Erfolgreiche CL-Schlacht Ein Thriller wird zu RB Leipzigs Imagefilm
09.12.2020, 08:01 Uhr
Justin Kluiverts 3:0 rettete RB Leipzig den Achtelfinaleinzug in der Champions League. Das wusste da allerdings noch niemand. Denn zu deutlich war die Leipziger Überlegenheit bis kurz vor Schluss.
(Foto: imago images/Christian Schroedter)
In einer spektakulären Partie schafft RB den zweiten Einzug ins Achtelfinale der Champions League. Ein Spiel, in dem exemplarisch all das zu sehen war, was Leipzig auszeichnet und was der Parvenü noch nicht beherrscht.
Wer in der Kabine von RB Leipzig den Klassiker "La Bamba" aufgelegt hat, ist nicht bekannt. Doch der Oldie - eigentlich ein mexikanisches Volkslied - war der Song zum zweiten Achtelfinal-Einzug von RB Leipzig in die Champions League. Keeper Peter Gulacsi sprang beim Tänzchen nach dem 3:2 (2:0)-Thriller im entscheidenden, letzten Gruppenspiel gegen Manchester United wie ein Derwisch auf den Tisch der Umkleide und Torschütze Amadou Haidara ließ beseelt die Hüften kreisen.
Zuvor auf dem Platz war das Team auch schon zweimal eruptiert. Einmal nach der vermeintlichen Vorentscheidung nach Justin Kluiverts 3:0 (69.), als die ganze Bank euphorisiert übereinander herfiel. Und noch einmal, als Schiedsrichter Antonio Mateu Lahoz nach 94 Spielminuten abpfiff und insbesondere Gulacsi die Anspannung der Schlussminuten herausschrie und Umarmungen seiner Kollegen erhielt, weil er die immer wackeliger werdende Führung festgehalten und ins Ziel gerettet hatte. Eine legendäre Europapokal-Schlacht, bei der es doppelt bitter war, dass solche Spiele derzeit ohne Fans stattfinden müssen.
"Was für eine spezielle Nacht - insbesondere gegen diesen Gegner", jubelte Matchwinner Angeliño, der in der furiosen Startphase der Leipziger ein Tor selbst geschossen (2.) und eines für Amadou Haidara aufgelegt hatte (13.). Der Leihspieler von Manchester City hat eh ein gespaltenes Verhältnis zum Erzrivalen Manchester United. Dazu hatte ManUtd RB Leipzig vor sechs Wochen mit der höchsten Niederlage der Klubgeschichte (0:5) nach Hause geschickt. "Let's call it revenge!", twitterte Stürmer Emil Forsberg.
RB beherrscht Manchester grandios
Wohl kaum ein anderes Team veranstaltet derzeit in Europa so viel Spektakel und Drama wie RB Leipzig - mit einer Bilanz von 11:12 Toren lässt sich normalerweise kein Blumentopf gewinnen - und ist dennoch erfolgreich. Ob RB als Gruppenerster oder -zweiter bei der Auslosung der Runde der letzten 16 am Montag dabei ist, hängt noch vom Ausgang des unterbrochenen Spiels zwischen Paris St. Germain und Basaksehir Istanbul ab. In diesem "Finale" in der Hammer-Gruppe H war exemplarisch all das zu sehen, was RB Leipzig kann - immer öfter auch gegen international erfahrene Topteams - und was den Leipzigern bei der Entwicklung zur Spitzenmannschaft noch fehlt.
Wie virtuos der Halbfinalist der Vorsaison den englischen Rekordmeister in der ersten halben Stunde beherrschte, war grandios. Dem Plan von Trainer Julian Nagelsmann perfekt folgend zog RB das Spiel auf eine Seite, um dann blitzschnell zu verlagern. "Sie haben Probleme, auf Spielverlagerungen in ballfernen Räumen zu reagieren. Das können wir gut, wenn wir den Blick dafür haben", freute sich der Trainer. Marcel Sabitzers Flanke aus dem Halbfeld, die der stürmende Linksverteidiger Angeliño ins Tor wuchtete, war ebenso einstudiert, wie das 2:0, als der Spanier nach innen flankte, wo die Kollegen Platz für Haidara am zweiten Pfosten schufen, indem sie ihre Gegenspieler vom Torschützen weglockten.
"Das sind Laufwege, die ich im Teamsport brauche, um dem anderen das Tor zu schenken, indem ich den Raum freiziehe", dozierte Leipzig Fußballlehrer. Nagelsmanns komplexe Matchpläne mutig umzusetzen, beherrscht Leipzig mittlerweile außerordentlich gut. "Wir sind reifer geworden, verstecken uns nicht. Wir haben auch gegen Topmannschaften die Ruhe am Ball", sagte Kapitän Sabitzer.
Doch zur Wahrheit gehört auch, dass RB Probleme hat, Vorsprünge auszubauen und zu halten. Emil Forsberg schoss frei stehend neben den Kasten (17.); ein Treffer des überragenden Innenverteidigers Willi Orban wurde wegen Abseits zurückgenommen (30.). So kamen die Comeback-Profis von Man United nach einer halben Stunde zurück und bestimmten fortan die Partie. "Wir hatten wieder Momente, in denen der Gegner aktiv verteidigt hat und wir an Aktivität verloren haben", analysierte Nagelsmann. Ein generelles Problem derzeit, durch das Leipzig Dominanz zu leichtfertig herschenkt.
"Gegen Ende noch nicht abgezockt"
Doch RB verteidigte grandios, sodass die Partie zu einer echten Abwehrschlacht mutierte. Daran, dass selbst Kluiverts 3:0 nicht für Ruhe im Leipziger Spiel sorgte, muss Nagelsmann zwingend arbeiten; Manchester steckte nicht auf und stellte auch mithilfe des Schiedsrichters den Anschluss her. Erst entschied Lahoz bei einem Rempler auf Foulelfmeter gegen Ibrahima Konaté, den Bruno Fernandes verwandelte (80.); dann köpfte Paul Pogba den Ball an die Hand von Harry Maguire und den Oberschenkel von Pechvogel Konaté, der als Eigentorschütze zum 3:2 (82.) gewertet wurde.
RB wurde immer zittriger, der Ausgleich, der das Aus für die Gastgeber bedeutet hätte, lag schwer wie Blei über dem Leipziger Stadion. Am Ende musste Gulacsi einen Querschläger seines Teamkollegen Mukiele retten, der um ein Haar das nächste Eigentor erzielt hätte (90.+4). "Man sieht immer noch, dass wir eine junge Mannschaft sind, dass wir gerade gegen Ende noch nicht abgezockt sind", sagte Routinier Orban. "Wir machen Schritte, aber das braucht Zeit."
Dennoch schaffte es der Red-Bull-Klub bei der erst dritten Champions-League-Teilnahme zum zweiten Mal in die K.-o.-Phase, was allein an Prämien an diesem Abend zwölf Millionen Euro einbrachte sowie internationales Renommee. "Der Sieg ist sehr bedeutend für die Jungs, dass sie realisieren, dass wir im vergangenen Jahr kein One-Hit-Wonder waren", sagte Nagelsmann. "Das ist wichtig, um Spieler an den Klub zu binden und neue zu finden. Wir haben als junger Verein ein Zeichen gesetzt."
Quelle: ntv.de