Fußball

Reis ist gierig auf Schalke 04 Der explosivste Trainertransfer der Saison

Neu-Schalker: Thomas Reis kehrt auf die Trainerbank zurück.

Neu-Schalker: Thomas Reis kehrt auf die Trainerbank zurück.

(Foto: dpa)

Thomas Reis ist 45 Tage nach seiner Beurlaubung beim VfL Bochum zurück auf der Trainerbank. Er soll den Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04 vor dem Abstieg retten. Der 49-Jährige übernimmt ein Himmelfahrtskommando und muss zahlreiche schwierige Kaderprobleme lösen.

Fußball ist einfach ein fürchterlich undankbares Geschäft. Die Geschichte um den Trainer Thomas Reis ist dafür der aktuellste Nachweis. Noch im Spätsommer waren sie in Bochum zu allen Schandtaten mit dem 49-Jährigen bereit. Sie wären - man weiß es natürlich nie, weil Fußball halt ein fürchterlich undankbares Geschäft ist - sogar bereit gewesen, mit ihrem Heldencoach in 2. Bundesliga abzusteigen. Der Freiburger Weg, er war das Ziel. Also einen Coach halten, gegen alle (sportlichen) Widerstände. Doch nur ein paar Wochen später war der Traum vom ewigen Reis schon geplatzt. Der 49-Jährige war über eine Geschichte voller Widersprüche zu Vertragsgesprächen in Bochum und nicht zugegeben Kontakte zum Revierrivalen FC Schalke 04 gestolpert - deren Trainer er nun ist.

In Bochum reißt das eine Wunde auf, die am vergangenen Spieltag endgültig verheilt schien. Der Tabellenletzte (nun 17.) hatte Spitzenreiter Union Berlin aufgefressen. Das Stadion "anne Castroper" tobte und alle Vorbehalte gegen Reis' Nachfolger Thomas Letsch wurden im Rausch der Gefühle weggesungen. Eine spannende Parallele übrigens zum Amtsantritt von Reis beim VfL im September 2019. Damals hatte er Robin Dutt abgelöst und in Bochum blickte man skeptisch auf die Entscheidung des damaligen Geschäftsführers Sebastian Schindzielorz. Auf Schalke ist die Gemengelage anders. Nach dem krachenden Scheitern von Frank Kramer und anderen wilden Experimenten mit Christian Groß und Manuel Baum ist die Sehnsucht nach einem Messias auf der Bank groß.

Tempo und Terodde als Probleme?

Reis soll dieser sein. In seinen knapp drei Jahren beim VfL ist ihm viel Bewunderung entgegen geflattert. Vor allem in der vergangenen Saison, als er die Bochumer als Aufsteiger auf spektakuläre Weise in der Liga hielt. Mit leidenschaftlichem, mutigem und schnellem Fußball. Ob er das auf Schalke nun wiederholen? Reis wird seine Spielidee anpassen müssen. Zwar hat er mit Sebastian Polter (er kam im Sommer vom VfL) seinen ersten und ekeligen (im positiven Sinne) Anläufer wieder im Kader, doch sonst gibt das Aufgebot nicht viel her, um den Erfolgsplan zu adaptieren. Vor allem das Tempo fehlt. Andere Probleme, die er lösen muss: Setzt er wirklich auf Polter und wenn ja, verdrängt er Simon Terodde? Wer spielt im Tor? Die Fans sehnen sich nach den Patzern von Alexander Schwolow nach einem Wechsel. Und wer verteidigt im amtlich gebeutelten Zentrum?

