußball-Profi fast schon ein biblisches Alter, doch der gebürtige Essener, hatte sich überhaupt erst mit 17 Jahren einem Fußballverein angeschlossen. Dann ging alles jedoch relativ flott. Sein Trainer bei seinem zweiten Klub, Schwarz-Weiß Essen, der ehemalige Bundesliga-Spieler Heinz Höher nahm ihn mit zu seinem neuen Verein, dem VfL Bochum. Und dort polte er Lameck vom Außenstürmer zum Mittelfeldspieler um. Eine weise Entscheidung.

Als der VfL "Ata" 2009 zum Ehrenmitglied machte, war die sportliche Situation bescheiden. Die Fans protestierten - und kamen nur ins Stadion, um ihre Vereinslegende zu feiern.
(Foto: imago sportfotodienst)
Hermann Gerland, der mit seinem besten Kumpel zusammen am 16. September 1972 seine erste Bundesliga-Partie bestritt, erinnert sich: "Ata war Mister Zuverlässig. Er war über zehn Jahre mit der beste Bochumer Spieler." Seine Kollegen von früher beschreiben Lameck als einen "schlauen Spieler", mit einem "wahnsinnigen Auge", der "viel dirigiert, viel gesprochen" hat. Thomas Kempe, der als deutscher Meister vom VfB Stuttgart zum VfL kam, blickte zu Ata Lameck auf: "Solche Leute brauchst du gerade im Mittelfeld. Der alles koordiniert und eingestellt hat. Er hat immer gesagt: ‚Lauf dahin, deck den, bleib hinten oder geh nach vorne.’ Da war er spitze!" Und sein damaliger Mitspieler, der heute Mitglied des Bochumer Aufsichtsrats ist, Jupp Tenhagen, weiß noch genau: "Er hatte eine gute Spielübersicht, eine überragende Spielintelligenz. Er hat viele Situationen erahnt. Wo andere hinlaufen mussten, da stand Ata schon und hat den Ball abgefangen."
Immer auf Zehenspitzen
Den Schalker Flankengott Rüdiger Abramczik brachte Lameck auf diese Weise regelmäßig zur Weißglut. Der Rekordspieler des VfL erinnert sich, dass Abi immer schon keinen Bock mehr hatte, wenn er ihn nur gesehen hat. Einmal habe er zu ihm gesagt: "Immer da, wo ich hinlaufen wollte, da standst du schon, Ata. Am liebsten wäre ich direkt wieder in die Kabine gegangen."
Sein Auge war seine große Stärke, die er auch brauchte, denn er hatte eine gravierende Schwäche, wie Erich Klamma auf seine schnörkellos, ehrliche Art preisgibt: "Das war die lahmste Ente, die ich je im Fußball gehabt habe." Und das hatte einen Grund, wie sich der heutige Trainer der U21-Nationalmannschaft Stefan Kuntz (Lameck: "Ich will mich nicht selber loben, aber der ist bei mir in die Lehre gegangen") erinnert: "Beim ersten Waldlauf habe ich immer nur sein linkes Bein gesehen, wo er auf Zehenspitzen lief. Da habe ich schon überlegt, was ist das denn für einer. Bis mir nachher einer erzählt hat: An den brauchst du dich nicht dranzuhängen, auch wenn es komisch aussieht. Der hat ein kürzeres Bein, aber der läuft am meisten von uns allen!"
Ein Bein ist kürzer als der andere
Tatsächlich ist Lamecks linkes Bein 1,5 Zentimeter kürzer als das rechte. Doch das hinderte ihn nicht daran, permanent auf dem Platz in Bewegung zu sein. Jugend-Obmann und Stadionsprecher Erwin Steden, die linke und rechte Hand des legendären Präsidenten des VfL, Ottokar Wüst, bekommt immer noch rote Wangen, wenn er an die Zeiten mit Ata zurückdenkt: "Der stand ja nie. Der lief wie ne Nähmaschine. Ata war immer unterwegs."
Unterwegs ist er auch heute noch. Wahrscheinlich gibt es in Bochum niemanden, dem Ata noch nicht die Hand geschüttelt hat. Die Trainingsplatz-Kiebitze lieben ihn wie eh und je und sagen mit einem Leuchten in den Augen: "Er ist immer Mensch geblieben." Hans Walitza, der Bochum 1971 in die Bundesliga schoss und auch bei Atas erstem Einsatz damals in Braunschweig traf, lächelt, wenn er an seinen ehemaligen Teamkollegen zurückdenkt: "Er ist ein echtes Kind aus dem Ruhrgebiet. Mit Ata zusammen sein, hat immer Spaß gemacht."
Die beiden Christas, die guten Seelen
Wohl niemand kann diesen einzigartigen Fußballer und Menschen besser charakterisieren als Christa Jewers. Zusammen mit Christa Ternow bildete sie über viele Jahre auf der Bochumer Geschäftsstelle das "gute Seelen"-Gespann des VfL. Ihr Büro war das zweite Wohnzimmer der Profis. Gab es Ärger oder etwas zu bequatschen - die Spieler wussten, wo sie hingehen mussten. Dort gab es auch einmal eine Kleinigkeit zu essen in der Mittagspause zwischen den Trainingseinheiten.
Die Spieler revanchierten sich bei den beiden Christas auf ihre Art. Wenn viel zu tun war, übernahmen sie schon einmal den Ticketverkauf. Und Ata machte auch noch ganz andere Sachen, wie sich Christa Jewers erinnert: "Ich hab mir mal die Stoßstange eingefahren, die war danach hinüber. Da sag ich: ‚Ata, ich hab mir gestern die Stoßstange kaputt gefahren.’ Er nimmt mich in den Arm und sagt: ‚Macht doch nichts. Das ist doch kein Problem.’ Und am nächsten Tag hat er mir eine neue besorgt. Das ist Ata Lameck. Er ist einfach ein Typ - den muss man leiden können." Ein tolles Lob!
Doch die schönsten Worte fand vor einigen Jahren der mittlerweile verstorbene ehemalige Präsident des VfL Bochum, Ottokar Wüst. Der frühere Herrenausstatter war ein Mann der Rhetorik. Klar artikulierte er die besonderen Vorzüge des Bochumer Rekordspielers Ata Lameck, der als einziger in der Top 10 der Profis mit den meisten Bundesligapartien kein A-Länderspiel für Deutschland absolviert hat: "Von seiner Haltung und von seinem Einsatz war das immer ein Vorbild. Und Vorbildern versucht man nachzueifern. Ich habe von Michael Lameck nie ein schlechtes Spiel gesehen. Er ist sportlich in jeder Beziehung nur zu empfehlen!" Alles Gute, lieber Ata, zum 70. Geburtstag und Glück auf!
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Quelle: ntv.de