Fußball

Was hat die Sbornaja gespielt? Russland rumpelt in die WM-Angst

Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow lässt offenbar einen Fußball spielen, den die Menschen in Russland nicht verstehen.

Nationaltrainer Stanislaw Tschertschessow lässt offenbar einen Fußball spielen, den die Menschen in Russland nicht verstehen.

(Foto: imago/GEPA pictures)

Joachim Löw muss vor Österreich nicht bange sein, Russland vor dem Start umso mehr. Beim Kick in Innsbruck sieht der Gastgeber der WM so alt aus, wie es die Spieler sind. Der Trainer muss ein Kreuzverhör über sich ergehen lassen.

Das bisher letzte Mal, als eine russische Fußball-Nationalmannschaft mit 0:1 gegen Österreich verloren hat, war ein gewisser Fabio Capello danach seinen Job los. Damals drohte die Sbornaja die EM 2016 zu verpassen, doch Leonid Sluzki brachte Russland nach Frankreich, nur um dort mit einem mickrigen Punkt in der Vorrunde herauszufliegen und sich mit einem legendären Statement zu verabschieden: "Wir haben alle im Chor gesagt: Wir sind scheiße! Das ist wie bei anonymen Alkoholikern. Die Tatsache muss man akzeptieren, damit man einen Punkt hat, um neu anzufangen." Den Neuanfang übernahm Stanislaw Tschertschessow, deutlich besser wurde es nicht. Das 0:1 im Testspiel an diesem Mittwochabend in Innsbruck gegen Österreich war das sechste Spiel in Folge ohne Sieg.

Unzufrieden, sehr, sehr unzufrieden.

Unzufrieden, sehr, sehr unzufrieden.

(Foto: imago/ITAR-TASS)

Um seinen Job muss Tschertschessow sicher nicht bangen, der 54-Jährige wird in zwei Wochen sein Land in die Mission Heim-WM führen - aber die Pleite lässt Zweifel wachsen, ob er sie auch erfüllen kann. Die Pleiten in den knackigen Tests gegen Argentinien und Brasilien konnte er noch erklären, ein 3:3 gegen Spanien im November 2017 ließ sogar aufhorchen.

Doch gegen Österreich leistete sich das Team vor 14.500 Zuschauern einen erbarmungswürdigen Auftritt ohne Esprit, ohne Tempo, ohne Torgefahr - die Sbornaja sah nicht gerade aus wie ein Team, das seinen Fans ab Mitte Juni ein Sommermärchen bescheren kann. Österreich dagegen feierte einen erfolgreichen Auftakt in seine "Mini-WM": Nach dem Gastgeber fordern David Alaba und Co. noch Rekordweltmeister Brasilien und am Samstag (ab 18 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) in Klagenfurt Titelverteidiger Deutschland. "Da müssen wir aber noch eine Schippe drauflegen", sagte der der Verteidiger des FC Bayern, der geschont und nach einer Stunde eingewechselt wurde. Keine Kampfansage an den großen Nachbarn, so dominant das Team des gebürtigen Mainzers Franco Foda auch an diesem Abend gegen Russland agiert hatte - es war eben nur Russland.

Immerhin noch zu elft

"Deutschland wird nochmal ein anderes Level", sagte der agile Ex-Bremer Marko Arnautovic, der an diesem Abend besonders im Fokus stand. Seit Tagen kursieren Gerüchte über einen Wechsel des einstigen Enfant Terribles von West Ham United zu Manchester United. Und siehe da, wer verfolgte das Spiel drei Sitzreihen über dem FPÖ-Chef und Sportminister Heinz-Christian Strache?  José Mourinho, Trainer der Red Devils.

Der Herr Mourinho beobachtete den Herrn Arnautovic.

Der Herr Mourinho beobachtete den Herrn Arnautovic.

(Foto: imago/GEPA pictures)

Das Spiel der ersten 45 Minuten dürfte ihm vertraut vorgekommen sein, kaum Torchancen, kaum Kombinationsfluss, viele Fehlpässe, beide Teams erinnerten stark an die uninspirierten Auftritte von Mourinhos United in dieser Saison. Den einzigen Höhepunkt lieferte Österreichs Peter Zulj, der ohne Not und Gegenspieler seinem Kollegen Martin Hinteregger im Mittelfeld den Ball an den Kopf drosch.

