"Dann kippt die Scheiße" Schalker Ekstase nach dem Sturm
08.05.2022, 12:58 Uhr
Simon Terodde und Sportvorstand Peter Knäbel sind sich einig.
(Foto: IMAGO/RHR-Foto)
Der FC Schalke 04 kehrt zurück in die Fußball-Bundesliga. Und wie es sich für den immer aufgeregten Klub gehört, tun sie das mit einem verrückten Sieg in einem spektakulären Spiel. Es ist das verdiente Ende einer komplizierten Saison.
Dass der FC Schalke aufsteigen würde, das war zuletzt immer klarer geworden. Nach einem komplizierten Saisonstart und einem beeindruckenden Endspurt hatte sich der Absteiger mit Vehemenz an die Spitze eines verrückt engen Aufstiegsrennens gesetzt und wollte sich da auch nicht mehr vertreiben lassen. Doch ausgerechnet im Spitzenspiel gegen den FC St. Pauli, das vor einer gewaltigen Kulisse von mehr als 60.000 Fans in der ausverkauften Arena zum königsblauen Triumphzug ausersehen war, lief erstmal alles falsch. 2:0 führte der kräftig Corona-geschädigte Tabellenvierte schnell und auch noch zur Halbzeit, die Aufstiegsparty drohte zu platzen.
Den Schalkern aber, denen war angeblich immer klar, dass an diesem Samstagabend einfach nichts schiefgehen würde, egal, wie das Spiel läuft. "In der Kabine waren alle noch ruhig. Wir wussten einfach, dass wir das Spiel gewinnen werden", erinnerte sich nach dem Spiel ein starker Darko Churlinov. Sein Trainer bestätigte: "Ich habe in der Halbzeit gesagt: 'Wir müssen einen machen, dann kippt das'. Ich war wirklich relativ entspannt, wir haben ja schon relativ viele Chancen in der ersten Hälfte gehabt und wir wussten: Ein Ding, und die Scheiße kippt hier", diktierte ein emotional arg angezündeter Aufstiegstrainer Mike Büskens ins Sky-Mikro.
Sie hatten ja auch alles angerichtet, die Arena zu erschüttern und die eigene Mannschaft schlicht zum Aufstieg zu tragen: Vor dem Spiel präsentierte man den Fans die "Eurofighter", die größte Mannschaft der jüngeren Klubgeschichte. 1997 hatte man als Underdog gegen den großen Favoriten Inter Mailand den UEFA-Cup gewonnen, die Stimmung steigerte sich von "erwartungsvoll" in "elektrisierend".
Auf den Rängen brannte man ein Inferno ab, 144-Mal wurde rund um das Spiel Pyrotechnik gezündet, wie die Polizei gezählt haben will. Das Spiel stand, so heißt es, zwischenzeitlich vor dem Abbruch. Für die Spieler schien alles dann erstmal beinahe ein bisschen viel des Guten gewesen zu sein, sogar Torjäger Terodde, den manch einer schon zur Mittelstürmer-Traumlösung für die Nationalmannschaft hält, vergab zahlreiche Großchancen. Und dann stand es auf einmal 0:2.
"Unfassbar, was hier abgegangen ist"
Das "Ding", das die - Pardon - Scheiße zum Kippen brachte, war der Elfmeter, den Terodde nur Sekunden nach dem Wiederanpfiff zum Anschlusstreffer versenkte. Der Torjäger, der in der ersten Hälfte untypisch viele Chancen ausgelassen hatte, gab das Signal zur Aufholjagd und die Dramaturgie entfaltete sich für alle in Königsblau perfekt. Nach dem Anschlusstreffer entfesselte sich ein Schalker Sturm, Terodde selbst glich mit seinem 29. Saisontreffer aus. Das 3:2 durch Rodrigo Salazar nach gut zehn Minuten ließ die Arena, die bis dahin durchgehend vibrierte, erst erzittern, bevor der Abpfiff nach ewiger Nachspielzeit in einem Platzsturm Tausender Fans unterging.
"Das Spiel musste genau so kommen, wie es heute gekommen ist. Unfassbar, was hier abgegangen ist", brüllte Sportdirektor Rouven Schröder nach dem kleinen Schalker Wunder im Aufstiegsendspiel. "Die Jungs waren auf den Punkt da." Was der Aufstieg in den Spielern auslöste, war unschwer an den Gesichtern abzulösen: In die Freude über den Aufstieg mischte sich unübersehbar pure Erleichterung, Simon Terodde und Marius Bülter waren nicht die einzigen, die sich inmitten der königsblauen Ekstase weinend in den Armen lagen.
