Fußball

"Haben die WM nicht Brasilien aufgezwungen" Fifa-Boss Blatter kanzelt Proteste ab

Für Fifa-Präsident Joseph Blatter zählen nur die Einnahmen, und die werden für den Fußball-Weltverband auch in Brasilien stimmen.

Für Fifa-Präsident Joseph Blatter zählen nur die Einnahmen, und die werden für den Fußball-Weltverband auch in Brasilien stimmen.

(Foto: AP)

Kein Verständnis für die Demonstranten, keine Verantwortung für die exorbitanten WM-Kosten: Für Joseph Blatter sind die Großproteste in Brasilien "keine Angelegenheit für die Fifa", obwohl Experten keineswegs ein strahlendes WM-Erbe erwarten. Brasiliens Fußballer solidarisieren sich mit der Protestwelle, vielleicht sogar auf dem Platz.

Unterstützung von Brasiliens Fußball-Nationalmannschaft, Kritik von Fifa-Präsident Joseph Blatter: Während die Großdemonstrationen in Brasilien gegen soziale Missstände und die Milliardenkosten für die Fußball-WM 2014 weitergehen, zeigt sich der Sport gespalten in seinen Reaktionen. Der umstrittene Weltverbands-Präsident Blatter äußerte Kritik an den Demonstranten und sprach die Fifa von jeder Schuld an den exorbitanten WM-Kosten und den Protesten frei.

Blatter bei der Eröffnung des Confed Cups.

Blatter bei der Eröffnung des Confed Cups.

(Foto: AP)

In einem Exklusiv-Interview mit dem brasilianischen TV-Sender Globo sagte der 77-Jährige zu den landesweiten Protestkundgebungen im Rahmen der WM-Generalprobe Confed Cup: "Brasilien hat sich um diese WM beworben. Wir haben die WM nicht Brasilien aufgezwungen."

Die Kritik an den Kosten der Stadien könne der Schweizer deshalb nicht verstehen, zumal auch Busbahnhöfe, Hotels oder Flughäfen gebaut oder ausgebaut würden. "Das sind Objekte des Vermächtnisses für die Zukunft", sagte Blatter. Zwar habe er Verständnis, dass die "Menschen nicht glücklich sind", aber man solle doch nicht den Fußball nutzen, um Forderungen zu verkünden.

Vergangenheit widerlegt Blatter

Mit dieser Argumentation zog sich Blatter auf bekannte Fifa-Standpunkte zurück, die jedoch von vergangenen WM-Endrunden widerlegt werden. In Südafrika, WM-Ausrichter 2010, sind zahlreiche Stadien ein nutzloses und teures Erbe, eine Herde Weiße Elefanten. Großbauten, die nicht wirtschaftlich genutzt werden können und lediglich hohe Kosten verursachen. Einige Arenen, wie das Stadion in Kapstadt, wurden eigens auf Fifa-Geheiß gebaut, obwohl auch vorhandene Stadien hätten genutzt werden können. Um eine sinnvolle Nachnutzung kümmert sich die Fifa nicht, sie will nur prächtige Fußballtempel für ihr Premiumprodukt WM. Während Südafrika mit der Endrunde mehr als drei Milliarden Euro Verlust machte, verbuchte die Fifa Einnahmen von mehr als zwei Milliarden.

Die Fifa fordert schöne Stadien mit großen Kapazitäten für die WM. Was danach in den Arenen passiert, interessiert den Fußball-Weltverband nicht.

Die Fifa fordert schöne Stadien mit großen Kapazitäten für die WM. Was danach in den Arenen passiert, interessiert den Fußball-Weltverband nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)

Für die WM 2014 in Brasilien erwarten Jens Alm und sein Kollege Jens Sejer Andersen vom Dänischen Institut für Sportwissenschaften sogar eine im internationalen Vergleich unterdurchschnittliche Auslastung der Stadien und damit ein problematisches WM-Erbe (zum Originalartikel). Wenn sich die Besuchszahlen bis 2014 nicht dramatisch erhöhen sollten, werden einige der hochmodernen Arenen als Weiße Elefanten enden. Gefährdet seien insbesondere die neuen, 42.000 Zuschauer fassenden Stadien in Manaus, Cuiabá und Natal sowie das renovierte Stadion in Brasilia, in das über 70.000 Zuschauer hineinpassen. Der Hauptnutzer in allen vier Stadien sind unterklassige Fußballklubs mit durchschnittlichen Zuschauerzahlen von 2000 bis 5600 Fans. Ausgewählt wurden die Spielorte auch deshalb, da sich die Fifa ein Turnier im gesamten Land wünscht.

