Gigantische Legia-KriseWie läuft's eigentlich bei Fredi Bobic?

Nach dem Wirbel um seine Kündigung bei Hertha BSC ist Fredi Bobic ins Ausland gegangen. Im vergangenen Frühling heuert er beim polnischen Fußball-Rekordmeister Legia Warschau an. Doch das, was ihn lange ausgezeichnet hat, sucht er noch.
Eigentlich sind Erdbeben in Polen eine Seltenheit. Zumindest geologisch gesehen. Anders sieht es aber in der Fußballwelt im Nachbarland aus. Da kann es schon mal krachen. In der vergangenen Woche konnten die Fußball-Seismografen rund um Warschau gleich zwei Erschütterungen messen. Kurioserweise war da zuerst eine Meldung des "Kicker", die es bis nach Polen geschafft hatte. Das Magazin berichtete über die Geschäftsführersuche von Hannover 96. Und genau dort ploppte auch ein überraschender Name auf: nämlich Fredi Bobic.
Bei Legia Warschau fragte man sich: Moment, will unser Fredi Bobic plötzlich fliehen? Denn dort ist der deutsche Funktionär im vergangenen April gelandet. Nach dem gescheiterten Engagement bei Hertha BSC samt gerichtlicher Auseinandersetzung mit Millionenzahlung und einer kurzen Pause war er ins Ausland gewechselt. Als "Head of Football Operations" soll Bobic seither dafür sorgen, dass der polnische Rekordmeister auch künftig erfolgreich ist.
Legia ist in Polen das, was der FC Bayern in Deutschland ist. Oder war? Seit 56 Jahren ist der Klub erstklassig, holte 15 Mal den Titel, liegt in der polnischen ewigen Tabelle an der Spitze, meilenweit vor Lech Posen. Doch in dieser Saison (der spannendsten in diesem Jahrhundert übrigens) spielt die Legia gegen den Abstieg, punktgleich mit dem Tabellenletzten. Angesichts dieser Zwischenbilanz erklärt sich, warum die 96-Gerüchte im Nachbarland verwundern. Tomasz Urban, ein polnischer Experte für deutschen Fußball, unkte gar, Bobic wittere schon seinen eigenen Rausschmiss. Er "musste sich wohl selbst beim Verein bewerben", kommentierte Urban hämisch in einem Youtube-Format. Bobic hat all das mittlerweile schon dementiert.
Erst Frankfurt, dann das Hertha-Kapitel
Der Name Fredi Bobic polarisiert - und das schon vor seinem Engagement in Polen. Bei Eintracht Frankfurt hatte er sich den Ruf eines Machers erarbeitet. Die Adler ließ er mit schmalem Taler in neue Höhen aufsteigen - bis zum DFB-Pokalsieg 2018, dem ersten Titel für die Hessen seit 30 Jahren. Bobic bewies ein besonderes Gespür für den Kader: Er schuf die Büffelherde, holte Kevin-Prince Boateng zurück ins Rampenlicht, ersetzte den abgewanderten Niko Kovac mit Adi Hütter. Zuvor war er seine ersten Funktionärsschritte in Stuttgart gegangen.
Bobic legte ein Fundament, von dem die Eintracht heute noch immer zehrt - und das sein Nachfolger Markus Krösche erfolgreich weiterverwaltet. Aus dem Bundesligisten wurde ein Klub, der mittlerweile regelmäßig international spielt. Mit dem bisherigen Höhepung im aufsehenerregenden Jahr 2022, als die Reise durch die Europa League mit dem Titel gekrönt wurde. Krösche pflegte die Bobic-Strategie weiter: Omar Marmoush, Hugo Etikite, Randal Kolo Muani sind nur einige Schlagwörter.
Der Macher selbst war da schon weitergezogen. Bobic kam im Sommer 2021 in Berlin unter. Bei Hertha BSC hatten sie die Frankfurter Erfolgsgeschichte auch verfolgt und sehnten sich nach ihrer eigenen. Der Hauptstadtklub war durch die "Big City Club"-Jahre gestolpert und suchte vor allem zwei Dinge: Erfolg und Beständigkeit. Warum dann nicht mit einem ehemaligen Herthaner? Schließlich spielte Bobic Anfang der 2000er selbst für zwei Jahre in Berlin.
Und plötzlich sitzt da Tayfun Korkut
Seine Aufgabe war klar: Er sollte seinen Erfolg aus Frankfurt wiederholen. Was er aber vorfand, war ein Kader voller Altlasten, irgendwo zwischen Champions-League-Träumen und Abstiegskampf. Bobic gelang es nicht, daraus ein harmonisches Konstrukt zu entwickeln. Das Gespür aus Frankfurt, so schien es, hatte ihn verlassen. Die Spanne seiner Transfers reichte von Ishak Belfodil, Stevan Jovetic und erneut Boateng bis Marco Richter, Fredrik Bjørkan und Jonjoe Kenny. Kaum jemand setzte sich nachhaltig durch, mittlerweile sind sie alle weg. Ein paar von ihnen, wie der Norweger Bjørkan, spielen in dieser Saison Champions League. Nur nicht in Berlin.