Und sie haben ja auch wirklich eine verrückte, oft frustrierende, aber immer turbulente Zeit hinter sich. Vor einem Jahr, um diese Zeit, jagten Chaoten die Mannschaft nach einem verlorenen Auswärtsspiel nach ihrer Rückkehr um die Arena, nun feiert man gemeinsam die Rückkehr in die Bundesliga. "Überleg' mal, was hier die letzten zwei Jahre losgewesen ist: Du gewinnst nichts, steigst sang- und klanglos ab, hast keine Mannschaft - und dann entwickelt sich da so ein Haufen, wo jeder bereit ist, für den andern Gas zu geben", schwärmte Büskens, auch in Erinnerung an den schlimmen Abstieg 2021 nach einer desaströsen Saison und einem beinahe Totalumbruch vor der laufenden Runde.
Gewaltige Herausforderungen
Schalke stand erst am 29. Spieltag zum ersten Mal auf einem direkten Aufstiegsplatz, zuvor musste man einen Fehlstart mit nur vier Punkten aus den ersten vier Spielen verkraften, Sportdirektor Rouven Schröder musste sich im Frühjahr nach einem 3:4 gegen Hansa Rostock von Trainer Dimitrios Grammozis trennen, dazu musste sich der Klub wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine unter der Beobachtung von Medien, Politik und Zivilgesellschaft gegen den eigenen Hauptsponsor positionieren.
Und das alles, nachdem man vor der Saison alle Großverdiener von der Gehaltsliste bekommen musste. Von einstmals über 90 Millionen Euro auf jetzt rund 20 Millionen Euro mussten die Gehaltskosten gedrückt werden, 30 Spieler gingen, 18 neue kamen. Die Wochen und Monate nach dem Abschied aus der finanziell so lebensnotwendigen Bundesliga hielten beinahe täglich eine Operation am offenen Herzen des Klubs bereit.
Trainer Büskens, der sieben seiner acht Spiele gewonnen hatte und so den Aufstieg maßgeblich möglich machte, ließ im Aufstiegstaumel durchblicken, welcher Druck auf ihm und dem Klub gelastet habe. "Auch wenn immer kommuniziert worden ist, dass wir einen Drei-Jahres-Plan für den Wiederaufstieg hatten, weißt du, wie wichtig die Bundesliga für diesen Klub ist." Sechs Punkte betrug der Rückstand auf Relegationsrang drei, als der "Eurofighter" im März seinen Job antrat.
Gezwungenermaßen, wie Büskens erklärte: "Ich wollte es nicht übernehmen, definitiv nicht", verriet der Trainer, der einst als Spieler den UEFA-Cup mit dem FC Schalke gewonnen hatte und später immer wieder einsprang, wenn irgendwo mal wieder jemand gebraucht wurde. "Mehr als mein halbes Leben hab ich hier verbracht", sagte Büskens. Und wenn man so mit dem Klub verbunden ist, "dann lassen dich die Dinge einfach nicht los, du kannst nicht mehr abschalten". Nun wird Büskens nach dem großen Triumph wieder wie abgesprochen zurück ins zweite Glied treten.
"Man hat nur ein Leben"
Viel Muss, viel Zwang. Das eigentliche Wunder, das viel größer ist als das 3:2 gegen St. Pauli gegen alle Widerstände, ist, dass der notorisch aufgeregte Verein all das seriös und konstruktiv erledigte. So steht am vorläufigen Ende der Turbulenzen der Aufstieg. Der Sportdirektor, der bei all dem besonnen moderierte und notfalls klare Kante zeigte, lässt jetzt erstmal alles laufen: "Wir werden so Gas geben, wie es sich gebührt. Man hat nur ein Leben - und das werden wir heute feiern", kündigte Schröder an.
"Wir haben versucht, es uns vorzustellen. Wir wollten es unbedingt und wir haben es erzwungen. Jetzt machen wir die Nacht zum Tage, gehen steil ohne Ende", sagte Kapitän Danny Latza. Der gebürtige Gelsenkirchener dürfte besonders beruhigt sein, dass die Bundesliga-Rückkehr in trockenen Tüchern ist: Bei einem Aufstiegsendspiel am letzten Spieltag wäre der gebürtige Gelsenkirchener wegen seiner 5. Gelben Karte gesperrt gewesen.
Schalke 04, vor einem Jahr bis unter die Haarspitzen in der sportlichen Depression versunken, hat ein Jahr voller Herausforderungen genutzt, um den Klub wieder zu einen. Am Ende lief alles perfekt. "Schalke 04 lebt wieder", brüllte Schröder noch.
Quelle: ntv.de, ter