"Vergessen Fußball zu spielen" Doll zählt nach Pleite sein Team an
02.02.2019, 10:08 Uhr
Es läuft nicht für Hannover 96.
(Foto: imago/Nordphoto)
Nach dem 0:3 gegen RB Leipzig zum Einstand attestiert Hannovers neuer Trainer Thomas Doll seiner Mannschaft mangelnde Fitness, fehlendes Herzblut und Verunsicherung. Der Motivator hat in der Fußball-Bundesliga eine Mammutaufgabe zu stemmen.
Thomas Doll saß nach dem 0:3 (0:1) bei seiner Premiere als neuer Trainer von Hannover 96 konsterniert auf seinem Platz bei der Pressekonferenz und öffnete erstmal zischend eine Cola. Wohl, um seinen Energie- und Optimismusspeicher wieder aufzufüllen. In seinem ersten Spiel als 96-Chefcoach war er in den 90 Minuten zuvor unruhig wie in Trance in seiner Coachingzone herumgetigert. Kritisch verfolgt vom vierten Offiziellen vermaß er die Trainerbox, stellte sich immer wieder an den äußeren Rand, beugte sich weit nach vorn und brüllte gestikulierend Anweisungen aufs Spielfeld. "Eins kann ich Euch verraten", hatte der Stadionsprecher vor Anpfiff angekündigt. "Der Trainer ist heiß wie Frittenfett."
Nur auf seine Mannschaft konnte Doll sein persönliches Engagement noch nicht übertragen. Stirnrunzelnd resümierte er: "Wir haben uns etwas ganz anderes vorgestellt. Wir hatten eine Riesenchance heute, dass der Funke überspringt. Das ist leider nicht passiert." Spätestens nach dem 0:3 verließen viele der 32.400 vor Abpfiff ihre Plätze, der Fanblock skandierte mit Galgenhumor: "Und schon wieder keine Punkte."
"Schon wieder keine Punkte"
Die Abwehrarbeit der ersten halben Stunde bewertete Doll noch als ganz ordentlich, wenngleich RB vor allem über seine Zehner zu guten Chancen durch Marcel Sabitzer (10., 42.) sowie den starken Matheus Cunha (10., 19.) kam, der unter anderem per Kopf die Latte traf. Ergebnis der Überzahl auf dem rechten Flügel und der Halbspur, die RB immer wieder erzeugte. Die nötige Kompaktheit, "das A und O", wie der 52-Jährige vor dem Spiel betont hatte, erzeugte Doll gegen aggressive und gedanklich schnelle Leipziger weder durch die anfangs gewählte 4-4-2- noch die 4-2-3-1-Grundordnung. Mit dem Strafstoß, den der Ex-Hannoveraner Marcel Halstenberg cool gegen Keeper Michael Esser und den pfeifenden Fanblock verwandelte (45.), war die Gegenwehr ganz gebrochen, der Glaube dahin. Erstaunlich für RB, aber gemessen am Gemütszustand der Hannoveraner nicht überraschend, erzielte Innenverteidiger Willi Orban mit viel Willen den ersten Doppelpack seiner Karriere zum Endstand - zweimal per Kopf nach Eckbällen (64., 85.).
Doch den einstigen Offensivstrategen Doll ärgerte nicht primär die fehlende defensive Stabilität und Ordnung, sondern das verunsicherte Spiel nach vorn aus dem Mittelfeld heraus. "Wir haben vergessen Fußball zu spielen", kritisiert er. "Wenn wir den Ball haben, keiner geht richtig in die Tiefe, in den freien Raum. Da sind Hemmung und große Unsicherheit dabei."
"Bisschen mehr Herzblut"
Dabei machte Doll ebenso fehlende Fitness seines Teams aus wie mangelnde Einstellung. Mentales, Fitness, Einstellung - der große Rundumschlag nach dem ersten verlorenen Spiel. "Wir hatten kein Durchsetzungsvermögen, der ein oder andere hatte keine Power. Bisschen mehr Herzblut darf schon dabei sein. Das war sehr augenscheinlich, ich stand ja ziemlich dicht am Spielfeldrand", sagte der gebürtige Mecklenburger. Fürwahr.
Ob seiner Mannschaft körperliche Frische fehlt oder ihr die Verunsicherung die Beine lähmt, konnte Doll noch nicht sagen: "Es kann eine mentale Sache sein. Wir müssen auch sehen, woran das noch liegt." 112 gelaufene Kilometer und eine Horror-Zweikampfquote von 39 Prozent sind für Hannover jedenfalls unterdurchschnittlich schlecht. Das Resultat war, dass die 96-Offensive keinen einzigen gefährlichen Schuss auf das Leipziger Tor abgab.
So verpufften vorerst die viel gepriesenen Motivationskünste des Thomas Doll - nach allem, was man weiß, seine größte Stärke als Trainer. "Er hat eine gute Ansprache an die Mannschaft, ist extrem ehrgeizig, will uns alle mitreißen", sagte Keeper Michael Esser. "Aber wenn wir so spielen, sieht das natürlich doof aus."
Doll und seine Spieler wissen, dass am kommenden Samstag im Abstiegs-Gipfel gegen den 1. FC Nürnberg ein Sieg (15.30 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) her muss, um den Glauben an den Klassenverbleib aufrecht zu erhalten. "Wir müssen es einfach hinkriegen, wieder ein anderes Gesicht zu präsentieren, damit wir die Chance haben, wieder Bundesligaspiele zu gewinnen", sagte Doll. Esser forderte mit des Trainers Worten: "Wir sind zu lieb, nicht robust genug, müssen einfacher und sicher spielen."
"Die Mannschaft braucht mich"
Thomas Doll beendete seine Einlassungen mit Werbung in eigener Sache: "Ich bin froh, dass ich da bin - gerade auch in der Situation. Die Mannschaft braucht mich. Dessen bin ich mir bewusst." Sein Trainerkollege Ralf Rangnick ergänzte auf Nachfrage: "Thomas hat es in aller Bescheidenheit richtig gesagt: Die Mannschaft braucht einen Trainer, der ihr hilft, Spiele zu gewinnen."
Doch dass Thomas Doll abseits seiner positiven Ausstrahlung dieser Fußballlehrer ist, war am Freitagabend nach nur viereinhalb Trainingseinheiten und drei Pressekonferenzen noch nicht zu erkennen. So versuchte sich Rangnick bei seiner Rückkehr an alte Wirkungsstätte als Hoffnungsmacher: "Vielleicht reichen dieses Jahr sogar 30 Punkte, um Drittletzter zu werden. Das halte ich absolut für möglich", sagte Leipzigs Trainer. Das war höflich von Rangnick. Doch aktuell hat Hannover elf, seit neun Spielen nicht gewonnen und in den vergangenen fünf Heimspielen kein Tor erzielt. Dieses Team tatsächlich in der Klasse zu halten, wird eine Mammutaufgabe für Doll.
Quelle: ntv.de