"Jetzt stecken wir in der Scheiße" Nichts geht mehr beim FC Bayern
04.10.2010, 15:13 UhrTristesse statt Aufholjagd, Straftraining statt Oktoberfest: Der FC Bayern leckt nach der Niederlage in Dortmund seine Wunden. Das Fernglas, mit dem die Bundesliga-Konkurrenz die Bayern betrachten soll, brauchen die Münchner nun selbst. Und Meister wird ohnehin Dortmund.
Der FSV Mainz 05 und Borussia Dortmund sind in der Bundesliga im Rekordrausch, Rekordmeister FC Bayern quält ein hartnäckiger Kater. In Dortmund schwenkten sie auf der Südtribüne weiße Taschentücher, als sich die Münchner nach dem 0:2-Rückstand in die dritte Saisonniederlage ergaben. In Mainz hatten die Fans den siebten Sieg im siebten Spiel schon am Samstag mit Meisterschalen gefeiert und Richtung München gespottet: "Keine Angst Louis. Ist nur Pappe!"
Da waren der schlechteste Saisonstart der Bayern und 13 Punkte Rückstand auf Tabellenführer Mainz noch eine theoretische Möglichkeit, jetzt sind sie Gewissheit. Und jetzt ist auch die Angst da, den Titel schon verspielt zu haben. Oder, um es mit Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge zu sagen: "Jetzt stecken wir in der Scheiße, jetzt müssen wir zusehen, dass wir aus der Scheiße wieder rauskommen!"
Den geplanten Oktoberfest-Besuch haben die Bayern wie erwartet abgesagt, stattdessen hat Trainer Louis van Gaal eine zusätzliche Trainingseinheit angesetzt. Es gibt nichts zu feiern, die Ligabilanz ist niederschmetternd. Der "Super-Gau" (Präsident Uli Hoeneß) in Zahlen:
- acht Punkte aus sieben Ligaspielen, so wenige wie noch in der Bundesliga
- drei Saisonniederlagen, so viele wie nach dem 27. Spieltag der Vorsaison
- zwei Saisonsiege durch zwei Tore in der Nachspielzeit
- erst sieben Gelbe Karten in sieben Spielen, damit fairstes Team der Liga
- fünf Ligatore (die wenigsten aller Klubs) bei 112 Torschüssen (nur Dortmund hat mehr) und im Schnitt 63,54 Prozent Ballbesitz (Ligabestwert)
- fünf Ligaspiele ohne Treffer eines Bayernspielers
- Platz 12 mit fünf Punkten Vorsprung auf Liga-Schlusslicht VfB Stuttgart und 13 Zählern Rückstand auf Tabellenführer FSV Mainz

Chancentod Mario Gomez wird nach dem "Genickschlag" beim BVB von Bastian Schweinsteiger getröstet.
(Foto: REUTERS)
In Dortmund hatte die Bayern-Krise drei Gesichter. Das von Mario Gomez, der erstmals in dieser Saison in der Startelf stand, der in der ersten Halbzeit drei Großchancen hatte und der doch wieder kein Tor für die Bayern machte – wie schon bei seinen vergangenen 14 Einsätzen. Das von Martin Demichelis, der im Sommer weg wollte und sollte, bleiben musste und nun in Dortmund das 1:0 mit einem Anfängerfehler einleitete und den Freistoß zum 2:0 mit einem unnötigen Handspiel verschuldete. Und das von Louis van Gaal.
Der sagte nach dem Spiel: "Aus zwei Metern konnten wir kein Tor schießen. Da kann man als Trainer nicht viel sagen. Und deswegen halte ich jetzt lieber meinen Mund." Die Journalisten lachten, die Bayern-Führung schäumt. Denn nicht nur Angriff und Abwehr des Rekordmeisters hat das Glück verlassen, auch den Trainer. Was der Niederländer auch unternimmt, es fruchtet nicht. Gegen Dortmund veränderte er neben seinem Personal auch die Taktik. Bastian Schweinsteiger, als Sechser unter dem Holländer zu einem Weltklassespieler gereift, sollte diesmal den Zehner geben. Tatsächlich machten die Bayern im ersten Durchgang zwar das Spiel, aber sie machten kein Tor. Das Problem: Besser als in den ersten 45 Minuten in Dortmund können es die Bayern derzeit nicht.
