Fußball

Deutscher Frauenfußball vor der WM Die sympathischere Variante

Adrette Barbiepuppe: Bundestrainerin Silvia Neid.

Adrette Barbiepuppe: Bundestrainerin Silvia Neid.

(Foto: picture alliance / dpa)

74.244 Menschen passen ins Berliner Olympiastadion. Es wird ausverkauft sein, wenn die deutschen Fußballerinnen am 26. Juni gegen Kanada die Weltmeisterschaft eröffnen. Normal ist das nicht. Der Alltag sieht anders aus. Zum Beispiel bei 1. FFC Turbine Potsdam. Ein Champions-League-Besuch bei Deutschlands bester Fußballelf.

Sandrine Soubeyrand hat schon viel erlebt in ihrem Fußballerinnenleben. Schließlich ist die 37-Jährige mit 155 Partien Frankreichs Rekordnationalspielerin. Aber nach ihrem Besuch in Babelsberg am Mittwoch war die Abwehrorganisatorin schlichtweg beeindruckt. "Wir sind hier auf die beste Mannschaft Europas getroffen". Die heißt Turbine Potsdam und steht nun im Halbfinale der Champions League.

Zu beneiden waren die Frauen des FCF Juvisy-Essonne wirklich nicht. Im Hinspiel des Viertelfinales feierten die Turbinen in Paris die kurz zuvor gewonnene deutsche Meisterschaft mit drei Toren zünftig nach. Das Rückspiel gegen die Französinnen im Karl-Liebknecht-Stadion machten sie dann zur Ouvertüre für das deutsche Pokalfinale am Samstag ab 16.15 Uhr. Dann geht es in Köln gegen den Erzrivalen und Vizemeister 1. FFC Frankfurt. Ausgang: völlig offen.

In Potsdam hieß es am Ende sogar 6:2 für das Team von Bernd Schröder. Der ewige Turbinen-Trainer, der schon bei der Mannschaftsgründung vor 40 Jahren dieses Amt versah, sah auch ohne seine geschonte Dribbelkünstlerin Superstar Fatmire Bajramaj, die eine Beckenprellung plagt, einen spielerisch starken Auftritt seines Teams gegen überforderte Gäste. Noch bei der improvisierten Pressekonferenz am Stehtisch im VIP-Zelt brandete wie zuvor im Spiel mehrfach Szenenapplaus auf. Auch, als Sandrine Soubeyrand leicht resigniert ihr Lob aussprach.

26 Kilometer bis in eine andere Welt

Aber sie wird wiederkommen – mit dem französischen Nationalteam zur Weltmeisterschaft, die im Sommer in Deutschland stattfindet. Los geht es am 26. Juni im Berliner Olympiastadion. Das ist nur 26 Kilometer vom Karl-Liebknecht-Stadion entfernt. Liegt aber dennoch in einer anderen Welt. Die Eröffnungspartie der deutschen Mannschaft gegen Kanada ist so gut wie ausverkauft, melden die Organisatoren. Ausverkauft heißt: 74.244 Zuschauer in Berlin. Und mit Frankreich spielt Sandrine Soubeyrand am 5. Juli in Mönchengladbach im letzten Gruppenspiel gegen Deutschland. Vieles spricht dafür, dass mehr als 40.000 Zuschauer im Stadion zusehen werden.

"Wir sind hier auf die beste Mannschaft Europas getroffen": Sandrine Soubeyrand.

"Wir sind hier auf die beste Mannschaft Europas getroffen": Sandrine Soubeyrand.

Gegen Juvisy waren es genau 2350 Menschen, die mit den Titelverteidigerinnen aus Potsdam freundlich-euphorisch den erneuten Halbfinaleinzug begehen wollten. Die große Fußballwelt war in den vergangenen Jahren einfach zu oft zu Gast, als das ein in puncto Spannung und Qualität des Gegners mittelmäßiges Spiel noch Massen anlocken würde. Das Pokalfinale am Samstag, für das bisher 17.000 Karten verkauft wurden, wird wesentlich mehr Rückschlüsse auf den Zustand des deutschen Frauenfußballs drei Monate vor dem Start der Heim-WM erlauben als die Pflichtsiege gegen Juvisy, schließlich werden sich in Köln die beiden besten Teams der Bundesligasaison gegenüberstehen.

Einzig echte Klassiker in Deutschland

Von den 16 aktuellen A-Nationalspielerinnen aus Potsdam und Frankfurt hat Bundestrainerin Silvia Neid zwölf für den vorläufigen WM-Kader nominiert. Fünf davon aus Potsdam: Babett Peter, Josephine Henning, Bianca Schmidt, Anja Mittag und Fatmire Bajramaj. Das Duell Frankfurt gegen Potsdam ist der einzige echte Klassiker im deutschen Frauen-Fußball, Frotzeleien inklusive. Seit der Saison 1998/99 gingen nur eine Meisterschaft und zwei Pokalsiege nicht an einen der beiden Klubs

Für den 1. FFC Frankfurt geht es in Köln um den ersten Titel seit 2008, für Turbine um das Double in dieser Saison, das bei einem erneuten Champions-League-Sieg sogar zum Triple werden könnte. Potsdams oft knurriger Trainer Bernd Schröder hofft dabei wie in der Liga nachweisen zu können, dass die brandenburgische, vornehmlich auf eigene Talente setzende Fußballphilosophie der hessischen, stark Star-basierten überlegen ist. Dass Frankfurt wie das Nationalteam mit einem modernen 4-2-3-1-System operiert, Potsdams Abwehrchefin Babett Peter hingegen mitunter als eine Art Libero, gibt dem Spiel zusätzliche Würze.

