Fußball

Zum Tod der Pott-Fußball-Legende Glück auf, Michael Tönnies!

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(Foto: imago/Christoph Reichwein)

Den FC Bayern hat er sich nicht zugetraut. Oliver Kahn hat er die Hütte vollgehauen. Seine Anlagen waren fantastisch, sein Wesen bescheiden. Nun ist Michael Tönnies tot. Unser n-tv.de Kolumnist erinnert an einen außergewöhnlichen Typen.

Sommer 2016. Auf einer Bühne in Bochum. Michael Tönnies schaut hinüber zu Lothar Woelk. Die beiden sind so etwas wie der Inbegriff der "alten Ruhrpott-Recken". Legenden bei ihren ehemaligen Vereinen, dem MSV Duisburg und dem VfL Bochum. An diesem Abend erzählen sie von früher. Es ist die Sorte von Geschichten, die mit den Jahren immer größer werden. Doch diese eine Story kann nicht mehr größer werden. Sie ist einmalig. Der "Lange" erwidert den Blick, schüttelt den Kopf und sagt: "Dicker, das kann ich bis heute nicht verstehen. Was hast du dir nur dabei gedacht?" Tönnies lächelt, zieht die Schultern hoch. "Tja, im Nachhinein, klar. War sicherlich nicht die beste Entscheidung meines Lebens. Aber damals habe ich gedacht: Lass doch noch mal wen anderes ran. Ich hatte doch schon fünf Buden gemacht." Es war seine Nacht.

Ein Stürmer mit allerbesten Anlagen: Michael Tönnies.

Ein Stürmer mit allerbesten Anlagen: Michael Tönnies.

(Foto: imago/Horstmüller)

Innerhalb von sechs Minuten, zwischen der 10. und 15., hatte Tönnies den bis dahin schnellsten Hattrick der Bundesligageschichte erzielt. Oliver Kahn im Tor des Gegners, dem Karlsruher SC, ging das an diesem unglaublichen Abend des Jahres 1991 alles viel zu schnell. Er hatte nicht einmal Zeit, richtig auszurasten. Und "Tornado", wie ihn die Fans des MSV riefen, legte dem späteren Nationalkeeper noch zwei weitere Tore ins Netz. Und dann? Nichts. Michael Tönnies ließ sich auswechseln. In der 80. Minute. Einfach so.

Jahrhundert-Rekord? Egal!

Lothar Woelk schüttelt auch 25 Jahre später noch den Kopf. Er ist fast sauer. Der "Lange" kann immer noch nicht verstehen, warum sein Kumpel damals nicht weitergemacht hat. An diesem Abend, an dem alles möglich schien. Nur noch ein Tor und Tönnies hätte den Jahrhundert-Rekord von Dieter Müller egalisiert. Und wer weiß? Vielleicht wäre sogar noch ein siebter Treffer drin gewesen. Ein Rekord für die Ewigkeit. Michael Tönnies hebt an diesem Sommerabend in Bochum noch einmal die Schultern. Dann seufzt er auf und schaut verzagt lächelnd zu Woelk: "Tja."

Es ist diese eine Geschichte, die das Leben des Torjägers Michael Tönnies aus dem Ruhrgebiet wie keine andere beschreibt. Der gebürtige Essener hatte alle Veranlagungen, um einer der ganz Großen im deutschen Fußball zu werden. Doch das entsprach einfach nicht seinem Naturell. Und dennoch - oder vielleicht gerade deshalb? - haben die Fans ihn geliebt. Vereinsübergreifend. Er ist einer dieser Typen, die wir immer so schmerzhaft vermissen, wenn wir ins graue Allerlei schauen und uns fragen, warum alles so langweilig gleich und gewöhnlich ist.

Michael Tönnies war kein Sprücheklopfer und dennoch hat er Sätze wie diesen gesagt: "Pommes und Pils, so konnte ich prima leben. Aber man wird reifer, lassen wir also die Pommes weg …". Das war damals, in der Endphase seiner Karriere. Jahre später dann der Schock. 2005 wurde ein Lungenemphysem bei Tönnies diagnostiziert. Der Mann, der einmal ein Angebot des Münchener Rekordmeisters ablehnte, weil er meinte, "die Bayern habe ich mir nicht zugetraut", gab sich schleichend auf. Doch dann passierte etwas Wunderbares.

Die Fanliebe als Lebenskraft

Fans des MSV überreichten Michael Tönnies, ihrem Idol aus Kindheitstagen, ein Buch. Sie hatten Texte gesammelt, in denen sie beschrieben, was der ehemalige MSV-Torjäger ihnen bedeutet. Als ich viele Jahre später mit Tönnies das erste Mal spreche, erzählt er mir, dass er noch heute ganz häufig, fast täglich, in diesem Buch lesen würde. Die Zeilen der Anhänger, ihre Zuneigung und Liebe retten Michael Tönnies das Leben. Sie ermuntern ihn, sich für eine Spenderlunge zu bewerben. Tönnies beginnt zu kämpfen. Er lässt sich nicht wie damals in dieser magischen Nacht auswechseln, sondern bleibt bis zum Schluss auf dem Platz. Und dann, 2013, ist es endlich so weit. Sein Kampf wird belohnt. Er erhält die Spenderlunge. Nun scheint alles gut zu werden.

Als wir eine Woche nach unserem gemeinsamen Abend im Sommer 2016 telefonieren, erzählt Michael Tönnies von seinem Plan, ein Benefizturnier auf die Beine zu stellen. Ich weiß noch, wie ich mich über seinen Tatendrang und seine Zukunftspläne gefreut habe. Auch als ich vor ein paar Tagen von einer Lesung las, die er mit seinem Buch hatte, habe ich mich gefreut und beruhigt gedacht: Dann geht es ihm Gott sei Dank gut, dann brauche ich den Lothar ja nicht nach ihm zu fragen.

Umso größer war gestern Nachmittag der Schock, als ich die Nachricht bekam. Michael, ich hätte dir gerne noch einmal gesagt, dass ich genau wegen Menschen, Typen wie dir den Fußball so sehr liebe. Dass ihr Helden für uns seid, weil ihr uns so unvergessliche Stunden beschert habt und Geschichten, die uns alle in der Erinnerung vereinen. Es bleibt am Ende nur ein Wort: Danke! Viel Kraft und Stärke seiner Familie. Glück auf, Michael Tönnies!

Quelle: ntv.de

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