Am Ende waren es auch vereinspolitische Dinge, mit denen Bobic seinen Kredit verspielte. Er besetzte die Geschäftsstelle mit seinen Vertrauten wie dem in dieser Saison nach nur knapp sechs Monaten beim VfL Bochum geschassten Dirk Dufner. Im November 2021 hatte er dann auch noch den Glauben an den ewigen Pal Dardai verloren. Etwas überraschend tauschte er die Vereinsikone durch seinen ehemaligen Weggefährten und Trainer-"Chamäleon" Tayfun Korkut aus.
Ohne Erfolg: Bis heute weist Korkut den schlechtesten Punkteschnitt aller Hertha-Trainer der vergangenen zehn Jahre auf. Die Bobic-Hertha kam auch in der Folge nicht aus dem Negativstrudel. Nach einer Derbyniederlage im Januar 2023 zog der Hauptstadtklub dann die Reißleine: fristlose Kündigung für Bobic, nachdem der einen RBB-Reporter bedroht haben soll. Bobic klagte dagegen - und erstritt sich in einem jahrelangen Rechtsstreit seine Millionenablöse.
Für das zweite Erdbeben sorgte Bobic selbst
Nun ist er in Polen angekommen. Immerhin aus einem Fehler aus seiner Hertha-Zeit hat Bobic gelernt. Vor anderthalb Monaten wurde Trainer Edward Iordănescu bei der Legia entlassen, seither hat die Interimslösung Iñaki Astiz zwar das Sagen - aber bislang noch kein Spiel gewinnen können. Langfristig soll deshalb diesmal nicht Tayfun Korkut, sondern Marek Papszun von Raków Częstochowa übernehmen. Die Verpflichtung gestaltet sich schwierig, spätestens ab Winter soll es aber soweit sein, schreiben polnische Medien.
Seit dem vergangenen Frühling leitet Bobic bei der Legia die Fußballabteilung. Für ihn sei das eine "große Ehrung und Herausforderung", ließ er damals mitteilen. "Der Verein hat große Ambitionen und ich bin bereit, die Mannschaft dabei zu unterstützen, weitere Erfolge zu erzielen." Dafür sollte er eine langfristige Sportstrategie entwickeln, Spieler scouten und vor allem seine Kontakte für Transfers nutzen - gemeinsam mit dem ebenfalls frisch ernannten Sportdirektor, den der Klub eingesetzt hat.
Doch mit ihrer Arbeit haben sie die Legia bislang in eine große sportliche Krise gestürzt. Im Pokal ist der Hauptstadtklub schon ausgeschieden, auch in der Conference League sind die Playoffs unmöglich. Selbst ein Sieg gegen Lincoln Red Imps FC am Abend (21 Uhr/RTL+) käme zu spät. Die Ultras kündigten schon mal vorsorglich an, aus Protest zu schweigen. Der Vertreter aus Gibraltar kann derweil mit einem Sieg gegen die Legia den Playoff-Platz absichern.
Nur, wie konnte es so weit kommen, dass der polnische Rekordmeister plötzlich im Abstiegsstrudel hängt, seit elf Spielen nicht mehr gewonnen hat und auch in der Conference League keinerlei Rolle mehr spielt? Den Misserfolg in Warschau machen polnische Medien auch an dem Transfersommer fest: Bobic und sein Sportdirektor haben zwar ein großes Plus erwirtschaftet (elf Millionen Euro), aber dafür keine Nachfolger geholt. Junge Stammkräfte sind weg, das Durchschnittsalter des Kaders stieg um anderthalb Jahre. Der Spürsinn, den Bobic in Frankfurt ausgezeichnet hat, scheint seinen Weg noch nicht nach Warschau gefunden zu haben.
Der Klub kommt aus der Krisenstimmung nicht mehr heraus. Und wie das so ist, halten sich dann auch die Experten nicht zurück. Die polnische Fußballikone Zbigniew "Zibi" Boniek legte nicht nur Klubpräsident Dariusz Mioduski nahe, sich von seinem Posten zu verabschieden, auch bei Bobics Rolle ist er sich nicht mehr so sicher. "Ich habe nichts gegen Bobic, weil ich ihn nicht kenne", sagte Boniek in einem Interview. Aber: "Bei allem Respekt: Ich weiß nicht, welche Rolle er spielt, was er für Legia geleistet hat." Er empfiehlt, dass sich Legia auch nach einem neuen Sportdirektor umschaut.
Und Bobic selbst? Der gab dem Sender Canal+ diese Woche ein in Polen vielbeachtetes Interview, es war das zweite Erdbeben. "Manche Spieler haben ehrlich gesagt nicht den Mut, dieses Trikot zu tragen", schimpfte Bobic. "Und dafür übernehmen jetzt ich und alle im Verein die Verantwortung. Wir werden uns der Sache nicht entziehen. Aber ab Januar werden wir intensiv an der Vorbereitung auf die Rückrunde arbeiten. Im Frühjahr wird es keine Ausreden mehr geben", sagte er und kündigte Veränderungen an. "Zuerst beim Trainer und dann auch innerhalb der Mannschaft." Wenn Bobic dazu überhaupt noch kommt.