Tumulte und Fairplay in LeedsTrainer Bielsa befiehlt: Schenkt Villa das Tor!

Erzielt Mateusz Klich am Sonntag in der englischen Fußball-Championship ein "Skandaltor"? Oder bleibt die Partie zwischen Leeds United und Aston Villa einfach als große Stunde des Fairplay im Gedächtnis? Ein Blick ins Fußball-Regelbuch sagt: Die Frage ist komplizierter als gedacht.
Ein Pass die Linie entlang, ein kurzer Haken des Stürmers, Schuss ins lange Eck - Tor! Und danach brach am Sonntagnachmittag in Leeds das Chaos aus, an dessen Ende schließlich eine gewaltige Rudelbildung mit mehreren Kampfzonen, zwei Tore, eine Rote Karte, ein Aufstieg in die englische Premier League und ein desorientierter Leeds-Spieler auf der Abschussliste seines erregten Trainers stand. Und das nur, weil Mateusz Klich die Regeln des Sports befolgte, die Regeln des Fairplay aber außer Acht ließ. Es lohnt sich, die Vorfälle ab der 73. Minute des Spiels Leeds United gegen Aston Villa zu sortieren.
Die Ausgangslage
Der Aston Villa Football Club und Leeds United Association Football Club sind zwei der traditionsreichsten Institutionen des englischen Fußballs, mit großer Historie und einem Selbstverständnis, das beide als Premier-League-Inventar ausweist. Trotz allem traf man sich zum Spitzenspiel der zweitklassigen Championship, beide benötigten Punkte, um ihre Ausgangslage in Aufstiegs-Playoffs zu verbessern oder wenigstens zu erhalten. Es ging an diesem vorletzten Spieltag vor 36.786 Zuschauern an der Elland Road in Leeds durchaus um etwas. Leeds hätte mit einem Sieg gar noch die theoretische Chance auf Platz zwei und dem damit verbundenen direkten Aufstieg wahren können.
Das Tor
Leeds-Profi Tyler Roberts schickt in der 73. Minute und beim Stand von 0:0 unbedrängt einen schönen, gut temperierten Ball die linke Außenbahn hinunter und überspielt damit große Teile der Defensive Aston Villas. Teamkollege Mateusz Klich nimmt den Pass auf, schlägt einen Haken nach innen und versenkt das Spielgerät im langen Eck. Schönes Tor! Das Problem: Die Profis von Aston Villa hatten in der Erwartung, spätestens Klich werde den Ball ins Aus spielen, um eine Behandlungspause ihres angeschlagenen Mitspielers Jonathan Kodjia zu ermöglichen, das Verteidigen weitestgehend eingestellt.
Der Ärger
Schiedsrichter Stuart Attwell hatte noch nicht zum Mittelkreis gezeigt, da ging der Trubel los. Der polnische Nationalspieler Klich kam erst gar nicht zum Jubeln, sondern wurde sofort von Gegnern angegangen, die anschließende Rudelbildung versammelte Spieler beider Teams im angeregten Textil-Infight. Als der Schiedsrichter die Situation sortiert hatte, zeigte er zweimal die Gelbe Karte und schickte Villa-Profi Anwar El Ghazi vom Platz. An der Seitenlinie diskutierten die Trainer Marcelo Bielsa (Leeds) und Dean Smith (Aston Villa) die Situation - mit bemerkenswerten Folgen.
Nach dem Tor
"Gebt das Tor", brüllte der Argentinier Bielsa aufs Feld, als Aston Villa wieder anstieß. "Gebt das Tor!" Die meisten seiner Spieler gehorchten dem Trainer und ließen Albert Adomah ohne Gegenwehr den Ausgleich erzielen, einzig Pontus Jansson wollte der Anweisung seines Chefs nicht bedingungslos folgen. Den Treffern verhindern konnte er jedoch nicht. "Was passiert ist, ist passiert und wir haben uns benommen, wie wir uns benommen haben. Wir haben das Tor zurückgegeben. Der englische Fußball ist weltweit bekannt für seine Fairness", erklärte Bielsa nach dem Spiel nur knapp. "Ich habe alles gesagt, was ich sagen wollte." Aston Villas Coach Dean Smith lobte seinen Kollegen. "Ich hab ihm geraten, dass es richtig wäre, das zu tun, und er hat zugestimmt", sagte Smith. "Am Ende haben sich alle die Hände geschüttelt, weil die Sportlichkeit sich durchgesetzt hat." Das Spiel endete schließlich 1:1. Beide Teams haben sich für die Playoffs zum Aufstieg in die Premier League qualifiziert - und machten mit ihrem kuriosen Unentschieden gleichzeitig Konkurrent Sheffield United zum zweiten direkten Aufsteiger aus der Championship nach Norwich City.
Das Nachspiel
Für den schwedischen Nationalspieler Pontus Jansson, der als einziger gegen das geschenkte Tor verhindern wollte, könnte das Spiel noch in die Verlängerung gehen. "Jansson wollte meiner Anweisung nicht gehorchen. Das untergräbt meine Autorität und ich weiß nicht, was die Folgen sind, wenn man den Respekt eines Spielers verliert", schimpfte Bielsa, der mit seinem Spieler schon direkt nach dem Abpfiff verbal aneinander geraten war. Unterstützung erfuhr Jansson immerhin von Villas Trainer Smith: "Ich kann seine Frustration verstehen, weil ich selbst Spieler war. Sein Job war es, die Null zu halten und dann musst du dieses Tor wegschenken."
Bielsa dagegen darf sich auf der Insel feiern lassen. "Bielsa tut dem Spiel einen großen Gefallen", schrieb die Zeitung "The Times", der Argentinier bringe "etwas Vernunft ins englische Tollhaus". Und der große Arséne Wenger, ehemaliger Trainer von Arsenal, sprach von einer "großen Geste" seines früheren Kollegen. "Sie spielen um die Premier League und es geht da um etwas", sagte Wenger beim Sender beIN Sports. "Die ganze Welt sollte sich das anschauen." Der Franzose kritisierte zugleich Aston Villa. Die Villa-Profis hätten vor dem Führungstor von Leeds nicht einfach aufhören sollen zu spielen. "Leeds hat das ausgenutzt, damit haben sie sich schuldig gemacht."
Bielsas Entscheidung "eine Grauzone"
Ähnlich formulierte es die Zeitung "Telegraph": "Die Villa-Spieler hätten nicht aufhören sollen - es war keine Kopfverletzung, der Schiedsrichter ließ weiterspielen - und es wäre besser für alle gewesen, wenn sie das getan hätten." Die Zeitung lobte Bielsas "große Integrität", ließ aber offen, ob der Trainer die richtige Entscheidung gefällt habe: "Es ist eine Grauzone." Fakt ist: Die Spieler von Leeds United haben keine Regel verletzt, als sie den Ball nicht ins Aus spielten. Das Tor taugt kaum zum "Skandaltor", das Spiel aber zur großen Stunde des Fairplay.