DFB-Frauen verdauen den WM-Schock Zurück in der Wohlfühl-Nische
28.10.2011, 06:26 UhrNach einer enttäuschenden Weltmeisterschaft hat der Alltag die deutschen Fußballerinnen wieder. "Wir strotzen im Moment nicht so vor Selbstvertrauen", sagt Torhüterin Nadine Angerer. Auf ihr Publikum können sie sich dennoch verlassen. Bleibt die Frage: Was ist von der WM geblieben?

"Wenn 50 Zuschauer da sind, versuchen wir die zu unterhalten. Und wenn es 12.000 sind auch": Nadine Angerer.
(Foto: dpa)
So viel Zugeständnis muss sein. "Kickern fällt heute aus" steht an der Tür zur Kneipe im Stadion. Die deutschen Fußballerinnen sind zu Gast in Hamburg und spielen gegen Schweden. "Endlich ist die Gleichstellung der Frau auch am Millerntor angekommen", sagt Helmut Schulte, Sportchef der Zweitligakicker des FC St. Pauli, später auf der Tribüne. Aber darum geht es gar nicht, sondern darum, eine Antwort auf die Frage zu finden, was von der Weltmeisterschaft geblieben ist.
Welche Spuren hat das Turnier hinterlassen, positiv wie negativ? Die WM im Sommer war ein großes Fest, die Stadien waren voll, zur ersten Partie kamen 74.000 Zuschauer ins Berliner Olympiastadion und die Spiele der deutschen Frauen sahen bis zu 18 Millionen Menschen an ihren Fernsehapparaten. Sportlich allerdings enttäuschte die DFB-Elf, glänzte zu selten mit schönem Spiel, schied als Titelverteidiger gegen den neuen Weltmeister aus Japan im Viertelfinale aus und verpasste damit auch die Qualifikation für die Olympischen Spiele im nächsten Jahr in London. Hinterher sprachen Spielerinnen und Bundestrainerin Silvia Neid von einem Schock und davon, dass der Druck einfach zu groß gewesen sei.
Halb voll oder halb leer?
Und nun? Kommen an einem Mittwochabend zu einem Testspiel gegen den WM-Dritten 12.183 Zuschauer und freuen sich wie Bolle über einen 1:0-Sieg, für den Alexandra Popp mit ihrem Tor nach einer Stunde sorgt. Der Sprecher begrüßt vor der Partie extra freundlich mehrmals die Skandinavierinnen, die Stadionregie legt Abba auf, als die Schwedinnen um Lotta Schelin sich warm machen, da hat einer ein Händchen für Gastfreundschaft. Familienfeststimmung auf den Sitzplätzen, die seit dem Ausscheiden der DFB-Elf in Wolfsburg verletzte Kim Kulig ist auch da, die Stehränge bleiben leer. La ola, klar, Szenenapplaus gib's auch, alles friedlich, schön.
Es ist tatsächlich wie bei der Weltmeisterschaft, nur alles eben zwei Nummern kleiner. Mini-WM sozusagen, der Kern trifft sich, die entfernten Verwandten, die nur kommen, wenn's richtig kracht, sind zu Hause geblieben. Fatmire Bajramaj ist immer noch besonders beliebt, hinterher versorgen sie und ihre Kolleginnen bis eine halbe Stunde nach dem Abpfiff die kreischenden jungen und sehr jungen Fans am Zaun mit Autogrammen. Die deutschen Frauen können sich auf ihr Publikum verlassen.
Aber war das Stadion nun halb voll oder halb leer? "Halbvoll, ganz klar", sagt Torhüterin Nadine Angerer. Schließlich sei sie "vor der WM nicht davon ausgegangen, dass danach zu jedem Spiel 50.000 Zuschauer kommen". Wichtig sei, dass es Spaß gemacht habe. "Wir gehören ja zum Entertainmentprogramm. Wenn 50 da sind, versuchen wir die zu unterhalten. Und wenn es 12.000 sind auch. Wir haben heute viel zurückbekommen, an Lautstärke, an Energie." Eine fünfstellige Zuschauerzahl zu erreichen - "das ist genau unser Maßstab".
Aufräumarbeit statt WM-Euphorie
Der deutsche Frauenfußball ist zurück in seiner Nische. Also da, wo er vor der WM auch war. Und fühlt sich dort offensichtlich sehr wohl. Es spricht viel dafür, dass das nicht der schlechteste Weg ist. Zumal es keine echte Alternative gibt. Im Team jedenfalls steht Nadine Angerer, die nach dem Rücktritt der Rekordnationalspielerin Brigit Prinz die Kapitänin ist, mit ihrer Einschätzung nicht alleine. Aufmerksamkeit ja, aber lasst es uns nicht übertreiben. Und obwohl mutmaßlich kaum ein Zuschauer im Stadion war, der sonst den FC St. Pauli anfeuert, schwärmen sie unisono - "supergenial, toll, beeindruckend" - von der Millerntor-Atmosphäre. "Mit so einer Stimmung hatte ich ehrlich gesagt nicht gerechnet. Das war sensationell", sagt Mittelfeldspielerin Melanie Behringer. Ist also doch etwas von der WM geblieben? "Ich glaube schon, ja."

"Solche Siege wie gegen Schweden sind wichtig, damit wir diese Selbstüberzeugung wiedergewinnen, diese positive Arroganz."
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Die Stimmung halten sie also hoch. Und wie läuft es sportlich? In der Qualifikation für die Europameisterschaft 2013 in Schweden hat Deutschland zweimal gewonnen, erst gegen die Schweiz und am Samstag vor 100 Zuschauern in Rumänien. Nun der glanzlose Erfolg gegen Schweden. Nadine Angerer ist erleichtert. "Wir strotzen im Moment nicht so vor Selbstvertrauen." Anders als vor der WM, als der Pokal das erklärte Ziel war. Hat nicht geklappt, das wirkt auch mehr als drei Monate nach dem Turnier nach. Kein Trauma, das wäre übertrieben, aber getroffen hat es sie schon, dass sie im entscheidenden Moment der Mut verließ. Deswegen sagt Nadin Angerer nun: "Solche Siege wie gegen Schweden sind wichtig, damit wir diese Selbstüberzeugung wiedergewinnen, diese positive Arroganz." Klingt eher nach Aufräumarbeit als nach WM-Euphorie. Ist es wohl auch.
Fast vorsichtig fasst Doris Fitschen, die Managerin der Nationalelf, die Lage zusammen. Einen kleinen Schub habe die WM als Ausnahmesituation dem Frauenfußball schon gegeben. "Natürlich gibt es nicht den großen Boom. Aber ich glaube, dass wir jetzt auf einem etwas höheren Level sind." Die Bundesliga freue sich über etwas mehr Besucher, die Medien seien nach wie vor interessierter, die Spielerinnen bekannter. "Da sind wir auf einem guten Weg. Aber wir sind noch nicht am Ziel." Immerhin: Wenn die Frauen spielen, fällt das Kickern in St. Pauli aus.
Quelle: ntv.de