Bochums Messias mit Schnauzbart Neururer geht übers Wasser
15.04.2013, 14:02 Uhr
Deutschlands bekanntester Schnauzbart: Peter Neururer in Cottbus.
(Foto: dpa)
Er soll den VfL Bochum vor dem Absturz retten, doch für Fußball-Lehrer Peter Neururer geht es um mehr. Nämlich um ihn, einen fast 58 Jahre alten Besessenen, der von sich glaubt, aufgrund seiner Genialität eigentlich Real Madrid trainieren zu müssen. Doch die Zeit der Pointen ist vorbei. Was ihn nicht daran hindert, weiter Sprüche zu klopfen.
Er ist wieder da. Nach fast acht Jahren. Und er soll die Fußballer des VfL Bochum vor dem Sturz in die Drittklassigkeit bewahren. Aber feiern dürfen sie ihn nicht. Noch nicht. Als kurz vor der Pause ein Teil der überschaubaren blau-weißen Reisegruppe im Cottbuser Stadion der Freundschaft anfängt, den Namen des Trainers zu singen, wird der junge Mann, der mit seinem Megafon die Fans im Auswärtsblock dirigiert, noch energischer, als er eh schon ist. Singverbot. Gibt ja auch nichts zu feiern, steht ja noch 0:0.
Am Ende haben die Bochumer dann nach sechs sieglosen Partien tatsächlich wieder gewonnen, ein Cottbuser Eigentor und ein Treffer in letzter Minute des indisponierten Stürmers Zlatko Dedic reichten zum glücklichen Erfolg, in der Zweitligatabelle steht der VfL nun auf Rang 15, einen Punkt vor Dynamo Dresden auf dem Relegationsplatz. Dank Peter Neururer? Der seit Oktober 2009, seit seiner Entlassung beim MSV Duisburg bekannteste Arbeitslose Deutschlands mit Schnauzbart hat zumindest nichts falsch gemacht bei seiner Rückkehr auf eine Trainerbank nach 1257 Tagen. Das spektakulärste Comeback der vergangenen Jahre. Drei Punkte und exorbitantes Interesse am VfL - das war es, was sie sich von ihm erhofft hatten. Aber feiern wollte auch er nicht. Was nicht heißt, dass er unzufrieden war.
"Der Einstand eines Trainers kann gar nicht besser sein. Wir haben Leidenschaft gezeigt, gewonnen, aber auch teilweise schlecht gespielt. Jetzt habe ich auch Kritikpunkte", sprach Peter Neururer, der Mann, den sie in der vergangenen Woche in Bochum hofiert hatten wie einen Heilsbringer, sechs Spieltage vor dem Ende der Saison: "Ich habe der Mannschaft gesagt: Am Sonntag ist der Messias zum ersten Mal übers Wasser gegangen." Der gesagt hat: "Diskussionen sehen so aus, dass ich was sage und die anderen nicken." Der Mann, der versprochen hat, sich die Haare blau-weiß färben zu lassen, wenn es mit dem Klassenerhalt klappt. Und der in Cottbus in gewohnter Manier in hellen Jeans und dunklem Sakko auftrat. Sich aber zurückhielt. "Ich bin froh über die drei Punkte, aber nicht gelöst. Die Situation hat sich nur unwesentlich gebessert. Jetzt gilt es aber, diesen Tabellenplatz zu verteidigen. Wir haben es in der eigenen Hand, und werden das auch nicht wieder hergeben."
"Kein Problem. Die Freizeit war Stress"
Die Anspannung war ihm während des Spiels anzumerken. Kaum einmal saß er auf seinem gepolsterten Stuhl, war ständig in Bewegung, wies seine Spieler auf dem Rasen an und fuchtelte die typischen Trainergesten, von denen kein Mensch weiß, was sie bedeuten sollen. Genossen hat er es dennoch. Noch immer kann er herrlich verschwurbelt reden: "Bis auf das defensivste Verhalten war unser Verhalten heute nicht unbedingt gut." Und was ist mit dem Stress? Schließlich war Peter Neururer am 9. Juni vergangenen Jahres auf dem Golfplatz mit einem Herzinfarkt zusammengebrochen. "Kein Problem. Die Freizeit war Stress", hatte er vor dem Anpfiff gesagt. Und Peter Neururer wäre nicht Peter Neururer, wenn er es nicht auch bei diesem Thema mit einem Witzchen versuchen würde. "Meine Frau legt mir jeden Tag neun Tabletten raus. Morgens sechs kleine, mittags eine, abends zwei."
Vielleicht aber war das auch gar kein Witz. Es habe ihn jedenfalls wahnsinnig gemacht, keinen Job zu haben. "Das ging damit los, die Familie zu beschimpfen oder der Putzfrau beizubringen, wie man den Staubsauger anders hält." Denn es geht bei seiner Mission nicht nur um den VfL Bochum. Es geht auch um Peter Neururer, noch bis zum 26. April 57 Jahre alt, Fußballlehrer - und bis vor einer Woche ausschließlich als Experte im Fernsehen unterwegs. Zu wenig für einen, der immer noch glaubt, dass er aufgrund seines Fachwissens eigentlich Real Madrid trainieren müsse. Auch so ein Spruch von ihm, den sie ihm hinterhertragen. Wer will, kann das Leben des Peter Neururer als eine Abfolge von Anekdoten und Sprüchen schildern, er selbst hat das in seiner im vergangenen Jahr erschienenen Autobiografie getan.
Aber die Zeit der Pointen war, wie der "Spiegel" vor seinem erneuten Engagement schrieb, längst abgelaufen. Er saß in der Zwickmühle und starrte auf sein Handy. "Ich? Mich bewerben? Unmöglich. Ich muss gefunden werden." Es suchte aber keiner. Er hatte das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden. Und öffentlich gelitten. Der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sagte er, Angebote aus dem Ausland habe es gegeben. "Ich konnte das irgendwann nicht mehr hören, weil ich ja in Deutschland arbeiten wollte. Ich habe mich gefragt, warum interessiert sich hier vor der Haustür, wo mich und meine Arbeit jeder kennt, niemand für mich? Ich habe gedacht, das ist doch unfassbar." Insofern war der Absturz der Bochumer von Aufstiegsaspiranten zum Abstiegskandidaten ein Glücksfall für Peter Neururer. Er ist wieder da. "Ich stehe mit einem Pfeifen morgens um sieben Uhr auf und freue mich auf den VfL."
Zum Schluss, nach dem vierten Auswärtssieg in dieser Spielzeit, feiern sie ihn dann doch noch in der Bochumer Ecke im Stadion der Freundschaft. "Wir woll'n den Trainer seh'n." Peter Neururer aber kommt nicht. Gibt ja auch noch nichts zu feiern.
Quelle: ntv.de