Lachnummer statt Titelaspirant Schalke landet unsanft in der Realität
29.09.2013, 14:16 Uhr
Ob der neue Leitwolf schon an seinem Rudel verzweifelt?
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Vor der Saison redeten die Schalker über die Meisterschaft, nach der Verpflichtung von Kevin-Prince Boateng brach die Euphorie aus - doch nach dem 3:3 in Hoffenheim ist die Krise zurück in Gelsenkirchen. Fehler wie in der D-Jugend verleiten Sportdirektor Horst Heldt zu einer Drohung.
28. September, Sinsheim, 17.18 Uhr. Mit dem Schlusspfiff von Schiedsrichter Daniel Siebert dürfte auch der letzte eingefleischte S04-Fan eines realisiert haben: Der FC Schalke 04 war und ist keine Spitzenmannschaft. Die Meisterschaft? Weit, weit weg! Bayern und Dortmund? Um Lichtjahre enteilt.
Wenn es weiter abwärts geht, wird Trainer Jens Keller bald wieder in der Diskussion stehen.
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Sinnbildlich für den bisherigen Saisonverlauf - oder auch für die vergangenen Jahre und Jahrzehnte - ließen die "Königsblauen" beim 3:3 in Hoffenheim auf durchaus ansehnliche Spielstafetten Phasen der völligen Bankrotterklärung folgen. Einer Mannschaft unwürdig, die vom Selbstverständnis zur Beletage im deutschen Fußball gehört, verspielte man gleich zweimal eine Führung mit zwei Toren. Einmal mehr läuft Schalke der eigenen Erwartungshaltung meilenweit hinterher - und der Konkurrenz.
Von wegen Titelkandidat
Noch vor Saisonbeginn sah sich man sich in Gelsenkirchen-Buer auf Augenhöhe mit dem erfolgreichen Rivalen aus Dortmund. "Ich glaube, wir sind nicht weit weg. Wir sind durchaus in der Lage, mit dem BVB zu konkurrieren", hatte Sportvorstand Horst Heldt vollmundig verkündet. Und auch in der Berichterstattung fand die Vorstellung von einem Schalke, das dieses Mal nun wirklich ein gewichtiges Wort im Kampf um die Meisterschaft mitredet, durchaus Anklang.
"Aber sportlich könnte eine Mannschaft es schaffen, den Titelkampf doch noch zum Dreikampf zu machen: Schalke 04." Zu dieser These verstieg sich der "Spiegel". Das war vor neun Wochen. Nach nur sieben Spieltagen bleibt einzig die Erkenntnis, dass die "Königsblauen" mit 14 weiteren Mannschaften wohl um Platz 4 spielen - und selbst dafür wird man sich im Pott gewaltig strecken müssen.
Keine klare Linie im Spiel
Dass Realität und Selbstverständnis Jahr für Jahr derart auseinanderklaffen, liegt vor allem darin begründet, dass dem Schalker Spiel seit Jahren eine klare Spielphilosophie fehlt, unabhängig davon, wer an der Seitenlinie wirkt. Mit Julian Draxler, Jefferson Farfan und Kevin Prince-Boateng besitzt der Klub durchaus Spieler von internationaler Klasse, auch an hochtalentierten Nachwuchskräften wie Leon Goretzka mangelt es kaum. Doch auf dem Platz fehlt eine klare Idee vom Spiel, und das nicht nur in der laufenden Saison.
Momentan funktioniert zudem das Umschaltspiel mehr schlecht als recht, bei Ballverlusten bieten sich dem Gegner immer wieder große Räume. Ein geordnetes Defensivverhalten sieht anders aus. Und mit Timo Hildebrand steht zwar ein passabler Keeper im Kasten, Spiele entscheiden wird er für die Schalker aber wohl kaum. 16 Gegentore in 7 Spielen sprechen eine klare Sprache.
Wanderer zwischen den Extremen
Auch abseits des Platzes drängt sich die Frage auf, ob die Schalker Verantwortlichen die sportliche Situation immer richtig einzuschätzen wissen. Nach einem desaströsen Start mit 1 Punkt aus 3 Spielen - wobei die beiden Niederlagen gegen Wolfsburg und Hannover an einen Offenbarungseid grenzten - feierte man auf Schalke den 2:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen wie eine Auferstehung. Ein trügerischer Eindruck, wie sich noch herausstellen sollte.
Kaum ein anderer Club wandelt in schöner Regelmäßigkeit zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. So ließ ein Sieg gegen einen international drittklassigen Verein wie Steaua Bukarest in der Champions League den einen oder anderen von einem möglichen Erfolg gegen den FC Bayern träumen. Das Ergebnis ist bekannt.
"Irgendwann tauscht man dann aus"
Und nun nach dem 3:3 scheint ein neuer Tiefpunkt erreicht zu sein. "Hören Sie mir auf mit der scheiß Mentalitätsfrage. Wir haben individuell wahnsinnige Fehler gemacht, das hat aber nichts mit der Mentalität zu tun", wetterte Coach Keller. Überzeugende Erklärungen klingen anders. Sollte die sportliche Entwicklung weiterhin einer Zick-Zack-Kurve gleichen, werden wieder die "normalen" Automatismen des Geschäfts greifen: "Man tauscht sich aus - und irgendwann tauscht man dann aus." Vielleicht stellt Manager Heldt mit diesem Statement auch schon unbewusst die Trainerfrage.
Ein Bauernopfer haben die Verantwortlichen schon mal ausgemacht: Mittelfeldspieler Jermaine Jones steht nicht im Kader für das Spiel in der Champions League beim FC Basel. "Das Trainerteam hat entschieden, Jermaine eine Denkpause zu geben", teilte Heldt mit. Und wie reagiert der Geschasste: "Diese Gelegenheit nutze ich, meinen Meniskus glätten zu lassen." Ohne Worte!
Quelle: ntv.de, sport.de