6 Lehren des 29. Spieltags Guardiola rotiert ins Verderben, Klopp zaubert
07.04.2014, 12:36 Uhr
Let's dance: Jürgen Klopp führt, Michael Zorc folgt.
(Foto: dpa)
Die Bundesliga kehrte zurück in die Zeit, als der FC Bayern noch verlor, Spieler auch Trainer waren, und Schutzschwalben flogen. Der BVB kann nur 2. Halbzeit. Und 96 kassiert den dümmsten Platzverweis der Saison.
1. Jupp war der bessere Pep
Dieser Samstagnachmittag überforderte nicht nur den FC Bayern, sondern auch einige Sportjournalisten: "Guardiola rotiert Bayern ins Verderben", überschrieb der Sportinformationsdienst seinen ersten Bericht über die sensationelle Niederlage des Meisters in Augsburg. Kurze Zeit später kamen die Kollegen zur Besinnung und änderten die Überschrift. Noch mehr Zeit hatte der "Kicker", und das verhalf dem Blatt zu der einzig richtigen Schlagzeile: "Bayern hat verloren". Sie transportiert das Unglaubliche genauso gut wie das dazugehörige Foto: Josep Guardiola schreitet abwesend davon; Jerome Boateng kratzt sich an der Nase, als komme er bei einem Sudoku einfach nicht weiter; Rafinha guckt, als kramte er in seinem deutschen Wortschatz nach dem richtigen Wort für das, was da gerade passiert war. Und über allen schwebte ein riesiges Fragezeichen. Wie konnte das passieren? Erstmals seit dem 28. Oktober 2012 verließ der FC Bayern in der Bundesliga als Verlierer den Rasen. Mit noch mehr Abstand betrachtet, war es eine Niederlage mit Ankündigung. Guardiola brachte in der Startaufstellung eine Viererkette aus Ylli Sallahi, Daniel van Buyten, Javi Martinez und Mitchell Weiser. Die Stars um Bastian Schweinsteiger kickten lustlos und uninspiriert vor sich hin, wahrscheinlich weil sie ganz genau zugehört hatten, als ihr Coach die Bundesliga für beendet erklärte.
Immerhin zeigt das 0:1 in Augsburg drei Dinge: Wenigstens der dritte Anzug der Bayern schlägt üble Falten. Rekorde bedeuten Guardiola nichts, Titel dagegen alles. Und so viel besser als im Vorjahr spielt der Meister auch nicht - im Gegenteil, wenn man nur auf die Ergebnisse schaut. Das Team von Guardiola steht nach dem 29. Spieltag bei 78 Punkten, wie auch die Heynckes-Bayern aus der Vorsaison. Die hatten aber die bessere Tordifferenz: +70 (83:13) zu +65 (82:17). Aber die richtigen Guardiola-Bayern sehen wir wohl nur noch im Pokal und in der Champions League.
2. Dortmund kann nur noch zweite Halbzeiten
Borussia Dortmund hat unter Jürgen Klopp schon einige Fußballweisheiten widerlegt. Etwa, dass es sich hinten rächt, wenn du vorne Chancen im Dutzend vergibst. Oder dass du dem FC Bayern nicht zwei Jahre in Folge Paroli bieten kannst. Im Moment modifiziert der BVB das alte Herberger-Bonmot, wonach ein Spiel 90 Minuten dauert. Die Dortmunder stehen zwar pflichtschuldig von Anpfiff bis Abpfiff auf dem Platz. Fußball spielen sie aber nur 45 Minuten, genauer: in der 2. Halbzeit. Aber das reicht meist zum Sieg. Das war gegen Stuttgart so, wo die Dortmunder aus einem 1:2 noch ein 3:2 machten. Und das war gegen Wolfsburg so, wo in Halbzeit 1 nur das doppelte Lattenpech von Ivica Olic den K.o. für einen schwachen BVB verhindert hatte. Nach dem Wechsel dominierte Dortmund plötzlich die Partie. Nicht spielerisch, sondern mit Einsatzbereitschaft und unbedingtem Willen ersparte sich der BVB "mördermäßigen Druck" gegen einen direkten Konkurrenten um die Champions-League-Qualifikation. Die Tore, erzielt mit Robert Lewandowskis Rücken und nach einem Fehler von Wolfsburgs Keeper Max Grün, waren erzwungen statt herauskombiniert. "Wir haben das System umgestellt und konnten besser attackieren", erklärte Trainer Jürgen Klopp seinen großen Anteil am Erfolg: "Und dann hat die Mannschaft eine unfassbar gute Mentalität gezeigt. Das sah in der zweiten Halbzeit richtig gut aus." Verfeinern muss der BVB diese Taktik nur noch für die Champions League: Dort folgte einer katastrophalen ersten Halbzeit gegen Real Madrid eine ordentliche zweite. Dennoch gewann Real mit 3:0. Für das Rückspiel am Dienstag sollten Klopps Mentalitäts-Monster deshalb den Antrag stellen, einfach zwei zweite Halbzeiten spielen zu dürfen.