Auf russischer Seite kamen weder der Ex-Kölner Konstantin Rausch noch der ehemalige Schalker Roman Neustädter zum Einsatz, letzterer fehlte sogar im Kader, ein schlechtes Zeichen im Hinblick auf die endgültige Kadernominierung. In der Startelf standen neben dem 38-jährigen Rekordnationalspieler Sergej Ignaschewitsch noch fünf weitere Spieler über 30 - die angeblich recht harten Trainingseinheiten und die schwüle Hitze im Tivoli-Stadion raubte dem Team schon ab Minute 20 jegliche Spritzigkeit. Nur folgerichtig, dass die Österreicher nach den regelmäßigen Ballverlusten der Sbornaja immer wieder zu Kontern kamen, einen davon nutzte Schalkes Alessandro Schöpf nach Vorarbeit von Arnautovic zum 1:0 in der 28. Minute.

Es sollte ein Muster für die restliche Spielzeit bilden: Wenn es schnell wurde, geriet Tschertschessows Altherrenmannschaft in Schwierigkeiten. Zwei Minuten nach dem 1:0 lief Arnautovic nach einem Pass der Marke "Bruda, schlag den Ball lang" allein aufs Tor zu, Wladimir Granat stoppte ihn mit einer innigen Umarmung - in einem WM-Spiel eine klare rote Karte, der Schiedsrichter beließ es bei Gelb. Immerhin noch zu elft, kam Russland verbessert aus der Kabine, aber weiterhin kaum zu Chancen. Als beide Trainer ab der 60. Minuten auf mehreren Positionen tauschten, entwickelte sich das Spiel immer mehr Richtung Sommerkick, mit klaren Vorteilen für Österreich, das aber einige Gelegenheiten auf das 2:0 fahrlässig vertändelte.

"Haben Sie verstanden, was Russland gespielt hat?"

Seine Rückkehr nach Innsbruck hatte sich Trainer Tschertschessow sicher anders vorgestellt, mit dem FC Tirol gewann er zwischen 2000 und 2002 drei Meisterschaften - die letzte übrigens unter dem Trainer Joachim Löw. Deutschen Fans ist Russlands Coach wohl eher aus seiner Zeit bei Dynamo Dresden in Erinnerung, als er noch einen mächtigen Schnauzbart trug, den er mittlerweile auf Normalmaß gestutzt hat. An seiner berüchtigt knorrigen Art hat sich aber nichts geändert, zunehmend schlecht gelaunt beantwortete er auf der Pressekonferenz die Fragen der aufgebrachten russischen Reporter.

Dankenswerterweise hatte der ÖFB einen Dolmetscher engagiert, der den deutschsprachigen Kollegen den Schlagabtausch zwischen Trainer und Journalisten übersetzte. "Wie sollen die Spieler in den nächsten 14 Tagen lernen, wo ihre richtige Position ist?", fragte einer. "Das hat in den vergangenen zwei Jahren doch auch nicht geklappt." Tschertschessow bat um Geduld, schließlich blieben bis zum WM-Auftakt gegen Saudi-Arabien noch zwei Wochen und ein Testspiel gegen die Türkei, um sich einzuspielen. Keine zufriedenstellende Antwort: "Selbst wenn wir das schaffen, wer schießt dann die Tore?"

Tatsächlich hatte Russland in der 59. Minute plötzlich die eine, ihre einzige Chance zum Ausgleich, weil der sonst sichere Sebastian Prödl am Ball vorbeigrätschte – doch Fjodor Smolow brachte aus 13 Metern zentral vor Keeper Heinz Lindner das Kunststück fertig, den Ball klar rechts neben den Kasten zu setzen. Die Russen sollten das Spiel ohne einen einzigen Schuss auf das Tor beenden. Österreichs Trainer Franco Foda reklamierte das als Verdienst seiner Mannschaft, auch wenn die russischen Journalisten ihm etwas anderes einreden wollten. "Haben Sie verstanden, was Russland heute gespielt hat", fragte ein Reporter, als Foda kurz vor Mitternacht endlich den Platz einnehmen durfte, auf dem sich Tschertschessow zuvor in einem halbstündigen Kreuzverhör rechtfertigen musste. "Die Menschen in Russland verstehen es nicht."

Foda, ganz höflicher Gastgeber, sparte sich seinen Kommentar zum Niveau der Russen an diesem Abend und lobte lieber das Potenzial, das die Russen in zwei Wochen tunlichst abrufen sollten: "Das Team hat Qualitäten im Umschaltspiel, aber wir haben das heute nicht zur Entfaltung kommen lassen." Am Samstag in Klagenfurt wartet auf den zweimaligen deutschen Nationalspieler nun ein ganz besonderes Duell mit Joachim Löws Mannschaft, bevor zum Ende der österreichischen "Mini-WM" Brasilien im Wiener Happel-Stadion wartet. Eine ganz andere Qualität als Russland, sagt Foda. "Ich bin der Überzeugung, dass wir in den nächsten beiden Spielen gegen den kommenden Weltmeister spielen."

Quelle: ntv.de

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