Fußball

2014 ist jetzt James Rodríguez erinnert die Welt an ein riesiges Talent

James Rodríguez hat während der Copa sein Lachen wiedergefunden.

James Rodríguez hat während der Copa sein Lachen wiedergefunden.

(Foto: IMAGO/Agencia-MexSport)

Fehlende Disziplin, Übergewicht und geniale Momente. Was in den 80ern und 90ern noch die festen Bestandteile vieler großer Karrieren sind, führt im modernen Fußball in zwei Jahren über drei Kontinente. Und doch: James Rodríguez rettet in der Copa América eine Karriere, die viele schon vergessen hatten.

2014 schwebt James in einer heute kaum noch vorstellbaren Dimension. Bei der WM in Brasilien wird er Torschützenkönig, sein Treffer gegen Uruguay im Viertelfinale ist Fußball-Kulturerbe, bevor der Ball wieder am Mittelkreis liegt. James steht mit dem Rücken zum Tor, etwa vier Meter vor dem Strafraum. Er nimmt einen hohen Pass mit der Brust an, dreht sich, und zieht ab, bevor der Ball den Boden berühren kann. Der Schuss geht gegen die Unterkante der Latte und von da ins Netz. Später erhält James dafür den Puskas-Preis für das schönste Tor des Jahres. Nach dem Turnier überweist Real Madrid 80 Millionen Euro an die AS Monaco, um sich die Dienste des 23-Jährigen zu sichern. Nur für Zinédine Zidane, Cristiano Ronaldo und Gareth Bale hatten die Königlichen damals noch tiefer in die Tasche gegriffen.

Er ist ein Superstar. Ein ausverkauftes Bernabeu huldigt dem kolumbianischen Goldjungen, das Trikot mit der Nummer 10 (natürlich) ist kurz nach Bekanntgabe des Wechsels das meistverkaufte Kleidungsstück der europäischen Textilindustrie. In den Kommentarspalten unter den etlichen Artikeln zum Thema diskutiert manch ein Fan schon die Ablösung von Cristiano Ronaldo als Gesicht der Königlichen.

"Was mache ich eigentlich hier?"

Spult man an diesem Punkt des grenzenlosen Hypes um einen vorher nur Experten und Hobby-Scouts bekannten offensiven Mittelfeldspieler schlicht zehn Jahre nach vorne, wirkt die Gegenwart nur allzu logisch. James Rodríguez bricht mit sechs Vorlagen in der Copa América noch vor dem Endspiel einen uralten Rekord von Pelé. Der Zauberfuß führt seine Kolumbianer als Kapitän ins Finale gegen Argentinien. Doch hinter James Rodríguez liegt keine vor Erfolgsmeldungen strotzende Dekade, sondern eine enorm komplizierte und verworrene Karriere.

In der bestreitet er zwar Spiele für Real Madrid, aber auch für Al-Rayyan SC, er steht in der Allianz-Arena für den FC Bayern auf dem Feld, aber auch für Olympiakos Piräus und den FC Everton. Beim deutschen Rekordmeister läuft es sogar richtig gut, vor allem unter dem kurzzeitig zurückgekehrten Jupp Heynckes. Insgesamt steuert er in 41 Bundesliga-Partien 14 Treffer und 15 Vorlagen zu zwei gewonnen Meisterschaften bei. Der FC Bayern will die vereinbarte Kaufoption ziehen und den Mittelfeldspieler für 42 Millionen Euro an den Klub binden, doch dazu kommt es nicht. James selbst ist dagegen, bittet den Verein, ihn nicht unter Vertrag zu nehmen. Denn trotz der guten Leistungen wird er nie ganz warm in München - im Wortsinn. "Es gab Tage, da bin ich um 9 Uhr morgens in die Arbeit gegangen und es waren -28 Grad. Da habe ich mich gefragt: 'Was mache ich eigentlich hier?'", erklärt er Globo Esporte in einem Interview.

Veränderung ist die einzige Konstante

Also geht es wieder zurück in die spanische Sonne, wo ihm vor wie auch nach seiner Leihe zwei Dinge Sorgen bereiten: Verletzungen und der mangelnde Platz in Reals Startelf. Insgesamt steht er sechs Jahre in Madrid unter Vertrag. James spielt in seinen 125 Partien für die Königlichen auf vier unterschiedlichen Positionen: zentrales Mittelfeld, offensives Mittelfeld, Rechtsaußen, Linksaußen. In nur einem Drittel der Spiele steht er die vollen 90 Minuten auf dem Feld. Veränderung ist die einzige Konstante. Dazu setzen ihn 2015 erst ein Mittelfußbruch, dann ein Muskelbündelriss lange außer Gefecht. Nach seiner Rückkehr aus München bestreitet er wegen mehrerer Verletzungen und Trainingsrückstand zwischen Oktober 2019 und Juni 2020 ein einziges Ligaspiel.

Im Anschluss scheint James seine eigene Karriere im Eiltempo abzumoderieren. Ablösefreier Wechsel nach Everton. Mit 29 geht es 2022 für gerade einmal 16 Spiele weiter zum Al-Rayyan SC nach Katar. Kurz darauf folgt dann zwar noch eine Rückkehr nach Europa zu Olympiakos Piräus. Doch die Griechen setzen ihn nach nur 23 Einsätze wieder vor die Tür. Der abenteuerliche Ritt endet mit Vereinslosigkeit.

Die letzte Ausfahrt

James selbst ist am Blitz-Abstieg nicht unschuldig. Rafa Benitez, sein Coach in Everton, sagt etwa: "Er hat sich im Training nie bemüht, aber immer Ansprüche auf einen Startelfplatz gestellt." Nach dem Katar-Aufenthalt merkt er an, dass es ein Problem für ihn war, nicht mit Besteck essen zu können. "Das Leben und die Kultur in Katar sind sehr schwierig. Es war schwer, sich anzupassen", erklärt er Globo Esporte. Auch nicht nackt duschen zu dürfen, habe ihn schockiert. Wie auch im Fall der Münchener Wetterkritik darf man sich fragen, woher James eigentlich seine Informationen bezüglich potenzieller künftiger Arbeitgeber bezieht. 2023 vermittelt Ex-Bayern-Star Rafinha einen Wechsel zum FC São Paulo. Den will James nach wenigen Monaten schon wieder verlassen, brasilianische Medien berichten von Gewichtsproblemen. Irgendwas ist immer. Am Ende bleibt er in São Paulo, spielt sportlich jedoch kaum eine nennenswerte Rolle.

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Wäre all das nicht bekannt, die Fans in den Stadien der Copa América könnten es kaum glauben. So gewitzt, so abgeklärt lenkt James seine Kolumbianer durch das Turnier. Zehn Jahre nach seiner sensationellen WM glänzt er wieder einmal für die Nationalmannschaft. Und wie auch 2014 könnte er nach einem guten Sommer zu einem neuen Klub wechseln. São Paulo dürfte ihm keine Steine in den Weg legen. Wahrscheinlich ist das aber auch egal. James scheint im modernen Klub-Fußball einfach nicht nachhaltig zu funktionieren.

Im gelben Dress der Kolumbianer aber kann er die Welt verzaubern. Und so war die Copa América in den USA für ihn nicht der glorreiche letzte Höhepunkt einer Weltkarriere, sondern die letzte Ausfahrt, um seine Laufbahn zu einem versöhnlichen Ende zu führen. Er hat sie bekommen.

Quelle: ntv.de

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