Fußball

Panik und Wut statt Euphorie Die Schweineliga greift nach Rot-Weiss Essen

Rot-Weiss muss mächtig um den Klassenerhalt in der 3. Liga bangen.

Rot-Weiss muss mächtig um den Klassenerhalt in der 3. Liga bangen.

(Foto: IMAGO/blickwinkel)

Gegen Alemannia Aachen will Rot-Weiss Essen die Aufholjagd in der 3. Fußball-Liga starten - und steht am Ende enttäuscht da. Der Kapitän gesteht, dass er "stinksauer" ist und ein Neuzugang zweifelt daran, ob alle Spieler bereit sind für den Existenzkampf.

Rot-Weiss Essen hat eine panische Angst: bloß nicht zurück in die Schweineliga! Viel zu lange waren die Männer von der Hafenstraße in der Regionalliga West gefangen, in diesem Nadelöhr, das den Weg in den Profifußball so verdammt schwer macht. Im Sommer 2022 war den Rot-Weissen endlich die Flucht gelungen, seither konnte sich das Team in der 3. Liga von den Klauen des Monsters fernhalten. Im vergangenen Jahr waren sie phasenweise sogar so gut, dass sie vom Aufstieg in die 2. Bundesliga träumten. Doch dieser schöne Traum hat sich längst in einen Albtraum verwandelt. Essen steckt dick im Abstiegskampf, ist Tabellen-19. und damit Vorletzter, und hat am Sonntag (erneut) die Hoffnung verloren. Dabei war die in den vergangenen Tagen eigentlich groß geworden.

Wieder einmal. Das Konzept Hoffnung sammeln und Hoffnung verlieren haben sie auch an der Hafenstraße zur Perfektion getrieben. In diesen Tagen sind die Vereinsfarben eher schwarz und weiß. Grau ist nur der schwere Nebel-Schleier, der sich seit Tagen immer wieder über den Ruhrpott legt und alles zu erdrücken scheint. Die Vorfreude auf die Rückrunde, die Freude über die vermeintlichen Transfercoups mit Mittelstürmer Dominik Martinovic und dem knüppelharten Antreiber Klaus Gjasula, im Sommer noch EM-Teilnehmer mit Albanien.

200 Fans waren ins Trainingslager in die Türkei gereist und hatten den seit Jahren durch die 3. Liga tingelnden Neu-Trainer Uwe Koschinat auf beste Weise fassungslos gemacht: "Ich habe es zum ersten Mal in dieser Form so erlebt. Wie man hier empfangen wird, welche Bedeutung der Klub für die Menschen hat", sagte der 53-Jährige dem Portal Reviersport. "Deshalb wollen wir alles dafür tun, um die Klasse zu halten." Doch die klitzekleine Euphorie im Abstiegskampf wurde an diesem Sonntag in Fetzen gerissen. Bei Aufsteiger Alemannia Aachen gab es eine aufrüttelnde 0:2-Niederlage für die Essener. Sie hätte viel höher ausfallen können, hätte Aachen nicht ein chronisches Abschlussproblem.

Alle sind nur noch stinksauer

So war das Ergebnis noch die beste Nachricht nach einem Spieltag zum Vergessen. Die eigene Leistung nicht ausreichend, um die Liga zu halten. Die Fans wütend, die Konkurrenz aus Osnabrück und Hannover erfolgreich. "Es ist verständlich, dass unsere Fans stinksauer auf uns sind. Das sind wir auch", sagte der resignierte Kapitän Michael Schultz bei MagentaSport. "Dass uns Aachen in so einem Spiel den Schneid abkauft, das darf nicht sein", schimpfte der Innenverteidiger und beklagte ein Auseinanderfallen seines Teams. Dabei sollte genau das einer Mannschaft aus dem Ruhrpott nicht passieren, der doch mindestens Fleiß und Kampf seit jeher an den Knochen klebt. Wie die Currysauce an der Bratwurst, wie die Mayonnaise an den Pommes.

In Essen schmeckt der Fußball aber derzeit so gar nicht. Seit sieben Spielen gab es keinen Dreier mehr für RWE, das kostete Trainer Christoph Dabrowski Mitte Dezember den Job. In Fankreisen kam das nicht gut an. Offenbar war der 46-Jährige nicht das faule Ei im Nest. Denn auch unter Koschinat läuft es im dritten Spiel (noch) nicht.

Der Preis des kleinen Erfolgs ist bezahlbar

Der Preis der vergangenen Saison, er war zu hoch für die Essener. Die Rechnung für den Rausch fliegt ihnen jetzt um die Ohren. Vinko Sapina, die Instanz im Mittelfeld, machte den Abflug. Er ging für 250.000 Euro zu Dynamo Dresden und durfte sich wenig nette Worte von den RWE-Fans anhören. Auch Felix Götze zog weiter, er spielt jetzt mit dem SC Paderborn um den Aufstieg in die Bundesliga. Er ist bei den Ostwestfalen einer der besten Spieler der gesamten Liga. Für ihn gab es kein Geld, wie auch für alle anderen Abgänge nicht. Für einen ewig klammen Klub wie RWE ein mittelschweres Desaster. Aufgefangen wurde der massive Verlust an Qualität und Führung nicht, beziehungsweise der Kaderplan des Sommers ging einfach nicht auf. Zu viele Zugänge funktionieren nicht. Auch deswegen nun die Korrekturen beim taumelnden Giganten, der doch wieder von einer glorreichen Rückkehr in die 2. Liga träumt, aber vom Monster Schweineliga fest im Klammergriff gehalten wird. Koschinat versucht, diesen Griff zu lösen. Bislang vergeblich.