Diesen Fragen durfte Reis unmittelbar nach seiner offiziellen Vorstellung am Donnerstagmorgen nachgehen, denn er leitete im Anschluss die Vormittagseinheit. Sein erstes Spiel könnte indes kaum schwieriger sein. Am Sonntag kommt der SC Freiburg in die Gelsenkirchener Arena. Worauf es ankommt? Zunächst einmal will er in den Fußballern den Glauben an die Stärke wecken. "Natürlich kriegen die Spieler das auch mit, wenn immer gesagt wird, man sei nicht bundesligatauglich. Es ist an den Spielern, das Gegenteil zu beweisen." Dass er ein völlig verunsichertes Team mit sechs Pflichtspielniederlagen in Serie übernimmt, kein Problem. "Mut gehört zu meinem Werten dazu. Das Risiko kann ich gut einschätzen. Es macht die Aufgabe auch interessant."

"Er fehlt, und er wird noch ganz lange fehlen"

Interessant, um es etwas blumiger auszudrücken, war die Lage auf Schalke bereits vor der Verpflichtung von Reis. Am Mittwoch hatte sich Sportchef Rouven Schröder völlig überrascht zurückgezogen. Aus privaten Gründen. Was dahinterstecken könnte, wurde in den Medien tüchtig spekuliert. So sollen Schröder die Trainersuche und der Gegenwind für seine Wahl ebenso mürbe gemacht haben wie der enge finanzielle Handlungsrahmen, der es Schalke kaum erlaubt, einen bundesligatauglichen Kader zu bauen oder Verstärkungen zu finanzieren.

Sportvorstand Peter Knäbel deutete jedoch an, dass auch ganz persönliche Gründe für Schröders plötzlichen Abgang ausschlaggebend waren, gegen die man machtlos gewesen sei. Als er nun über den zurückgetretenen Sportdirektor sprach, klang er fast wie auf einer Beerdigung: "Er fehlt, und er wird noch ganz lange fehlen in unseren Köpfen. Jeder kennt das Gefühl des Verlustes. Schmerz, Enttäuschung, Angst und die ewige Frage: warum?" Es gehe darum, "den Menschen und seine Entscheidung zu respektieren", sagte Knäbel und fügte auf irritierende Weise an: "Hallo Rouven, ich bin sicher, du schaust zu."

300.000 Euro selbst bezahlt?

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Dem Vernehmen nach reagierten die Spieler vorsichtig ausgedrückt überrascht auf das Schröder-Aus. Auch Reis hat gerade zu Beginn seiner heiklen Mission keine Bezugsperson in Form seines früheren Mitspielers als Profi an seiner Seite. "Natürlich war ich informiert", sagte Reis über Schröders Abgang. Dies sei aber kein Grund gewesen, nicht zu kommen. "Ich bin gierig nach Erfolg und gierig nach diesem Verein", sagte Reis, der offenbar gar einen Teil seiner Ablösesumme in Höhe von laut Medienberichten rund 300.000 Euro an den VfL Bochum bezahlte. Kaum ein Trainer habe so einen Einsatz abgeliefert wie Reis, um zu Schalke zu kommen. "Auch was die finanzielle Beteiligung am Auflösungsvertrag angeht", verriet Knäbel vielsagend.

Die Sätze von Reis ("gierig auf den Verein") dürften die Bochumer Fanseele derweil noch einmal richtig triggern. Bei Twitter wüten einige User und "versprechen" Reis am 23. Spieltag (beim Rückrundenspiel im Ruhrstadion) den schlimmsten Tag seiner Trainerkarriere. Eine explosive Mischung. Schließlich hatte der 49-Jährige ähnliche Liebesbekunden auch "anne Castroper" rausgehauen: "Wenn ich kein Bochumer bin, wer dann?" Tja, wer dann? Vergessen. Vergangenheit. Für Reis zählt die Gegenwart: "Ich muss nicht umziehen. Ich fühle mich im Ruhrgebiet sauwohl und habe bewiesen, dass ich ins Ruhrgebiet passe." Dass man ihn "als Plan B, C oder D" hinstelle, sei ihm "egal - ich sitze hier und kein Anderer". Fußball ist einfach ein fürchterlich undankbares Geschäft. Und manchmal auch ein heuchlerisches.

Quelle: ntv.de, mit dpa/sid

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