Fußball

Problem ohne Patentlösung Eine Lücke namens Ballack

Die erste schlechte Nachricht kam vom DFB: Michael Ballack fehlt bei der WM. Die zweite folgte auf dem Fuß: Die WM findet trotzdem statt. Nur gut, dass sie erst am 11. Juni beginnt. Bundestrainer Löw bleibt also genügend Zeit, das Ballack-Loch im deutschen Mittelfeld zu stopfen. Aber hat er auch genügend Alternativen?

Michael Ballack hat sich die Bänder im Knöchel gerissen, Joachim Löw hat nun ein Problem.

Michael Ballack hat sich die Bänder im Knöchel gerissen, Joachim Löw hat nun ein Problem.

(Foto: dpa)

Michael Ballack fährt nicht mit nach Südafrika. Bei Kanzlerin Angela Merkel sitzt der Schock so tief, dass sie sich noch nicht zur Lage der Fußball-Nation äußern konnte. Jens Lehmann hingegen schon. Er glaubt nicht daran, dass die Nationalelf den Verlust von Ballacks "ungeheurer Präsenz" im Mittelfeld in Südafrika ausgleichen kann. "Das ist ein sehr, sehr großer Verlust, den man auch nicht kompensieren kann", kommentierte Lehmann bei der Vorstellung seines Buches ("Der Wahnsinn liegt auf dem Platz") das bittere Aus des Kapitäns. Ähnliches war von Jens Lehmann allerdings auch schon zur Nicht-WM-Teilnahme von Jens Lehmann zu vernehmen.

Dezent optimistischer ist WM-Teilnehmer Dejan Stankovic. Der Mittelfeldspieler von Inter Mailand trifft in der WM-Vorrunde mit Serbien auf das DFB-Team. Er glaubt: "Ich bin sicher, dass sie einen Spieler finden werden, der ihn gut ersetzen kann." Seine Begründung: "Das sind doch Deutsche."

Wir glauben: Nüchtern betrachtet sind fünf deutsche Rettungsszenarien denkbar. Ein spekulativer Überblick.

Szenario 1: Die dezente Beförderung

Zumindest nominell wird Bastian Schweinsteiger bei der WM der neue Chef in der Mittelfeldzentrale. Dort hat er bei den Bayern unter Louis van Gaal seine Erfüllung gefunden, dort ist er in der womöglich erfolgreichsten Bayern-Saison aller Zeiten gut und präsent wie nie zuvor. Dort allerdings hat er in der Nationalmannschaft bislang selten gespielt und noch seltener überzeugt - und auch keinen Mark van Bommel an seiner Seite, der neben und hinter ihm kompromisslos die Freiräume schafft, in denen Schweinsteiger im Spielaufbau mit Selbstbewusstsein und Übersicht glänzen kann.

Die neue Doppel-Sechs? Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger sind derzeit die wahrscheinlichste Variante.

Die neue Doppel-Sechs? Sami Khedira und Bastian Schweinsteiger sind derzeit die wahrscheinlichste Variante.

(Foto: dpa)

Ob Schweinsteiger auch im Nationalteam die Leitfigur werden kann, die Löw schon lange in ihm sieht,  hängt folglich vom zweiten Sechser ab. Der wird aller Voraussicht nach Sami Khedira heißen, ist 23 Jahre alt, hat bislang drei A-Länderspiele in seiner Vita stehen, laut Löw aber "sehr viel Potenzial". Problematisch bleibt: Khedira denkt und spielt wie Schweinsteiger eher offensiv. Zwei angriffslustige Sechser würden bei kreativen Vorderleuten wie Mesut Özil, Toni Kroos oder Thomas Müller die Balance im deutschen Spiel empfindlich stören. Spielt der beste Schweinsteiger aller Zeiten hingegen im Nationalteam ein wenig wie Mark van Bommel und stellt sich wie zuletzt Ballack defensiv selbstlos in den Dienst der Mannschaft, könnte es klappen. Spielerisch ist er fraglos weit genug, am nötigen Selbstbewusstsein mangelt es ebenfalls nicht.

Wahrscheinlichkeit: 65 Prozent

Szenario 2: Der Abschied

Seit dem EM-Viertelfinale gegen Portugal setzt Joachim Löw in wichtigen Spielen auf die Doppel-Sechs in einem 4-2-3-1-System. Das WM-Aus von Ballack könnte den dauerhaften Abschied von dieser bewährten Taktik einleiten, der er im letzten Test gegen Malta bereits geprobt wurde. Nur: Gegen die schwachen Malteser konnte Deutschland mit einem Sechser nicht überzeugen. In der ersten Halbzeit probierte sich Sami Khedira erfolglos als Stabilisator vor der Abwehr. Vereinskollege Christian Träsch, die einzige echte Alternative zu Khedira im vorläufigen Kader, konnte sich gegen Malta nicht empfehlen. Er wurde als Rechtsverteidiger eingesetzt. 

Neben einer recht offensiven Abwandlung des 4-2-3-1 in ein 4-1-3-2 böte sich deshalb die Rückkehr zu einer Raute in einem 4-4-2-System an. Wie die Aufgaben dort verteilt werden, muss sich erst noch herauskristallisieren. Den zentralen Platz vor der Abwehr dürfte aber Schweinsteiger einnehmen, obwohl er im Nationalteam bislang seinen Stammplatz im rechten Mittelfeld hatte.