In Osnabrück entlassen, soll Uwe Koschinat jetzt Essen in der 3. Liga halten.

In Osnabrück entlassen, soll Uwe Koschinat jetzt Essen in der 3. Liga halten.

(Foto: IMAGO/foto2press)

Und auch in diesem Winter kommt der Klub nicht ohne Nebengeräusche am Markt aus. Während der 21 Jahre junge Stürmer Leonardo Vonic (17 Ligaspiele, 5 Tore) wohl völlig überraschend zum FC Porto wechselt und RWE damit offenbar rund 400.000 Euro als Einnahme beschert, wächst sich der Transfer von Stürmer Marek Janssen zu einer zermürbenden Hängepartie aus. Im Sommer kommt er Medienberichten zufolge fix, aber Essen hätte ihn gerne schon jetzt, doch der SV Meppen blockt bei seinem Torjäger ab. Und das, obwohl der emsländische Traditionsklub in der Regionalliga Nord sportlich jenseits von Gut und Böse unterwegs ist.

Aachen war Koschinats drittes Spiel, seine Bilanz: ein Remis gegen den VfB Stuttgart II (2:2) und zwei 0:2-Niederlagen in Aachen und Osnabrück. Viel schwerer als die Bilanz wirkt allerdings das Gefühl, dass der neue Trainer nach der Partie in Aachen mit nach Hause schleppte: "Ich habe versucht, all meine Energie auf den Platz zu bringen, aber ehrlicherweise bin ich nicht allzu weit gekommen." Koschinat selbst befand, dass er seine Spieler auf den aggressiven Gegner gut vorbereitet habe. Aber jene, die angesichts der großen Personalnot (acht verletzte und erkrankte Spieler) gegen Alemannia auf dem Platz standen, sind offenbar nicht bereit für die schwere Aufgabe. "Wir haben viele Spieler, die viel Talent haben, die bisher aber nur in Ausbildungsvereinen aktiv waren, wo es eher um die persönliche Entwicklung geht. Sie haben mit dem Druck zu kämpfen. Umso wichtiger wird es, dass Spieler wie Gjasula zurückkommen."

Koschinat macht Führungsspielern klare Ansage

Der neue Leader im Mittelfeld hatte die Partie erkrankt verpasst. Am kommenden Wochenende, wenn es gegen Mitkonkurrent Hannover 96 II geht, soll er wieder mitwirken und dieser so zitternden Mannschaft den dringend benötigten Halt und die herbeigesehnte Widerstandskraft geben. Allerdings nicht nur er. Koschinat nahm nach der Pleite all seine Spieler in die Pflicht, die für führende Rollen eigentlich infrage kommen sollten. "Wir müssen auch daran arbeiten, dass die Erfahrenen in ihre Form kommen. Sie müssen erkennen, mit welchen Mitteln arbeitet der Gegner, dann müssen sie erkennen, wie man dagegen arbeitet. Das erwarte ich einfach. Das haben sie in Aachen nicht gemacht." Alles soll, alles muss besser werden. Es lebe die Hoffnung! An der Hafenstraße soll der Befreiungsschlag her, sonst droht das nächste große Drama in diesem ewig unruhigen Traditionsverein, der das Drama seit Jahren kultiviert und es dabei hassliebt.

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Aber vorerst herrscht die Fassungslosigkeit: Dominik Martinovic stand zum ersten Mal für den Klub auf dem Rasen. Der Transfer des Stürmers hatte für Aufsehen gesorgt, der 27-Jährige war umworben. Unter anderem von Aachen. Die Alemannia ging leer aus und staunte über die "verrückten Sachen", die der Klub aus dem Ruhrgebiet finanziell offenbar stemmen kann. Der Stürmer wechselte aus der ersten kroatischen Liga nach Essen und weiß nun, dass er sich nicht für die Komfortzone entschieden hat, sondern für den herausfordernden Existenzkampf.

Und für diesen sieht er nicht alle Spieler von RWE gerüstet: "Es ist möglich, dass dem ein oder anderen aufgrund der Hinrunde das Selbstvertrauen fehlt. Aber ganz ehrlich, das ist Profifußball. Das ist kein Druck, sondern ein Privileg, vor so einer vollen Hütte Fußball spielen zu dürfen", schimpfte Martinovic. "Der Trainer gibt uns so viel Selbstvertrauen - egal, ob wer in der Startelf steht oder auf der Bank sitzt. Wenn du vor 30.000 nicht die Eier hast zu versuchen, mal die Eins-gegen-Eins-Situation aufzulösen, dann bist du fehl am Platz." Und im Kampf gegen das Schweineliga-Monster chancenlos.

Quelle: ntv.de

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