Van Gaal hat sich verzockt
Die Stimmung in München ist am Tiefpunkt und van Gaal trägt eine gehörige Mitschuld an der prekären Lage. Er kann zwar nichts für die Verletzungen seiner Stars Arjen Robben und Franck Ribery, ohne deren Ideen das dominante, auf Ballbesitz basierende Spiel der Bayern wieder zu einem uninspirierten Ballgeschiebe verkommen ist. Doch der Niederländer hat seinen Spielern wochenlang ein Alibi gegeben. Van Gaal beschwerte sich fortwährend über die schlechte Vorbereitung der Spieler durch die WM, er redete die durchwachsenen Leistungen seiner Stars schön.
Vor allem aber schätzte er, das ist jetzt offensichtlich, die Klasse seines Kaders und seine eigenen Motivationsfähigkeiten nach dem Double und dem Einzug ins Finale der Champions League falsch ein. Namhafte und titelhungrige Neuzugänge wie Edin Dzeko, Sami Khedira oder Linksverteidiger Fabio Coentrao, die für mehr Qualität im Team und Reizpunkte gesorgt hätten, wurden nur gehandelt, nicht verpflichtet. Van Gaal entschied, auf die Rückkehrer Toni Kroos und Breno zu vertrauen. Die Bayern-Führung vertraute auf van Gaal und trug das Kontrastprogramm zum Schalker Radikalumbau mit.
Ein fataler Fehler, der bis zur Winterpause nicht mehr zu korrigieren ist. Die Abwehr ist so instabil wie befürchtet und lädt die Gegner mit hanebüchenen Fehlern zu Toren ein. Im Mittelfeld fehlt mit Ribery und Robben jegliche Kreativität. Der Sturm hat Chancen, trifft aber nicht. Das Bayern-Experiment ist - bis jetzt - total missglückt.
Dennoch stärkt die Vereinsführung dem Trainer bislang demonstrativ den Rücken. Nach der Niederlage gegen Mainz wurde sein Vertrag bis 2012 verlängert, nach der Niederlage in Dortmund erklärte Karl-Heinz Rummenigge: "Wir sind von der Philosophie und Qualität des Trainers total überzeugt. Wenn ein Trainer einen guten Job macht, kann man eine Entscheidung nicht von einem Wochenende abhängig machen. Er hat unser vollstes Vertrauen."
"Fighten, beißen, kratzen"
Die Verantwortlichen haben sich bislang allein auf die Spieler eingeschossen. Rummenigge vermisst die Brechstange, den unbedingten Willen zum Sieg, will die bayrischen Schönspieler wieder "fighten, beißen, kratzen" sehen. Auch Hoeneß lässt die mangelnde Chancenverwertung nicht als Erklärung für die Krise gelten. Er stellt nüchtern fest: "Wir gewinnen zu wenig Zweikämpfe." Die braven Bayern sind das meistgefoulte Team der Liga, haben in dieser Saison aber selbst 80 Fouls begangen und sieben Gelbe Karten. Das reicht nur in der Fairplay-Tabelle für Platz eins. Die letzte Konsequenz und Aggressivität, wie sie Dortmunds Sven Bender vor dem BVB-Führungstor im Duell mit dem zögernden Gomez zeigte, sie fehlt.
In Erinnerung an den schwachen Start und das grandiose Finale in der Vorsaison scheinen die Bayern-Spieler und auch van Gaal vielmehr darauf zu vertrauen, dass ihnen in diesem Jahr eine vergleichbare Wende gelingt. Also warten sie. Durch die Länderspielpause haben die Bayern jetzt immerhin zwei Wochen Zeit, ihre Wunden zu lecken. Im nächsten Spiel muss gegen Hannover 96 zwingend ein Sieg her, um den Traum vom fest eingeplanten 23. Meistertitel nicht endgültig und damit so früh wie noch nie begraben zu müssen.
Denn warten und hoffen, das hat die Partie in Dortmund gezeigt, reicht in dieser Saison nicht aus. Nicht die Gäste agierten mit bayrischer Effizienz, sondern der BVB. Nach offensiv schwacher erster Halbzeit präsentierten sich die Dortmunder in der zweiten Halbzeit wie ein ernsthafter Anwärter auf die Meisterschaft. Favorit sind sie ohnehin. Denn immer dann, wenn eine Mannschaft wie diesmal Mainz mit sieben Siegen in eine Saison startete, hieß der Meister am Ende - Borussia Dortmund.
Quelle: ntv.de, mit sid/dpa