Der Supercup im Schnellcheck War es der Harry-Kane-Fluch, der Tuchel so entsetzt?
12.08.2023, 23:38 Uhr Artikel anhören
Harry Kane hatte auch mit dem FC Bayern (noch) nichts zu feiern.
(Foto: IMAGO/MIS)
Harry Kane ist einer der größten Torjäger seiner Generation, doch einen Titel konnte der Kapitän der englischen Fußball-Nationalmannschaft noch nie gewinnen. Dabei bleibt es vorerst, denn auch mit dem FC Bayern darf er keinen Pokal in die Luft stemmen - zumindest vorerst. Thomas Tuchel ist entsetzt.
Was ist da im Münchener Stadion eigentlich passiert?
RB Leipzig holt den ersten Titel der neuen Saison und das ist durchaus überraschend: Dreimal hatte der FC Bayern zuvor in Folge den Supercup gewonnen, sechsmal in den letzten sieben Jahren. 3:0 (2:0) gewannen die Sachsen. Für Pokalsieger Leipzig ist es das erste Mal. Soviel zu den Zahlen. Doch der FC Bayern hatte sich ja viel Mühe gegeben und eine Menge, ja, eine gewaltige Menge Geld, mehr als jeder andere Bundesligist und man selbst je zuvor, in die Hand genommen, um an diesem Abend eine andere Geschichte als die des Supercups zu inszenieren: Die Allianz-Arena sollte die aufwendig ausgeschmückte Bühne für das Debüt von Harry Kane werden, den Mann, dem sie wochenlang nachjagten und der ihnen mehr als 100.000.000 Euro wert ist.
Es wäre ja auch eine tolle Geschichte gewesen: Harry Kane, diese Tormaschine, sechsfacher Torschützenkönig der Premier League, Rekordtorschütze der englischen Nationalmannschaft, hat in seinen zwölf Jahren als Stürmer der Tottenham Hotspur nie einen Titel geholt. Keine Meisterschaft, keinen Pokalsieg. Nichts. "Er könnte an seinem ersten Tag mehr Trophäen gewinnen als in mehr als einem Jahrzehnt bei den Spurs", hatte Englands Fußball-Idol Gary Lineker am Nachmittag noch gestichelt. Es kam anders: Harry Kane bleibt vorerst titellos. Und RB Leipzig feiert.
Teams & Tore
München: Ulreich - Pavard (46. Mazraoui), Upamecano, de Ligt (46. Kim), Davies - Laimer (46. Coman), Kimmich (78. Goretzka), L. Sané, Musiala, Gnabry - Tel (63. Kane) Trainer: Tuchel
Leipzig: Blaswich - Henrichs (84. Klostermann), Simakan, Orban, Raum - Seiwald, X. Schlager, Simons (78. Forsberg), Werner (64. Sesko)- Openda (64. Poulsen), Dani Olmo (78. Fabio Carvalho) Trainer: Rose
Schiedsrichter: Marco Fritz (Korb)
Tore: 0:1 Olmo (3. Minute), 0:2 Olmo (44.), 0:3 Olmo (68., Handelfmeter)
Zuschauer: 75.000 (ausverkauft)
Gelbe Karten: Upamecano, Pavard - Olmo
Wie lief es für den FC Bayern ohne Harry Kane?
Mehr als 100 Millionen Euro und ein bis zur letzten Sekunde nervenaufreibendes Verhandlungsschauspiel war es dem FC Bayern München wert, nach einer für den Rekordmeister schockierenden Saison mit viel Ärger und wenig Titeln endlich die Leerstelle im Sturmzentrum zu füllen. Robert Lewandowski hatte die mit seinem Wechsel nach Barcelona im Sommer 2022 hinterlassen. Nun soll Harry Kane die Tore schießen. Viele Tore. Thomas Tuchel nannte den Kauf Kanes ein "Statement", der teuerste Einkauf der Bundesligageschichte darf die Fantasie der Fans beflügeln. Das tat er schon, als Kane noch gar nicht auf dem Platz stand: Ein "Was wäre wenn ...?" war der ständige Begleiter von Mathys Tel, der wohl ein letztes Mal anstelle des Neuen beginnen durfte, und all der anderen, die gute Chancen für den FC Bayern vergaben oder knapp unter diversen Hereingaben hindurchsegelten.