Wahrscheinlichkeit: 15 Prozent

Szenario 3: Die Umschulung

Gegen England hat Philipp Lahm als Sechser schon einmal überzeugt. Das war allerdings 2007.

Gegen England hat Philipp Lahm als Sechser schon einmal überzeugt. Das war allerdings 2007.

(Foto: REUTERS)

Mit einem Überschussangebot im defensiven Mittelfeld ist Bundestrainer Joachim Löw nicht gesegnet. Keiner der vier Spieler, die bei der Europameisterschaft 2008 für die Besetzung der Doppel-Sechs in Frage kamen, steht in Löws vorläufigem Aufgebot und damit in Südafrika zur Verfügung. Ballack ist verletzt. Simon Rolfes, Löws Wunschspieler als defensiver Sechser, traut sich ein großes Turnier nach seiner langwierigen Knieverletzung noch nicht zu. Thomas Hitzlspergers Winterpausen-Wechsel endete mit einem Bankplatz bei Lazio Rom statt eines Stammplatzes im DFB-Team. Und Torsten Frings ist im Nationalteam eine persona non grata. Offiziell, weil er nicht ins taktische Konzept passt. Inoffiziell, weil Löw mit dem bisweilen knurrigen Bremer zwischenmenschlich nicht kann.

Sollten die Ersatz-Sechser Khedira und Träsch neben Schweinsteiger an ihre bescheidene Form gegen Fußballzwerg Malta anknüpfen, könnte sich Löw an den August 2007 erinnern: Damals half Philipp Lahm im Testspiel gegen England auf der Sechs aus. Lahm überzeugte, Deutschland gewann 2:1. Als Dauerlösung im Mittelfeld wäre der Münchner kein Risiko: Seine mangelnde physische Präsenz macht er mit hervorragendem Stellungsspiel, geschicktem Zweikampfverhalten und großer Spielübersicht wett.

Allerdings, und das wäre ein Dilemma: Wenn Lahm im Mittelfeld spielt, kann er nicht in der Abwehr spielen. Dort ist er jedoch neben Per Mertesacker seit der WM 2006 die einzige Konstante und als offensiver Impulsgeber auf der Außenbahn unverzichtbar.

Wahrscheinlichkeit: 15 Prozent

Szenario 4: Die Überraschung

Mit fortschreitender WM-Vorbereitung reift in Joachim Löw die Erkenntnis, dass die Alternativen im vorläufigen WM-Kader keine Alternativen sind. Weil er anders als zunächst angenommen doch nicht die Qual der Wahl hat, nominiert er erst Ballack für die WM und für den dann noch einen auch einsatzbereiten Sechser nach. Die Frage wäre nur, wen?

Der Dortmunder Mats Hummels (Mitte) hat beim BVB auch im defensiven Mittelfeld überzeugt. Für die WM wird das nicht reichen.

Der Dortmunder Mats Hummels (Mitte) hat beim BVB auch im defensiven Mittelfeld überzeugt. Für die WM wird das nicht reichen.

(Foto: dpa)

Die natürliche erste Wahl, Torsten Frings, ist keine Option. Er ist, wie Löw und Bierhoff auf Sizilien mehr oder weniger verklausuliert wiederholen, nicht mehr erwünscht. Tim Borowski (Werder Bremen) ist seit Juni 2008 kein Nationalspieler mehr, Mats Hummels (Borussia Dortmund) und Stefan Reinartz (Bayer Leverkusen) sind zu unerfahren, Sebastian Kehl (BVB) schon lange vom Nationalmannschaftsradar verschwunden, Simon Rolfes (Bayer Leverkusen) ist noch nicht bereit, Thomas Hitzlsperger im Formtief. Sollte die Not allerdings tatsächlich so groß sein, dass Löw auf eine Nachnominierung nicht verzichten will, wäre Hitzlsperger als Ex-Stuttgarter mangels Alternativen wohl erste Wahl.

Wahrscheinlichkeit: 5 Prozent

Szenario 5: Die Sensation

Torsten Frings' Rückkehr in die Nationalmannschaft wäre die größte Nationalmannschafts-Überraschung seit David Odonkor.

Torsten Frings' Rückkehr in die Nationalmannschaft wäre die größte Nationalmannschafts-Überraschung seit David Odonkor.

(Foto: dpa)

Bundestrainer Joachim Löw gesteht sich nach intensiven Analysen mit seinem Trainerstab in Folge eines 2:5 im Testspiel gegen Ungarn doch noch ein, dass ihm mit Ballack mehr als ein defensiver Mittelfeldspieler abhanden gekommen ist. Also beherzigt er, was n-tv WM-Experte Olaf Thon schon direkt nach der Hiobsbotschaft vom Ballack-Ausfall gefordert hatte: "Jetzt gilt es, möglichst schnell für einen Ersatz zu sorgen. Und der kann meines Erachtens nur Torsten Frings heißen."

Glück im Unglück: Löws später Hilferuf wird prompt erhört. Nach dem ersten Klingeln nimmt Frings, der angestachelt durch Willi Lemke in den Wochen zuvor wahlweise via "Bild", "Kreiszeitung Syke" und "Sport Bild" diskrete Lebenszeichen gen Löw gesandt hat, den Anruf entgegen - und stößt schon 10 Minuten später zum DFB-Team, weil er seinen Sommerurlaub bis dahin zufällig im Hotel neben dem deutschen Trainingslager verbracht hat.

Wahrscheinlichkeit: 0,0 Prozent

Quelle: ntv.de

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