3. Mündige Profis brauchen souveräne Trainer
Das Modell des Spielertrainers ist aus der Mode gekommen. Vorbei die Zeiten, als sich "die weiße Feder" Gianluca Vialli beim FC Chelsea selbst einwechselte. Die Bundesliga-Statuten verbieten sogar, dass ein Spieler auch als Trainer fungiert. Was sie nicht verhindern können, sind eigenmächtige Entscheidungen der Akteure. So wie im Bremer Weserstadion, als Schalkes Führungsspieler Kevin-Prince Boateng auf dem Rasen die Aufstellung von Trainer Jens Keller änderte. Er zog sich zurück auf die Sechs, beorderte Julian Draxler auf seinen Platz in die Zentrale, und Leon Goretzka musste auf links außen weitermachen. Der derarte übergangene Chef sah, dass es gut war: "Ich war begeistert und habe in der Halbzeit gesagt: Alles richtig gemacht", sagte Jens Keller. Sportdirektor Horst Heldt wurde gar grundsätzlich: "Wir fragen immer: Wo sind Führungsspieler? Und wenn Führung übernommen wird, bemängeln Sie das auch wieder." Diese betont gelassene Interpretation - nochmal Heldt: "Sie gehen ja auch nicht nur auf Toilette, wenn sie ihren Chef gefragt haben." - konnten sich die Schalker aber auch nur leisten, weil die Rochade die Mannschaft stabilisierte und letztlich einen Punkt in einem schweren Match sicherte. Was die sportliche Leitung von S04 wirklich von antiautoritärem Fußball hält, erfahren wir, wenn so ein Experiment mal nach hinten losgeht.
4. Der Trend geht zum modernen Kurzzeittrainer
Vor zwei Wochen haben sich die 36 Profiklubs in 1. und 2. Fußball-Bundesliga entschieden, ein Zeichen zu setzen. Die Botschaft lautete: Wir sind unmodern, Torlinientechnik kommt uns deshalb nicht ins Stadion. Das ärgerte die Schiedsrichter. Und das passte so gar nicht zum Image, das sich der deutsche Fußball in den vergangenen Jahren mit einer spielwütigen Nationalmannschaft, einem begeisternden "German Endspiel" in der Champions League und einer Flut junger Bundesliga-Trainer erarbeitet hatte. Mit Markus Weinzierl, Markus Gisdol, Thomas Schneider, Tayfun Korkut, Thomas Tuchel und Sami Hyypia gehörte zum Rückrundenstart ein Drittel aller Erstliga-Coaches zur Generation "Jung und modern". Die Klubs trauten sich etwas. Inzwischen ist Schneider in Stuttgart gegen den alten Haudegen Stevens ausgetauscht worden. Leverkusens Hyypiä wurde am Samstag durch Notnagel Sascha Lewandowski ersetzt und sucht nun den Supertrainer. Und Tayfun Korkut, gelobt für sein Tiki-taka, bekommt in Hannover noch eine Gnadenfrist bis zum nächsten Heimspiel. Als Nachfolger werden Ewald Lienen und Bruno Labbadia gehandelt.
Gemeinsam ist den Jung-Coaches, dass ihre Mannschaften nach gutem Start irgendwann anfingen, aus guten Leistungen nur noch schlechte Ergebnisse rauszuholen. Für Ex-Keeper und Bezahl-Fernsehexperte Jens Lehmann ist das keine ungewöhnliche Entwicklung. Er hält Jugendfußball und Bundesligafußball aufgrund der unterschiedlichen Spieleransprache sogar für zwei verschiedene Sportarten. Erkenntnisse als Jugendtrainer lassen sich nur bedingt in den Profibereich transferieren. Der Abstiegskampf, in dem sich Stuttgart und Hannover befinden, verschärft die Situation weiter. Scheitert auch Korkut, wäre Hannover nach Hamburg und Stuttgart schon der dritte Bundesliga-Klub, der in dieser Saison zweimal den Trainer wechselt. Den Trend zum Kurzzeittrainer klingt modern, exklusiv hat den die Bundesliga aber nicht. In England sind von 20 Erstligatrainern nur sieben länger als ein Jahr im Amt. Immerhin hat die Premier League die Torlinientechnik.
