Fußball

Der König vom Kreuzfahrtschiff Liverpools Messias ist zurück

Für eine Saison, wie sie der FC Liverpool spielt, wurde das Wort miserabel erfunden. Nun soll Kenny Dalglish retten, was noch zu retten ist. Als Spieler und Trainer genießt der Schotte Heldenstatus. Doch sein Comeback, 20 Jahre nach seinem fluchtartigen Abschied, geht grandios schief.

Missratenes Comeback: Gegen Manchester United ging für Kenny Dalglishs Liverpooler fast alles schief, was schief gehen kann.

Missratenes Comeback: Gegen Manchester United ging für Kenny Dalglishs Liverpooler fast alles schief, was schief gehen kann.

(Foto: REUTERS)

Der König ist zurück, die Wunder lassen noch auf sich warten. Tatsächlich hätte die Rückkehr von Kenny Dalglish zum FC Liverpool, 20 Jahre nach seiner Flucht, kaum unglücklicher verlaufen können. Ein unberechtigter Elfmeter in der 1. Minute nach einer Schwalbe. Ein überharter Platzverweis nach gut 30 Minuten für Kapitän Steven Gerrard. Und das alles auch noch im Pokal-Auswärtsspiel beim Erzrivalen Manchester United, wo noch immer Dalglishs alter Widersacher Alex Ferguson das Zepter schwingt. Am Ende stand es 1:0 für ManU. Der nächste Rückschlag in einer bislang desolaten Liverpooler Saison.

Viele Fans der "Reds" werden sich trotzdem als Gewinner des Wochenendes fühlen. Dalglishs Ernennung zum Interimscoach als Ersatz für den glücklosen Roy Hodgson war das, was sie herbeigesehnt hatten. Seit Monaten hallten "Dalglish, Dalglish"-Sprechchöre durch die Anfield Road. Es war der nostalgisch verklärte Ruf nach einer Liverpooler Legende und Ausdruck der irrationalen Hoffnung, mit dem Schotten an jene glorreichen Zeiten anknüpfen zu können, die mit seinem Abschied 1991 endeten. Am Samstag wurde der Ruf erhört.

Dass es so schnell gehen würde mit dem längst unvermeidlichen Rauswurf von Roy Hodgson, war dann doch überraschend, auch für Dalglish. Die Anfrage von Liverpool-Besitzer John W. Henry erreichte ihn, während er auf einem Kreuzfahrtschiff durch die Golf-Region schipperte. "Ich war auf dem Schiff, ich war glücklich", erzählte der Schotte später. Nach dem Anruf von Henry am Freitagabend schlug sein Glücksgefühl in Euphorie um, noch in der Nacht wurden die nötigen Papiere unterschrieben. Am Samstag wurde dann die einvernehmliche Trennung von Hodgson verkündet.

Hoffen auf gegenseitige Erlösung

Nachdenken musste Dalglish keine Sekunde über das Angebot, seinen FC Liverpool bis zum Saisonende als Interimscoach zu betreuen. Es war die Chance zur Erlösung, auf die er 20 Jahre gewartet hat. Läuft es gut für ihn und die "Reds", würde er auch gern länger bleiben. Schon im Sommer hatte er sich um die Nachfolge von Rafael Benitez beworben und war abgeblitzt, weil Hodgson als Englands Trainer des Jahres mit seinem Sicherheitsfußball die vermeintliche Sicherheitsvariante für die von vornherein zur Übergangssaison erklärte Spielzeit war.

Liverpool-Fans begrüßen im Old Trafford ihren neuen alten Trainer Kenny Dalglish.

Liverpool-Fans begrüßen im Old Trafford ihren neuen alten Trainer Kenny Dalglish.

(Foto: REUTERS)

Doch die Fans hatten von Beginn an gegen den ungeliebten Hodgson mit seinem ebenso erfolglosen wie unattraktiven Defensivfußball rebelliert. Zuletzt nicht mehr nur mit Schmähgesängen wie "Hodgson für England" oder "Du fliegst!", sondern auch mit dem massenhaften Fernbleiben von Heim- und Auswärtsspielen. Die Vereinsführung musste handeln und Dalglish war, vor allem mangels Alternativen, als Interims-Messias die perfekte Wahl bis zum Saisonende, um die Risse zwischen Fans und Verein wieder zu kitten.

