Bayern mit B-Elf gegen Hannover Mainz will Traumstart veredeln
16.10.2010, 09:15 Uhr
Thomas Tuchel feiert mit den Fans den siebten Sieg in Folge - Bayerns Sportdirektor Christian Nerlinger findet das ungehörig für einen Trainer.
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Die Überraschungsmannschaft dieser Saison kommt aus Mainz, sie steht vor einem historischen Rekord. Nur der HSV kann noch verhindern, dass die Fußballgeschichtsbücher umgeschrieben werden müssen. Derweil geht der Meister aus München nicht mehr nur sportlich am Stock, sondern auch personell. Gegen Hannover 96 zählt trotzdem nur eins: drei Punkte.

Wie gut für Nerlinger, dass sein Coach Louis van Gaal derzeit selten in die Verlegenheit kommt, mit den Fans feiern zu müssen.
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Ein Sieg noch, dann muss sich der FSV Mainz 05 seinen Platz in den Geschichtsbüchern der Fußball-Bundesliga nicht mehr teilen. Nach sieben Erfolgen in Serie trennt die Überraschungs-Elf vom Bruchweg ein weiterer Sieg gegen den Hamburger SV von der Ewigkeit auf Zeit, dem alleinigen Startrekord. Noch liegt die Elf von Thomas Tuchel gleichauf mit dem 1. FC Kaiserslautern (2001/02) - und dem FC Bayern (1995/96).
In dieser Saison allerdings hat der Rekordmeister alles andere als einen Traumstart hingelegt. Das 0:2 bei Borussia Dortmund am 7. Spieltag machte eine Korrektur in den Vereinsannalen notwendig, schlechter als in diesem Jahr sind die Bayern schließlich noch nie in eine Bundesliga-Saison gekommen. Bayern-Coach Louis van Gaal ist dennoch hartnäckig bemüht, die offensichtliche Krise wegzureden. Aus den überlegenen Ballbesitzanteilen seiner Elf leitet er ab, sein Team sei stets die bessere Mannschaft gewesen und stehe zu Unrecht auf Platz 12, mit nur fünf Toren und acht Punkten aus sieben Spielen.
"Für Siege gibt es keinen Ersatz"

Vorstandsboss Rummenigge und Präsident Hoeneß nach der Auswärtsniederlage in Dortmund.
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Zumindest eine Ergebniskrise redet im Klubvorstand niemand mehr weg, was Boss Karl-Heinz Rummenigge nach dem verlorenen Endspiel in Dortmund drastisch zum Ausdruck brachte. Sein Fazit: "Jetzt stecken wir in der Scheiße." Bitter für die Bayern, dass sich vor dem nächsten Endspiel zur Ergebniskrise nun auch ein personeller Engpass gesellt. Fast eine ganze Elf befindet sich im Krankenstand, Miroslav Klose, Ivica Olic und Mark van Bommel sind neben den Langzeitverletzten Arjen Robben und Franck Ribery gegen Hannover 96 ganz sicher nicht dabei.
Zumindest bei Bastian Schweinsteiger und Daniel van Buyten besteht Hoffnung auf einen Einsatz gegen den Tabellendritten. Bei 13 Punkten Rückstand auf die Tabellenspitze ist die Parole der Bayern-Bosse klar und eindeutig: "In dieser Situation kann es für uns nur heißen: Für Siege gibt es keinen Ersatz", gab Rummenigge die Marschrichtung vor. Der einzige verbliebene Stürmer ist Mario Gomez, der seit 15 Bayern-Spielen auf ein Tor wartet und gegen Dortmund als Chancentod auffällig wurde. Immerhin: In der Nationalmannschaft konnte Gomez gegen Kasachstan Selbstbewusstsein sammeln. Das Tor zum 2:0 war sein erster Pflichtspieltreffer im DFB-Dress seit mehr als drei Jahren. Hoffnung soll auch der Blick in die Vorsaison machen, als die Niedersachsen in München mit 0:7 untergingen. Mit Statistiken freilich hatten sich die Bayern auch vor dem Gastspiel beim BVB Mut gemacht und auf das 5:1 in der Vorsaison verwiesen. Die Punkte blieben dennoch in Dortmund. Dass es andere Traditionsklubs noch schlechter getroffen hat, ist den Bayern auch kein Trost.
Neuer Rekord? Vorteil Mainz
Während die Fans in München einen Befreiungsschlag herbeisehnen, aber auch über einen knappen Sieg glücklich wären, freut sich der Mainzer Anhang am Bruchweg auf ein weiteres Fußballfest, diesmal gegen den Hamburger SV. Der achte Sieg in Serie soll her, es wäre ein historischer Erfolg. Als entscheidend bei der Rekordjagd könnte sich der Heimvorteil erweisen, die Siegesserien der Bayern und Lauterer endeten mit 1:3 in Dortmund bzw. einem 0:2 in Wolfsburg jeweils auswärts.