5. Rote Karten gibt es auch, wenn abgepfiffen ist
Das Wort Sportpsychologe hat seinen negativen Klang verloren. Viele Teams aus der Fußball-Bundesliga gehen sehr offen damit um, dass sie nicht nur die Füße, sondern auch die Köpfe der Spieler trainieren. Auch Hannover 96 hat in dieser Saison schon Mentaltrainer herangezogen, wirklich genutzt scheint es aber nicht zu haben. Die Niedersachsen befinden sich nach der herben 0:3-Derbyklatsche in Braunschweig wieder mitten im Abstiegskampf. Das Restprogramm: Hamburger SV, Eintracht Frankfurt, VfB Stuttgart, 1. FC Nürnberg, SC Freiburg. Lauter direkte Duelle also, die – Achtung Binse – auch im Kopf entschieden werden. Wer das Spiel in Braunschweig so beobachtete, wird Zweifel hegen, ob die 96er für diese letzte harte Phase der Saison bereit sind. In der 62. Minute pfiff Schiedsrichter Peter Gagelmann einen Zweikampf kurz vor der Mittellinie ab. Der Ball aber lief weiter in Richtung Hannoveraner Strafraum, wo Verteidiger André Hoffmann sich einen Moment puren Wahnsinns leistete: Er trat Mirko Boland einfach mit voller Wucht von hinten um. Der dümmste Platzverweis der Saison und mal wieder der Beweis: Im Abstiegskampf ist alles Nervensache.
6. Im Fußball gleicht sich alles aus - manchmal
Fast 20 Jahre ist sie nun schon alt, die legendäre "Schutzschwalbe". Im Frühjahr 1995 hob der Dortmunder Andy Möller im Karlsruher Strafraum spektakulär ab. "Zwischen ihm und mir hätte ein Kleinwagen parken können - da fiel er plötzlich hin", erinnerte sich Gegenspieler Dirk Schuster später im "Spiegel". Feindkontakt hatte Möller keinen. Trotzdem gab es Elfmeter. Noch lächerlicher als die Schiedsrichterentscheidung war Möllers Rechtfertigung, der Angst um die eigene Gesundheit als Grund für seine Schwalbe anführte.
Ganz so spektakulär war es am Samstag in Franken nicht. In der 78. Minute dribbelte Gladbachs Max Kruse in den Nürnberger Strafraum. Dort wollte ihn Mike Frantz stoppen, zog aber im letzten Moment zurück. Zu spät für Air Kruse, der in Erwartung einer Grätsche schon abgehoben hatte und theatralisch zu Boden segelte. Kruse behauptete zwar, eine Schwalbe "war es nicht" und gab zu bedenken, er habe schließlich "noch nie in meinem Leben eine gemacht". Die Zeitlupen stützen diese Version aber nur bedingt. "Er lässt sich fallen", fand dann auch Nürnbergs Coach Gertjan Verbeek und sprach von "Schauspielerei". Noch empörter war sein Keeper Raphael Schäfer, der beim folgenden Strafstoß - von Kruse selbst zum 2:0-Endstand verwandelt - machtlos war. Er schlussfolgerte aus dem "selten lächerlichen Elfmeter", dass "wir in den letzten Spielen vielleicht auch mal so unfair spielen müssen. Das Fairplay ist mir jetzt scheißegal, wenn die anderen sich so benehmen."
Als Gralshüter der Fußballfairness taugt Nürnberg ohnehin nur bedingt. Im Februar 2013, als sich der "Club" und Gladbach zuletzt in Nürnberg gegenüberstanden hatten, gab es schon in der 3. Minute Elfmeter - nach vermeintlichem Foulspiel an Nürnbergs Mike Frantz. Die "Sportbild" titelte hinterher: "Frantz taucht ab ... Dreiste Schwalbe leitet Nürnberg-Sieg ein".
Quelle: ntv.de