Es geht immer noch um Emanzipation

Für den deutschen Frauenfußball geht es in Köln um den Beweis, dass man sich tatsächlich von den Herren emanzipiert hat. Das erste eigenständige Pokalfinale im Vorjahr war ein Erfolg, doch in diesem Jahr stehen die Vorzeichen anders. Einerseits findet das Pokalendspiel wegen der Heim-WM ungewöhnlich früh im Jahr statt. Andererseits spielt am Samstag auch die Männer-Nationalelf. Die gewinnt zwar keine Titel mehr, hat aber die Fans treu an ihrer Seite.

Zudem hat der WM-Boom den Weg in die Frauen-Bundesliga noch nicht gefunden. Es gibt jetzt zwar adrette Barbiepuppen von Nationalstürmerin Birgit Prinz und Bundestrainerin Silvia Neid. Doch die Zuschauerzahlen sind nicht explodiert und im Schnitt weiter dreistellig, die offiziellen Statistikseiten des DFB schlicht eine Zumutung.

Auch verschwinden die deutschen Fußballdamen durch das von Neid erwünschte extrem frühe Saisonende nach dem Pokalfinale national erst einmal von der ohnehin kleinen Bühne, die ihnen Liga und Pokal bieten. Nur in der Champions League wird weitergespielt, zunächst in zweieinhalb Wochen im Halbfinale. Dort kommt es mit dem Duell zwischen Potsdam und dem FCR 2001 Duisburg, der dritten Kraft im deutschen Frauenfußball, zur Neuauflage des Vorjahres-Halbfinals. Das Endspiel findet erst am 26. Mai statt, nach einer fünfwöchigen Spielpause für den deutschen Finalteilnehmer. Bei den Männern wäre so etwas undenkbar. Auch im WM-Jahr.

"Der Frauenfußball hat seine Grenze erreicht"

"Wenn Spielerinnen anfangen zu denken, sie wären Stars, dann kommen wir dahin, wo wir im Männerbereich schon lange sind": Bernd Schröder.

"Wenn Spielerinnen anfangen zu denken, sie wären Stars, dann kommen wir dahin, wo wir im Männerbereich schon lange sind": Bernd Schröder.

(Foto: picture alliance / dpa)

Während sich andere mit noch immer unerfüllten Visionen plagen, sieht Bernd Schröder die Zukunft des Frauenfußballs nicht negativ, aber nüchtern. Nach 40 Jahren Aufbauarbeit, die mit dem Scherz eines Unbekannten am Schwarzen Brett seines damaligen Betriebes begann, möchte der 68-jährige keinen Boom um des Booms willen. "Der Frauenfußball hat seine Grenze erreicht. Wir müssen nicht nach den Sternen greifen. Wir können den Leuten nicht einreden, dass Frauenfußball das Größte ist. Es ist nicht so", sagte Schröder kürzlich der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Ein Fatalist ist er keineswegs, nur Realist. Er möchte den Frauenfußball als Frauenfußball erhalten, als sympathischere Variante des kommerzialisierten Männerfußballs. Mit Fans, die das zu schätzen wissen und nicht nur deshalb kommen, weil es in Potsdam keinen erfolgreichen Männerverein gibt. Dass die erfolgreichsten und bestbesuchten Klubs in der Bundesliga drei Frauenfußballvereine sind und nicht die Damenabteilungen der Männer-Bundesligisten, bestätigt ihn in seiner Haltung.

Zu der gehört auch, dass er er als "harter Hund" gilt, der Disziplin fordert und Diven nicht duldet. "Wenn Spielerinnen anfangen zu denken, sie wären Stars, dann kommen wir dahin, wo wir im Männerbereich schon lange sind, mit Kuranyi und anderen Gestalten. Das sind für mich keine Vorbilder, die unsere Gesellschaft dringend braucht", sagte er 2009 dem Magazin "11 Freunde". Nach dem Sieg gegen Juvisy gefragt, wie Turbine bis zum Pokalfinale erholen werde, antwortete Schröder trocken: "Unsere Regeneration startet am Donnerstag um acht Uhr mit dem Training." "Freitagmorgen", verriet er dann noch, "fahren wir nach Köln" - und musste plötzlich lächeln. Vom Buffet hatte jemand lautstark ergänzt: "Ja, mit dem Fahrrad!"

Quelle: ntv.de

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