Andre Schürrle und Lewis Holtby, zwei Drittel der Mainzer Boygroup, feiern den Auswärtssieg beim FC Bayern.
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Die Verantwortlichen lässt der Rummel um den Club kalt, behaupten sie. "Die Sache mit dem Rekord können wir sowieso nicht beeinflussen. Wir müssen unserem Stil treu bleiben und ein echtes Heimspiel daraus machen. Die Mannschaft ist voller Selbstvertrauen. Wir haben die Chance, auch den HSV zu schlagen", sagte FSV-Coach Thomas Tuchel: "Wir können nur unsere Form beeinflussen. Und wir müssen unsere Topform erreichen, um den HSV zu schlagen." Der Coach gestand allerdings ein, dass der Startrekord bei seinen Schützlingen durchaus ein Thema ist: "Dass sich die Spieler damit beschäftigen, ist nicht zu verhindern. Aber sie gehen vernünftig damit um. Die Spieler können dazu auch sagen, was sie wollen. Trotz ihrer kecken Aussagen sind sie doch sehr bescheiden." Der derzeit verletzte FSV-Keeper Heinz Müller betont: "Wir sind hier alle noch sehr klar im Kopf."
Perfekte Mischung, perfekte Taktik
Personell kann Tuchel mit Blick auf die Partie im ausverkauften Bruchwegstadion abgesehen von Müllers Ausfall aus dem Vollen schöpfen. Lediglich der Einsatz des angeschlagenen Marcel Risse (Oberschenkel-Probleme) ist fraglich. Auch die Länderspielpause und die damit verbundene Abwesenheit zahlreicher Profis hat den Coach nicht aus der Ruhe gebracht: "Die Vorbereitung war ein bisschen kompliziert, aber wir beschweren uns nicht." Das junge Offensivtrio der Mainzer mit Lewis Holtby, Adam Szalai und Andre Schürrle ist derzeit in aller Munde, genauso wichtig für den Erfolg sind aber auch die Erfahrenen in der Defensive. Das Innenverteidiger-Duo Bo Svensson und Nikolce Noveski grätscht konstant wie selten, im Mittelfeld organisiert der 34-jährige Miroslav Karhan gemeinsam mit Elkin Soto das Spiel des FSV. Der 30-jährige Kolumbianer hat ähnlich wie Bayerns Bastian Schweinsteiger als Sechser im defensiven Mittelfeld zu neuer Stärke gefunden.
Spielerisch sind andere Bundesligamannschaften stärker. Doch neben Tuchels perfekten Matchplänen für sein taktisch äußerst variables Team überzeugt der FSV Mainz in dieser Saison auch auswärts durch enormen Willen, gesunde Aggressivität und Einsatzbereitschaft bis zum Abpfiff. Eindrucksvoller Beleg dafür: Bislang haben die Mainzer in dieser Saison alle zweiten Halbzeiten für sich entschieden. In Wolfsburg sogar so deutlich, dass dem VfL nicht einmal der Heimvorteil und eine 3:1-Pausenführung für wenigstens einen Punkt reichten. Gegen den HSV wäre schon ein Zähler genug, um Dortmund wieder von Platz 1 zu verdrängen. Dass der "Kicker" herausgefunden hat, dass kein einziger Mainzer aus dem aktuellen Kader in der Bundesliga schon einmal gegen Hamburg getroffen, werden sie dort bestenfalls mit einem Achselzucken registriert haben. Bundesliga-Tabellenführer waren sie vor dieser Saison ja auch noch nicht.
Selbstbewusstsein statt Demut
"Tuchel wirkt so, als ob er seiner Mannschaft total vertraut. Und die Spieler wirken, als würden sie für ihn bedingungslos marschieren. Der Erfolg ist kein Zufall", analysiert HSV-Stürmer Paolo Guerrero den "überragenden Start" des nächsten Gegners. Dennoch ist der Peruaner überzeugt: "Wir sind besser als Mainz, haben eine höhere Qualität. Wir müssen unser Spiel durchdrücken."
Armin Veh wird das gern hören. Der HSV-Trainer ist mit seinem neuen Team wie Mainz mit zwei Siegen in die Saison gestartet. Danach stagnierte der HSV, der FSV siegte weiter. Demütig fährt Veh mit seinen Hamburgern trotz Personalnot in der Offensive aber keineswegs an den Bruchweg. Seine Ansage: "Wir wollen in Mainz gewinnen." Stuttgart, Kaiserslautern, Köln und Hoffenheim wollten das auch.
Quelle: ntv.de, mit dpa und sid