Fußball

Rücktritt von Löws "Musterprofi" Lahm hinterlässt Lücken und Fragen

Ein Bild aus der Vergangenheit: Bundestrainer Joachim Löw mit seinem Kapitän Philipp Lahm.

Ein Bild aus der Vergangenheit: Bundestrainer Joachim Löw mit seinem Kapitän Philipp Lahm.

(Foto: dpa)

Mit 30 Jahren und einer dürren Mitteilung tritt Weltmeister-Kapitän Philipp Lahm aus dem DFB-Team zurück. Die Entscheidung des "Musterprofis" kommt überraschend und stellt Bundestrainer Joachim Löw vor eine große Herausforderung.

Es sollte eine Würdigung sein, aber es klang wie ein Nachruf. Das, sagte Hamburgs Fußball-Idol Uwe Seeler, ist für das deutsche Team "sicher ein großer Verlust". Das, das war der Rücktritt von DFB-Kapitän Philipp Lahm aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Fünf Tage nach dem WM-Triumph in Rio de Janeiro, diesem mehr erkämpften als erspielten Finalsieg über Argentinien, der Krönung für die Generation Lahm, zog der Kapitän einen Schlussstrich unter seine zehnjährige Karriere im DFB-Team. Völlig überraschend, nicht nur für Seeler, ohne vorherige Andeutungen und auch ohne wirkliche Erklärung.

Während sich die Ehrerbietungen überschlugen und sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einer finalen Respektsbekundung veranlasst sah, ließ Lahm nur mitteilen: Für ihn sei es "der richtige Zeitpunkt". In einer kurzen Erklärung dankte er DFB-Team ("tolle Zusammenarbeit") und Fußballfans ("wunderbare Zeit"). Die Entscheidung zum Rücktritt sei schon vor dem Turnier in ihm gereift. Nun sei er "glücklich und dankbar, dass mein Karriereende in der Nationalmannschaft mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft in Brasilien zusammenfällt". Seinen Urlaub wolle er nutzen, um "meine Nationalmannschaftskarriere gedanklich abzuschließen".

Abgang auf dem Höhepunkt?

Lahm tritt als Weltmeister von der internationalen Bühne ab. Als Sieger, nicht gedemütigt wie andere Weltstars, Spaniens Xavi ist nur ein Beispiel. Erklären konnte Lahms Erklärung das Ende seiner Karriere nicht, auch ist er erst 30, nicht 34 wie Xavi. Ob der vierte Weltmeister-Kapitän der deutschen Fußballgeschichte tatsächlich auf dem Höhepunkt seiner Karriere abgetreten ist, darüber gehen die Meinungen auseinander.

"Der Lahm tritt zurück als Nationalspieler. Als Weltmeister! Was geileres geht gar nicht. Respekt, Junge!", twitterte Ex-Nationalspieler Mario Basler. Die englische Sturmlegende Gary Lineker ließ bei Twitter hingegen Enttäuschung durchklingen: "Philipp Lahm ist vom internationalen Fußball zurückgetreten. Ich dachte er wartet noch ein bisschen und versucht dann auf dem Höhepunkt zu gehen."

Und: Beim FC Bayern hatte Lahm seinen Vertrag erst vor der WM bis 2018 verlängert. Fußball spielen will er also noch, aber nur für seinen Verein. Selbst der wurde von Lahms Entscheidung kalt erwischt. In einer ersten Mitteilung auf der Vereinshomepage mussten die Münchner die "Sport Bild" zitieren, um die Rücktrittsmeldung des eigenen Kapitäns mit persönlichen Worten schmücken zu können. Die überraschende Entscheidung des DFB-Kapitäns hinterlässt nicht nur eine Lücke in der Nationalmannschaft, sondern auch Fragen. Nicht nur die, wer neuer Kapitän wird.

Erst der DFB, dann die "Bild"-Zeitung

Um 9.40 Uhr hatte Lahm dem DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach seine Entscheidung mitgeteilt. Kurz darauf verbreitete die "Bild"-Zeitung seinen DFB-Rücktritt als Exklusivmeldung. Bundestrainer Joachim Löw hatte Lahm bereits am vergangenen Montag ins Bild gesetzt, beim Frühstück nach dem WM-Finale. Löw steht jetzt, sofern er nach der Verarbeitung des WM-Triumphs weitermacht, vor einer großen Herausforderung: Ersatz zu finden für den "vielleicht weltbesten Verteidiger, den Deutschland jemals hatte", wie n-tv Experte Rainer Holzschuh sagte. Der Umbruch, den viele erst nach der EM 2016 erwartet hatten, muss Löw vorziehen.

"Philipp war für mich immer ein zentraler und ganz wichtiger Ansprechpartner, mit dem wir unsere Ideen diskutieren konnten", ließ Löw via DFB mitteilen und lobte Lahm als "Musterprofi, der alles dem Erfolg unterordnet. Dank seiner Spielintelligenz und Vielseitigkeit spielt er seit Jahren international auf einem absoluten Top-Niveau, er ist ein Weltklassespieler, das hat er in den letzten Wochen in Brasilien wieder bewiesen."

In Brasilien hatte er in Vertretung von Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira im defensiven Mittelfeld ausgeholfen, dort aber nicht an sein Leistungsniveau im Verein angeknüpft. Ab dem Viertelfinale gegen Frankreich spielte Lahm wieder als Rechtsverteidiger - nicht nur für WM-Experte Josef Hickersberger die entscheidende Umstellung für den WM-Triumph.

Leise, aber bestimmt

Neben dem Kapitän Lahm, der die neue DFB-Generation auch mit seinem leiseren Führungsstil verkörperte, seinen Macht- und Gestaltungsanspruch durchzusetzen wusste, wird Löw auch den Spieler Lahm vermissen. Nicht nur erst während der WM war es ein Running Gag im Umfeld der Nationalmannschaft, dass Löw seinen Kapitän am liebsten klonen würde - um ihn nicht nur als Rechtsverteidiger und Linksverteidiger aufstellen zu können, sondern auch im defensiven Mittelfeld, der Abwehrzentrale, im Sturmzentrum. Allenfalls im Tor gilt Manuel Neuer inzwischen als minimal besser. Sicher ist: Auf den Außenverteidiger-Positionen herrscht beim Weltmeister ohne Lahm ab sofort  Mangelverwaltung.

Neben seinem überraschenden Rücktritt werden vom Nationalspieler Philipp Lahm zwei Szenen in Erinnerung bleiben: Sein Führungsschlenzer 2006 im WM-Eröffnungsspiel gegen Costa Rica, der das Sommermärchen in Deutschland einleitete. Und der Moment, als er am 13. Juli um 19.05 Uhr brasilianischer Zeit den WM-Pokal in den Himmel über dem Fußballtempel Maracana reckte.

Was Philipp Lahm im goldenen Konfettiregen schon wusste, den WM-Pokal in der Hand, die Goldmedaille des Weltmeisters um den Hals, das weiß inzwischen ganz Fußball-Deutschland: Der Kapitän hört im DFB-Trikot auf.

Quelle: ntv.de

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