World Stadium Index

In einer dänischen Studie mit dem Titel "Strahlende Zukunft oder künftige Last" wurden die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von 75 Stadien untersucht, die zwischen 1996 und 2010 für sportliche Großereignisse erbaut oder umfassend renoviert wurden. Das Fazit: Die Formel "Wenn wir es erst gebaut haben, kommen die Leute schon" ist kein sinnvoller Geschäftsplan. Trotzdem wurde auch in Brasilien nach diesem Prinzip verfahren.

Die Studie (in Englisch) herunterladen.

Bereits im Mai 2012 war Alm in seinem "Welt Stadion Index" für Weltmeisterschaften deshalb zu dem Fazit gekommen: "Obwohl auch die Gastgeberländer eine Verantwortung haben, weil sie offiziell die Stadien für ihre Bewerbung auswählen, könnte die Fifa eine kritischere Haltung bei der Spielortauswahl an den Tag legen. Das wäre auch im Sinne des offiziellen Slogans: Entwickle das Spiel, berühre die Welt, errichte eine bessere Zukunft."

Keine Angelegenheit der Fifa

Für Blatter sind die Kundgebungen dennoch "keine Angelegenheit für die Fifa". Die brasilianische Regierung habe das zu verwalten und zu kontrollieren. "Das Einzige, was ich sagen kann: der gute Fußball und die hervorragenden Stadien, die wir anbieten, sind dazu da, zu unterhalten und Emotionen zu geben", sagte der Schweizer, der beim Eröffnungsspiel des Confed Cups von den Fans gemeinsam mit Brasiliens Staatschefin Dilma Rousseff ausgepfiffen worden war. Keine neue Erfahrung für Blatter.

Der brasilianische Ex-Nationalspieler Juninho rief Brasiliens Fußball-Nationalmannschaft derweil zu einer Solidaritätsaktion mit den Demonstranten auf. Die Spieler sollten vor der Confed-Cup-Partie in Fortaleza gegen Mexiko (21.00 Uhr MESZ/ZDF) die Nationalhymne mit dem Rücken zur Landesflagge mitsingen, schreibt der 38-Jährige auf seiner Facebook-Seite.

"Ich glaube, das wäre eine großartige Möglichkeit für die Spieler der Seleção zu zeigen, dass sie an den Wechsel in unserem Land glauben, einen friedlichen Protest unterstützen und nicht das ganze Leid und die Schwierigkeiten ... vergessen haben", erklärte Juninho. Brasiliens aktueller Nationalstürmer Hulk sagte in Fortaleza: "Viele denken, dass Fußballer nur an Fußball denken. Aber wir wissen, was gerade passiert. Wir wissen, dass sie Recht haben mit ihren Protesten und dass in unserem Land viele Dinge verbessert werden können."

Tausende Menschen auf den Straßen

Proteste in Sao Paulo.

Proteste in Sao Paulo.

(Foto: dpa)

Nach den Massendemonstrationen mit insgesamt 200.000 Teilnehmern am Wochenende waren am Dienstag erneut zehntausende Brasilianer auf die Straße gegangen. In São Paulo demonstrierten rund 50.000 Menschen, einige von ihnen plünderten Geschäfte und richteten Sachschaden an. Staatschefin Rousseff reiste in die Millionenmetropole, um mit ihrem Amtsvorgänger und politischen Ziehvater Luiz Inacio Lula da Silva über die Krise zu beraten.

Fünf der sechs Austragungsstädte des Fußball-Confed-Cups in Brasilien baten angesichts der sich ausweitenden Protestbewegungen inzwischen um die Entsendung von Truppen der Nationalgarde. Lediglich Recife verzichtet noch auf die zusätzlichen Ordnungskräfte aus der Bundeshauptstadt Brasília. Laut des zuständigen Justizministeriums machten die ersten Soldaten sich bereits am Dienstag auf dem Weg nach Fortaleza, Salvador, Belo Horizonte, Brasília und Rio de Janeiro. Die exakten Zahlen der entsendeten Sicherheitskräfte wurden nicht genannt.

Quelle: ntv.de, cwo/dpa/afp

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