Ein bisschen FC Bayern für die Unberechenbarkeit Löw will sein DFB-Team neu verschlüsseln
10.10.2013, 16:28 Uhr
Joachim Löw mit Spielmacher Mesut Özil. Der Bundestrainer sucht eine variablere Spielidee.
(Foto: AP)
Ein Punkt gegen Irland - und Deutschlands Fußballer fahren zur WM nach Brasilien. Weil niemand daran zweifelt, dass das so kommt, feilt Bundestrainer Joachim Löw daran, seine Elf unberechenbarer und undurchsichtiger zu machen. Und schaut auf Josep Guardiolas Bayern.
Da war sie wieder, die Frage nach dem Stürmer. Aber auch Assistenztrainer Hans-Dieter Flick mochte am Tag vor dem Spiel nichts verraten: "Wir haben zwei, drei Positionen, die noch offen sind. Die Überlegungen zur Besetzung des Sturms sind noch nicht abgeschlossen." Es ist nämlich so: Wenn die deutsche Fußball-Nationalelf am morgigen Freitag in Köln (ab 20.45 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) in der vorletzten WM-Qualifikationsbegegnung gegen Irland spielt, ist gar kein Stürmer dabei.
Zumindest kein echter. Die beiden Wahl-Italiener Miroslav Klose und Mario Gomez sind verletzt, einzig der Mönchengladbacher Max Kruse geht vielleicht noch als Angreifer durch. Obwohl der sagt: "Ich verstehe mich nicht als klassischen Mittelstürmer." Für Bundestrainer Joachim Löw schon zu Beginn der Woche kein Thema: "Da mache ich mir keine Sorgen, denn ich sehe im Gegensatz zu manch anderen kein Stürmerproblem bei uns."
Zumal er noch den Münchner Mittelfeldspieler Thomas Müller hat. "Natürlich ist er eine Option", bestätigte Flick das, was eh schon alle wissen. Schließlich spielte Müller zuletzt beim FC Bayern im Angriffszentrum. Und das durchaus erfolgreich. "Er macht viele verrückte Sachen da vorne und ist dabei immer gefährlich", sagt sein Vereinskollege Bastian Schweinsteiger. Der Bundestrainer betonte nun allerdings, dass er Müller auf der rechten Seite stärker einschätze. In der Sturmmitte sei er "nur eine Lösung, wenn ich keine anderen Möglichkeiten auf dieser Position habe". Womit wir wieder bei Kruse sind, den Löw ausdrücklich lobte: "Er hat mich mit seiner Spielweise überzeugt. Ich bin froh, dass ich diesen Spielertyp habe."
Götze kein Kandidat für die Startelf
Auch Mesut Özil, der vor seinem 50. Länderspiel steht, ist ein Kandidat für die Position ganz vorne. Schon in der zweiten Halbzeit beim 2:1-Sieg in Frankreich im Februar diesen Jahres hatte Löw diese Variante gewählt. Münchens Mario Götze hat die Rolle des verkappten Mittelstürmers ebenfalls schon gespielt, beim 4:1 im Qualifikationsspiel gegen Kasachstan Ende März in Nürnberg. Allerdings ist er nach seinen überstandenen Verletzungen kein Kandidat für die Startelf.
"Wenn ich ihn aber gegen Irland brauche, 15 oder zwanzig Minuten, kann der Mario immer was bewegen." Abgesehen davon zweifelt niemand in der DFB-Elf daran, dass es schon gutgehen wird. Oder um mit Real Madrids Sami Khedira zu sprechen: "Wir können so selbstbewusst sein und sagen, dass es an uns liegt, ob wir das Spiel gewinnen."
Voraussichtliche Aufstellungen
Deutschland: Neuer - Lahm, Mertesacker, Boateng, Jansen - Schweinsteiger, Khedira - Müller, Özil, Draxler (Schürrle) - Kruse
Irland: Forde - Coleman, St. Ledger, Clark, Wilson - Gibson, McCarthy - McGeady, Doyle, McClean - Keane
Ansonsten wird Löw an diesem Freitag kaum die Muße für personelle Experimente haben. Er muss nach den Absagen seiner beiden Stürmer sowie von Ilkay Gündogan, Marcel Schmelzer, Lukas Podolski, Lars und Sven Bender und Anfang der Woche Marco Reus keine Notbesetzung aufbieten, aber es fehlen halt wichtige Spieler. Das bedeutet auch, dass Kapitän Philipp Lahm wieder als rechter Außenverteidiger spielt.
