WM-Zeitreise - 18. Juni 2002 Schiedsrichter-Skandal macht Italien wütend
18.06.2018, 10:22 Uhr
Italienische Fußballfans sprechen im Zusammenhang mit dem 18. Juni 2002 bis heute vom größten WM-Skandal aller Zeiten.
Was auch immer an diesem 18. Juni 2002 genau geschah: Mit seinen sonderbaren Entscheidungen für Südkorea verschaffte sich Schiedsrichter Moreno aus Ecuador einen festen Platz in der WM-Historie - und macht Italien immer noch wütend.
Es ist die 104. Minute an diesem 18. Juni 2002, die den Maestro Giovanni Trapattoni endgültig seine Fassung verlieren lässt. Wütend trommelt der ehemalige Coach des FC Bayern München in dieser Nacht von Daejeon gegen die Plexiglasverkleidung seines kleinen Trainer-Kabuffs. Dahinter stehen die Offiziellen der Fifa und weichen erschrocken zurück. Die gelb-rote Karte gegen Francesco Totti ist der Höhepunkt einer ganzen Reihe von äußerst fragwürdigen Entscheidungen eines Mannes aus Ecuador, dessen Namen man in Italien bis heute besser nicht in den Mund nehmen sollte. Denn sobald in einem Gespräch der Name Byron Moreno fällt, rasten die Bewohner des Mittelmeerlandes aus.

Erhitzt nach wie vor die Gemüter italienischer Fußballfans: der ehemalige Fifa-Schiedsrichter Byron Moreno aus Ecuador.
Der Hass auf den Schiedsrichter des WM-Achtelfinals 2002 zwischen Südkorea und Italien war eine Zeitlang sogar so groß, dass man in Santa Teresa di Riva auf Sizilien beschloss, die öffentlichen Pissoirs mit dem Konterfei des unbeliebten Mannes in Schwarz zu bekleben. Nach Meinung der Tifosi hat der ecuadorianische Schiedsrichter sie in diesem denkwürdigen Spiel nach Strich und Faden verpfiffen.
Bereits nach fünf Minuten entscheidet Byron Moreno an diesem 18. Juni auf Strafstoß für Südkorea wegen Festhaltens. Eine Auslegungsentscheidung, die dennoch erste Zweifel am Schiri aufkommen lässt - und das nicht nur auf italienischer Seite. Doch nachdem Italien nach achtzehn Minuten durch Vieri in Führung geht, versucht Trainer Giovanni Trapattoni die aufgeheizte Stimmung wieder etwas zu beruhigen. Das gelingt ihm auch einigermaßen gut - bis zur 72. Minute. Als jedoch direkt an der Seitenaußenlinie vor den Augen der italienischen Bank Gianluca Zambrotta von Sun Hong Hwang böse und rotwürdig umgetreten wird, ist der Maestro nicht mehr zu halten. Nur wenige Minuten nach Zambrottas verletzungsbedingter Auswechslung läuft Totti auf das Tor der Südkoreaner zu und wird erst am Sechzehner von einem Spieler im weißen Jersey per Bodycheck aufgehalten. Doch was macht Byron Moreno? Er lässt mit großer Geste weiterspielen. Genug für Trapattoni. Er schießt mit voller Wucht eine gelbe Trinkflasche Richtung Tribüne und trifft einen Offiziellen.
Tor-Trauma für Ahn Jung-hwan
Der Rest ist schnell erzählt. Wie es im Fußball nun einmal so ist, gelingt Südkorea wenige Minuten vor Schluss der regulären Spielzeit der 1:1-Ausgleich. Und nachdem Francesco Totti in der 104. Minute wegen einer angeblichen Schwalbe vom Platz verwiesen wird und Tommasi in der 112. Minute wegen einer vermeintlichen (oder schlichtweg falschen) Abseitsentscheidung aus einer Position freistehend vor dem Tor zurückgepfiffen wird, erzielt ausgerechnet Ahn Jung-hwan kurz vor Schluss das entscheidende 2:1 für Südkorea.
Für Ahn Jung-hwan wird dieses Tor zu einem echten Trauma. Er spielt zu dieser Zeit mehr schlecht als recht beim AC Perugia. Sein Trainer Serse Cosmi kann sich aber nicht über den Treffer seines Schützlings mitfreuen - ganz im Gegenteil. Er ist stinksauer auf Ahn Jung-hwan: "Er war verloren wie ein Schaf, konnte sich nicht mal allein eine Pizza kaufen. Ohne große Leistung wurde er hier reich und blamierte dann den italienischen Fußball."
Berüchtigter Mann in Schwarz
Schiedsrichter Byron Moreno ergeht es nicht wesentlich besser. Nachdem Italien eine Untersuchung wegen Betrugs angestrengt hatte und er von der Fifa-Schiedsrichterliste gestrichen wurde, wehrt sich der Mann aus Ecuador jedoch verbal - und wie: "Wenn die Italiener über Korruption sprechen, dann nur, weil sie es gewohnt sind, sie selber zu praktizieren. Die Italiener wissen immer noch nicht, wie man anständig verliert. Das war schon bei Mussolini so, als er 1938 seinen Spielern sagte, sie sollen ja nicht ohne den Pokal aus Frankreich nach Hause kommen."
Das Wort "Korruption" ist im Sprachschatz von Moreno zu diesem Zeitpunkt auf jeden Fall nicht neu. Denn ebenfalls im Jahr 2002 sorgte Moreno bei einer Partie zwischen Liga de Quito und dem Barcelona Sporting Club aus Guayaquil für Aufregung. Über 20 Minuten ließ der Schiri an diesem Tag nachspielen. Böse Zungen vermuteten damals, dass das einen ganz einfachen Grund hatte: Moreno bewarb sich gerade um einen Sitz im Stadtparlament von Quito. Zufälligerweise Heimatort genau der Mannschaft, der zu Hause gegen den SC Barcelona einfach kein Tor gelingen wollte. Und um das Ganze auf die Spitze zu treiben: Morenos Wahlspruch war damals "Rote Karte für die Korruption!"
Als der Schiedsrichter schließlich 2010 am New Yorker Kennedy-Flughafen bei einem sonderbaren Kriminaldelikt erwischt wurde - er hatte an einem der bestbewachten Airports der Welt versucht, sechs Kilogramm Heroin in Plastiktüten, die er an seinem eigenen Körper befestigt hatte, zu schmuggeln -, kannte Italiens Nationalkeeper Gianluigi Buffon auch Jahre nach dem WM-Spiel gegen Südkorea keine Gnade: "Sechs Kilo Drogen? Meines Erachtens hatte er diese schon 2002, aber nicht in der Unterwäsche, sondern im Körper." Merke: Echte Wut vergeht nie!
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Quelle: ntv.de