Doch der 30-Jährige, der erst in der Nacht seinen Vierjahresvertrag unterschrieben hatte, saß eben erstmal auf der Bank. Und musste zuschauen, wie Dani Olmo erst abstaubt und dann kurz vor der Halbzeit ein Zaubertor erzielte. Ist das der Kane-Fluch, den man sich in den Klub holt, wenn man den Rekordtorschützen der englischen Fußball-Nationalmannschaft verpflichtet? "Hier regiert der RBL", riefen sie kurz nach halb zehn, rund 24 Stunden nach Harry Kanes wundersamer Ankunft in München. Der FC Bayern war spielbestimmend, spielte sich Chancen raus - doch sorgte bei Trainer Thomas Tuchel für Ärger. "Es ist erschreckend", schäumte Tuchel nach dem Spiel. Und sah eine gewaltige Diskrepanz zwischen dem, was er sich erhofft hatte und dem, was seine Mannschaft auf den Platz brachte. Tuchel schwankte in seiner ersten Reaktion bei Sky zwischen Ratlosigkeit und Entsetzen. Von Harry Kane wollte er nicht sprechen.
Wie lief es für Harry Kane?
Für Harry Kane lief es prächtig, als er sich in der 60. Spielminute auf den Weg zu seiner Einwechslung machte. Laut wurde es in der als Heimat bajuwarischer Massenekstase eher unverdächtigen Arena, sehr, sehr laut. Die Menschen, nicht nur die für den Verein verantwortlichen unter ihnen, hatten ihn herbeigesehnt. Nach der Einwechslung war dann aber schnell Schluss mit der Euphorie: Wenige Augenblicke war der neue Superstar auf dem Feld, da traf Dani Olmo zum dritten Mal. Kane hatte einen Tag nach seiner nervenaufreibenden Anreise bis zum Schluss nur eine Handvoll Aktionen, die meisten davon mit den Händen: Immer wieder beklatschte er die Kollegen aufmunternd, die ihn in Szene zu setzen versuchten - es aber nicht schafften. Am Ende drehte Kane mit ein paar Kollegen noch eine Runde Richtung der eigenen Fans. Es war keine Ehrenrunde.
Was war da los, Thomas Tuchel?
Thomas Tuchel stand die Fassungslosigkeit ins Gesicht geschrieben, als er bei Sky ans Mikrofon schritt. Zuvor hatte der Trainer des FC Bayern minutenlang auf seiner Bank gesessen, hatte sich nur kurz erhoben, um RB-Trainer Marco Rose zum Sieg zu gratulieren. Die Zeit war zu kurz, um ihm die Fassung zurückzubringen. Auf Geplänkel hatte Tuchel auch keine Lust, stattdessen ließ er die Zuschauer tief in seine von den vorangegangenen Minuten geschundene Trainerseele blicken: "Ich habe jetzt keine Lösung, ich bin konsterniert und extrem enttäuscht." Die Diskrepanz zwischen Stimmung und Form vor dem Spiel und dem, was das Team auf dem Platz zeige, sei "eklatant, riesengroß. Ich erkenne nichts mehr wieder, weder von dem, was wir inhaltlich gemacht haben, noch wie wir zuletzt gespielt und trainiert haben. Die Art und Weise und das Ergebnis sind erschreckend. Sobald wir etwas zu verlieren haben, ist es nicht die gleiche Gruppe, und das ist nicht gut."
Und wie lief es für RB Leipzig?
Christopher Nkunku, Dominik Szoboszlai, Konrad Laimer, dazu Josko Gvardiol, der teuerste Verteidiger der Welt: Bei RB Leipzig stehen die größten Namen auf der Abgangsseite. Der Pokalsieger wurde in der Sommerpause mächtig durchgeschüttelt, statt sich sofort auf den Weg Richtung Titelkampf zu machen, werden sich die Sachsen zunächst erstmal sortieren müssen. Der FC Bayern assistierte auf dem Selbstfindungstrip Supercup überraschend eifrig: Schon nach nicht mal drei Minuten durfte der Pokalsieger, der so überhaupt keine Lust hatte, die Harry-Kane-Show als Statist zu begleiten, erstmals jubeln.
Dass nach 20 Minuten hörbare "Zieht den Bayern die Lederhosen aus"-Chöre durchs Stadion waberten, war im Drehbuch sicher nicht vorgesehen. Und dann schoss Olmo eben noch ein Zaubertor und erstickte die kurze Euphorie nach der Einwechslung von Harry Kane direkt ganz solide per Elfmeter. Olmo ist ein unwahrscheinlicher Held des Abends, denn auch der Spanier war schwerstens umworben. Er blieb und traf. Und traf. Und traf. "Wir sind eine coole Truppe", hatte Verteidiger David Raum versprochen und besonders der von PSG ausgeliehene Xavi Simons deute von den Neuzugängen an, was der Nationalspieler damit meinte. Bei der großen Harry-Kane-Show waren es jedenfalls die Leipziger, die begeisterten und "in Summe verdient gewonnen haben, auch in der Höhe", wie Leipzigs Sportchef Max Eberl bei Sky sagte. "Wir haben es gut gemacht heute."
Quelle: ntv.de