4-2-3-1-System scheint entschlüsselt
Grundsätzlich aber ist es, wenig überraschend, sein Ansinnen, das Spiel seiner Mannschaft so flexibel wie möglich zu gestalten. Das muss er auch, wie die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" jüngst anmerkte. "Nicht nur einmal hatte man in den vergangenen Partien den Eindruck, dass das nun schon über Jahre praktizierte 4-2-3-1-System mittlerweile ganz gut durchschaut ist."
Schließlich geht es für die deutsche Mannschaft nicht nur darum, sich in Köln im mit 46.237 Zuschauern ausverkauften Stadion zu Müngersdorf mit einem Sieg oder zumindest einem Punkt gegen Irland für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Sondern darum, in acht Monaten nach Brasilien zu fliegen, um dort den Titel zu gewinnen. Und da kann es nicht schaden, die eine oder andere taktische Variante mehr auf Lager zu haben.
"Einfach einen Tick unberechenbar"
Natürlich schaut sich auch der Bundestrainer an, was sein Trainerkollege Josep Guardiola in München mit dem FC Bayern veranstaltet. Der lässt Lahm nämlich, "den wahrscheinlich besten Außenverteidiger der Welt", wie Löw sagt, als alleinigen Sechser im vor der Viererabwehrkette spielen. Er beorderte den Kapitän ins Zentrum der Macht. Schweinsteiger rückt in diesem System weiter nach vorne an die Seite von Toni Kroos. Der Bundestrainer kann "absolut nachvollziehen, was Guardiola sich dabei denkt".
Schon Anfang September hatte Joachim Löw dazu im Interview mit der Münchner "Abendzeitung" gesagt: "Philipp Lahm im Mittelfeld ist eine gute Lösung." Völlig abgeneigt ist er diesem Experiment also nicht, aber zu viel FC Bayern soll es dann zumindest gegen Irland auch nicht sein: "Im Moment plane ich mit ihm rechts." Einmal hat der Kapitän schon auf der Sechserposition gespielt - am 22. August 2007 beim 2:1-Sieg in England. "Hat er hervorragend gemacht in Wembley." Die Außenverteidiger hießen damals Arne Friedrich und Christian Pander.
Allerdings weiß auch der Bundestrainer, dass diese Variante mit Lahm im Mittelfeld für die Nationalelf nicht die Königslösung ist. Schließlich ist eine der beiden Planstellen in der Außenverteidigung seit Jahren die Problemposition - immer die Seite, auf der Lahm nicht spielt. Ohne Not will Löw da keine neue Baustelle eröffnen, auch wenn der Dortmunder Kevin Großkreutz derzeit als rechter Verteidiger reüssiert. Aber im Fall der Fälle könnte Lahm ins Mittelfeld rücken - als das Überraschungsmoment, das dem Team im Juni 2012 in Warschau bei der Niederlage gegen Italien im EM-Halbfinale gefehlt hat. Oder wie es Löws Assistent Flick in der "FAS" formulierte: "Es ist für jede Mannschaft wichtig, verschiedene Optionen zu haben, weil man dann einfach einen Tick unberechenbar wird."
Zum Beispiel im kommenden Jahr in Brasilien. Die Trainer setzten darauf, dieses Mal mehr Zeit mit der Mannschaft zu haben. Daran, sagte Flick jetzt, habe es vor dem kontinentalen Turnier in Polen und der Ukraine gemangelt. "Zur EM wollten wir so vieles machen und trainieren. Und dann hatten wir eine Vorbereitung, die sehr zerstückelt war." Löst die DFB-Elf am Freitag das WM-Ticket, kann sie am Dienstag in Solna im abschließenden Qualifikationsspiel gegen Schweden bereits anfangen zu üben, wie das so geht mit der Unberechenbarkeit. Auch ohne Stürmer. Und mit Blick auf den FC Bayern.
Quelle: ntv.de