Coach braucht jetzt ein Comeback Kein Rekorddebakel ist für Hasenhüttl zu groß
13.02.2021, 09:19 Uhr
Ralph Hasenhüttl ist der unumstrittenste Negativrekordtrainer der Welt!
(Foto: imago images/PA Images)
Southampton-Trainer Ralph Hasenhüttl genießt in England einen hervorragenden Ruf und wird mit größeren Jobs in Verbindung gebracht. Auch nach dem zweiten 0:9 ist sein Job sicher. Doch er muss schnell einen Weg aus der Krise finden.
Manchmal läuft die Zeit im Fußball schneller, manchmal langsamer. Das musste Ralph Hasenhüttl gerade wieder feststellen. Sein FC Southampton spielte am Dienstag vergangener Woche bei Manchester United. Nach nicht einmal anderthalb Minuten sah der 19 Jahre junge Startelf-Debütant Alex Jankewitz nach einem brutalen Tritt gegen Scott McTominay die rote Karte. Das durch Verletzungen ohnehin dramatisch ausgedünnte Southampton musste beim offensivstarken Tabellenzweiten im Grunde die komplette Spieldauer in Unterzahl auskommen. "Dann können 90 Minuten in der Premier League sehr lang ein", sagte Hasenhüttl nach der Veranstaltung.
Die Saints, wie der Klub von der englischen Südküste genannt wird, hatten im Old Trafford eine Tortur erlebt. 0:4 stand es zur Pause, 0:6 nach etwas mehr als 70 Minuten, dann flog auch noch Verteidiger Jan Bednarek vom Platz, zu Unrecht, wie sich hinterher erweisen sollte. Als Schiedsrichter Mike Dean mit den auf neun Mann dezimierten Gästen Erbarmen hatte und die Partie abpfiff, stand es 0:9. Ein Ergebnis, wie man es nicht oft erlebt - eigentlich. Für Hasenhüttl, 53, war es in seiner etwas mehr als zweijährigen Amtszeit in Southampton allerdings schon die zweite Premier-League-Rekordniederlage. Im Oktober 2019 hatte die Mannschaft gegen Leicester City mit dem gleichen Ergebnis verloren. Auch damals war Southampton früh in Unterzahl geraten, auch damals glückte dem Gegner irgendwann alles.
"Wir waren eine Scheiß-Mannschaft"
Trotzdem sind die beiden 0:9 unterschiedlich. Beim Untergang gegen Leicester spielten die Saints noch gegen den Abstieg, der Kader hatte offensichtliche Schwächen, Hasenhüttl war auf der Suche nach dem richtigen System und der richtigen Spielweise für sein Team. Oder, wie er es selbst gerade noch einmal in Missachtung britischer Etikette formuliert hat: "Wir waren eine Scheiß-Mannschaft. Wir hatten keinen Plan, keine Identität, keine Philosophie. Wie sind einfach herum gestolpert." Nach diesem Tiefpunkt sah Hasenhüttl plötzlich klar. Er ließ fortan konsequent in einer 4-2-2-2-Formation spielen, mit der er schon bei RB Leipzig Erfolg gehabt hatte, und implementierte einen klaren Stil mit aggressivem Pressing und schnellem Umschaltspiel, garniert und veredelt mit den Freistoß-Künsten von James Ward-Prowse und den Torjäger-Qualitäten von Danny Ings.
Hasenhüttl hat nach dem ersten 0:9 ein erstaunliches Comeback hingelegt. Der FC Southampton gehört in der laufenden Spielzeit zu den positiven Erscheinungen in der Premier League, war Anfang November, wenige Tage nach der US-Wahl, sogar kurz Tabellenführer ("Stop the Count", twitterte der Klub) und besiegte Anfang Januar den FC Liverpool im heimischen Stadion St. Mary's 1:0. Danach weinte Hasenhüttl. Vielleicht wurde ihm in diesem Moment klar, wie weit er mit den Saints gekommen war. Von einer Rekordpleite zum Sieg gegen den Meister in etwas mehr als 14 Monaten - da kann man schonmal emotional werden.
Genau wegen dieser Errungenschaften gibt es jetzt, nach dem zweiten 0:9 in 466 Tagen, keine Trainerdiskussion beim FC Southampton, keinen Fan-Aufstand. Im Gegenteil: Der Verein stellt sich hinter Hasenhüttl. Das Publikum solidarisiert sich unter Hashtags wie #InRalphWeTrust mit dem Übungsleiter. In der Saints-Gemeinde scheint Einigkeit zu bestehen, dass der Österreicher der bestmögliche Trainer für den Klub ist. Dessen Hingabe an seinen Arbeitgeber steht außer Frage. Die Corona-Pause im vergangenen Jahr nutzte Hasenhüttl, um ein "Southampton Playbook" für den Nachwuchs des Klubs zu verfassen, im Juni verlängerte er seinen Vertrag bis 2024. "Ich weiß, dass ich bei dem richtigen Verein bin", versicherte er gerade noch einmal.
Das 0:9 gegen Manchester United tat er als Verkettung unglücklicher Umstände ab, als Freak-Spiel. Diese Deutung liegt nahe angesichts der vielen Verletzten und zweier Platzverweise, doch ganz so einfach ist es auch nicht. Die Wahrheit ist, dass das Überraschungsteam aus Southampton schon vor Wochen ins Stocken geraten ist. Das Debakel von Old Trafford war die vierte Premier-League-Niederlage nacheinander. Am vergangenen Sonntag gab es beim uninspirierten Abstiegskandidaten Newcastle United anstatt einer Antwort die nächste Ernüchterung - 2:3. Und das, obwohl der Gegner am Ende nur noch zu neunt war. Alle Gegentore waren das Ergebnis von Abwehrfehlern aus dem Schauerkabinett.
Hasenhüttl ändert die Stimmung
Während Hasenhüttl seine Mannschaft nach dem Desaster gegen Manchester United noch in Schutz genommen hatte, klagte er sie diesmal scharf an: "So kann man in der Premier League nicht verteidigen." Und: "Über die ganze Saison konstant zu sein, ist der Unterschied zwischen einem guten Team und einem Team, das gut sein will." Jetzt sind die Spieler gefordert - das soll dieser kommunikative Klimawandel aussagen.
Doch auch Hasenhüttls Ruf steht auf dem Spiel. Wegen der prächtigen Entwicklung der Saints im vergangenen Jahr gilt er in den englischen Medien als Kandidat auf einen größeren Job. Er wurde schon mit Vereinen wie Manchester United, Arsenal, Chelsea und Tottenham Hotspur in Verbindung gebracht. Es wäre nur konsequent, wenn der Österreicher einen solchen Weg einschlagen würde, denn der FC Southampton ist als Sprungbrett bekannt: Spieler wie Virgil Van Dijk (Liverpool) und Gareth Bale (heute wieder Tottenham) sowie Trainer Mauricio Pochettino (neuerdings Paris Saint-Germain) haben sich im St. Mary's für höhere Aufgaben empfohlen.
Das zweite 0:9 in der zweiten Saison nacheinander muss kein Knick in Hasenhüttls Karriere sein, nicht zwangsläufig. "Sein Aufstieg ist nicht vorbei, sondern nur auf Pause gestellt", schrieb gerade das Portal "The Athletic". Doch damit er weitergeht, muss er dringend ein Rezept gegen die aktuelle Misere finden. Hasenhüttl benötigt ein zweites Comeback. Immerhin: Gegen Ligakonkurrent Wolverhampton Wanderers gelang unter der Woche ein 2:0-Auswärtssieg. Eine späte Reaktion oder schon eine Trendwende?
Quelle: ntv.de