Ikone in Liverpool

Der 59-jährige Schotte ist eine Liverpooler Legende. Für die "Reds" ist er das, was Franz Beckenbauer und Gerd Müller für die Bayern sind, zusammen. In der Vereinshymne "Fields of Anfield Road" wird ihm als "King Kenny" ("and could he play!") gehuldigt. Als Spieler gewann der Stürmer fünf Meisterschaften und dreimal den Landesmeisterpokal. Als Spielertrainer und Teammananager führte er die "Reds" 1986 zum ersten Double und 1990 zum 18. Meistertitel, ehe er den Klub am 21. Februar 1991, mitten in der Saison, verließ. Noch immer heimgesucht von der Hillsborough-Katastrophe, flüchtete Dalglish aus Liverpool. Der Erfolg konnte den Stress nicht mehr aufwiegen. Der Stress hatte ihn krank gemacht.

Lebende Liverpool-Legende: In Dalglishs erster Amtszeit als Trainer waren die "Reds" nie schlechter als Zweiter.

Lebende Liverpool-Legende: In Dalglishs erster Amtszeit als Trainer waren die "Reds" nie schlechter als Zweiter.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Die "Reds" waren zu diesem Zeitpunkt Tabellenführer. Meister wurden sie nicht und seitdem auch nie mehr. Mit Dalglish, im Alter von nur 39 Jahren bereits einer der erfolgreichsten Liverpooler Trainer, ging nicht nur die erfolgreichste Ära der Vereinsgeschichte zu Ende. Mit ihm ging der Erfolg in der Liga. Während nur 40 Kilometer entfernt Sir Alex Ferguson mit dem Erzrivalen Manchester United seit 1993 elf Meisterschaften feierte und mit Liverpool nach Titeln gleichzog, warten sie an der Anfield Road vergebens auf den nächsten, den 19. Titel. Die 20 Jahre seit Dalglishs Abschied waren verlorene Jahre, Triumphe wie der Gewinn der Champions League 2005 nur Ausrutscher. Nachhaltig waren sie nicht. Wenn die Fans in Erfolgen schwelgen, schwelgen sie in der Vergangenheit.

Verfahrenen Ausgangssituation

Schnelle Besserung ist auch unter Dalglish nicht in Sicht. Die sportliche Bilanz ist für Liverpooler Verhältnisse katastrophal: Platz zwölf in der Liga, nur 25 Punkte nach 20 Partien, gerademal fünf Zähler Vorsprung auf den letzten Platz, aber 19 Rückstand zur Spitze. Und jetzt auch noch das Pokalaus bei Manchester United, das zu allem Überfluss ungeschlagen an der Tabellenspitze thront und Liverpool am Saisonende den Titel Rekordmeister entreißen dürfte. Statt von internationalen Klassespielern wie noch in Dalglishs erster Amtszeit wird der aktuelle Kader von Mitläufern und Mittelmaß dominiert. Dass Dalglish selbst zuletzt im Jahr 2000 als Trainer gearbeitet hat, ist Liverpool kleinstes Problem.

Alleinunterhalter im Liverpool-Sturm: Fehlt Fernando Torres im Angriff, fehlt es den "Reds" an Klasse.

Alleinunterhalter im Liverpool-Sturm: Fehlt Fernando Torres im Angriff, fehlt es den "Reds" an Klasse.

(Foto: dpa)

Die Partie im Old Trafford zeigte deutlich die Schwächen der "Reds" auf. Seit Jahren fehlt ihnen ein zweiter Klassestürmer, der Fernando Torres unterstützen kann. Einer wie Mario Gomez, mit dem die "Reds" im Sommer schon einig waren, ehe die Bayern intervenierten. Seit Jahren fehlt ihnen ein kreativer Mittelfeldspieler, der Kapitän Steven Gerrard entlasten könnte. Der englische Nationalspieler Joe Cole, eigentlich prädestiniert für diese Rolle, ist bislang eine Enttäuschung. Das gilt auch für die übrigen, von Hodgson verpflichteten Neuzugänge. Immerhin stimmten unter Dalglish, anders als unter Hodgson, Moral und Einstellung wieder.

Trotz der verfahrenen Ausgangssituation für Dalglish ist BBC-Experte Alan Hansen überzeugt davon, dass der Held aus Liverpools glorreicher Vergangenheit auch der richtige Mann für die triste Gegenwart ist: "Wenn jemand Liverpool wieder in die Spur bringen kann, dann Kenny. Daran gibt es keinen Zweifel." Hansen muss es wissen, er hat einst unter Dalglish gespielt und gesiegt. Zumindest mit Blick auf die Schiedsrichter ist der Schotte schon wieder in Hochform. Den strittigen Strafstoß kommentierte er bissig und selbstironisch zugleich: "Das war kein Elfmeter - solange sie inzwischen nicht die Regeln geändert haben."

Quelle: ntv.de

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