Redelings Nachspielzeit

Totenstille vor Länderspiel Als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg in die Fußballgemeinschaft zurückkehrte

22.11.2025, 06:30 Uhr Ben-RedelingsBen Redelings
Fussballlaenderspiel-Freundschaftsspiel-Deutschland-Schweiz-1-0-1-0-Das-war-das-erste-Laenderspiel-fuer-Deutschland-nach-dem-Krieg-U-B-z-die-Begruessung-der-Mannschaftskapitaene-Bickel-links-SUI-und-Andreas-Kupfer-rechts-GER-22-11
Andreas Kupfer (rechts) war Deutschlands Kapitän bei der Rückkehr des DFB-Teams. Gegen die Schweiz machte er sein letztes Länderspiel. (Foto: IMAGO/Schirner Sportfoto)

Acht Jahre lang bestritt die deutsche Fußballnationalmannschaft keine Länderspiele. Als die DFB-Elf schließlich am 22. November 1950 mit einer Partie gegen die Schweiz nach dem Krieg offiziell in die Fußballgemeinschaft zurückkehrte, wurde es ein bewegender - vor allem aber auch ein sehr trauriger Tag.

Am 22. November 1942 war Deutschland zum letzten Mal zu einem Länderspiel angetreten. Mit einem Hattrick hatte August Klingler an diesem Tag maßgeblich zu dem 5:2-Auswärtssieg in Bratislava gegen die Slowakei beigetragen. Acht Jahre später war August Klingler, den nicht nur der Bundestrainer Sepp Herberger für eines der größten Talente des deutschen Fußballs hielt, nicht mehr mit dabei. Der junge Mann aus dem Karlsruher Stadtteil Daxlanden in Baden-Württemberg war zwei Jahre und einen Tag nach seinem hoffnungsvollen Erfolg im DFB-Dress im Alter von nur 24 Jahren an der Ostfront gestorben. Das Spiel seines Lebens sollte auch die letzte Begegnung der deutschen Nationalmannschaft vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs sein.

Zum Autor

Acht Jahre nach der Partie gegen die Slowakei fand am 22. November 1950 im Stuttgarter Neckarstadion das erste Länderspiel der DFB-Elf nach einer langen Pause statt. Gegner war, wie schon beim allerersten Spiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft überhaupt am 05. April 1908 in Basel, die Auswahl der Schweiz. Das neutrale Land hatte sich bereit erklärt, gegen das gerade erst wieder frisch in die FIFA aufgenommene Deutschland zu spielen.

Und so trabten unglaubliche 115.000 Menschen an diesem regennassen und morastigen Tag durch Bad Cannstatt, um im Stadion live mit dabei zu sein, als die deutsche Nationalmannschaft zum ersten Mal nach dem Krieg wieder auf dem grünen Rasen stand. Das Gedränge auf den Tribünen war immens, denn die weite Stuttgarter Arena war nur für 80.000 Zuschauer zugelassen.

Doch das Interesse an dieser Partie hatte im Vorfeld bereits alle Vorstellungen gesprengt. Ganz Deutschland wollte gefühlt an diesem Tag mit dabei sein. Natürlich auch Fritz Walter. Doch der spätere Weltmeister-Kapitän hatte sich sehr zum Leidwesen seines Bundestrainers vierzehn Tage vor der Partie bei einer Begegnung seines Klubs 1. FC Kaiserslautern verletzt.

Sorgenvoll hatte sich Sepp Herberger direkt am nächsten Tag bei Walter telefonisch gemeldet - und etwas unorthodox den Zustand des verletzten Knies auf die Probe gestellt, wie Walter in seinem Buch über Herberger "Der Chef" auf eindringliche Weise erzählte: "'Was macht ihr Knie, Fritz?' 'Nun ja …' 'Wo stehen Sie im Augenblick?' 'Am Schreibtisch.' 'Schön! Dann treten Sie mal fest dagegen!' Ich tat, was er verlangte. Allerdings mit Schonung für das neue Möbelstück. 'Ich hab nichts gehört!", sagte Herberger. 'Bitte nochmal, aber fester!' Wieder ein Tritt gegen den Schreibtisch. 'So, jetzt war's gut! Was macht das Knie?' 'Es tut weh!' 'Tja, dann werden Sie wohl gegen die Schweiz nicht spielen können!'"

Fritz Walter, der an diesem Tag sein 25. Länderspiel und das erste überhaupt zusammen mit seinem Bruder Ottmar bestritten hätte, war an diesem 22. November vor 75 Jahren aber dennoch vor Ort. Er saß, "während im Stuttgarter Neckar-Stadion die Ränge beinahe unter dem Massenandrang barsten", neben Sepp Herberger auf der Ersatzbank - und sah einen 1:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft. Doch das Ergebnis war an diesem Tag tatsächlich nur eine Nebensächlichkeit. DFB-Präsident Peco Bauwens sprach hinterher von einem "großen, bewegenden Erlebnis". Und das war es auch. Nach den Jahren der sportlichen Verbannung hatte die Schweiz das deutsche Nationalteam wieder zurück in die Fußballgemeinschaft geführt.

Anzeige
Ein Tor würde dem Spiel guttun: Das ultimative Buch der Fussball-Wahrheiten
11
16,90 €

Doch bei allen, die vor Ort an diesem Tag anwesend waren, wirkten die Ereignisse dieses besonderen Augenblicks noch lange nach. Denn nach dem obligatorischen Abspielen der Schweizer Nationalhymne hatte es im Stadion eine Schweigeminute gegeben. Die erst ein Jahr zuvor gegründete BRD hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine eigene Hymne.

Und so berichteten die Zuschauer später, dass dieser Moment der Stille ein ganz besonderer, wenn auch nicht angenehmer Augenblick gewesen sei, wie das "Sport-Magazin" im Anschluss schrieb: "Totenstille herrschte im Rund der 115.000, die entblößten und gesenkten Hauptes dastanden. Die ganzen schweren Ereignisse der letzten 15 Jahre zogen wie ein Film an unseren geistigen Augen vorüber. Wir dachten voller Trauer daran, dass bei diesem Länderspiel ja nur das halbe Deutschland vertreten war."

Einer von ihnen, der fehlte, war August Klingler. Fritz Walter schrieb später in seinem Buch "11 Rote Jäger": "Sein Tod ging mir überaus nahe. Bei allen 5 Länderspielen, zu denen August berufen wurde, war auch ich dabei. Herberger und wir alle hielten den von Daxlanden bei Karlsruhe kommenden Klingler für eines der hoffnungsvollsten Talente im deutschen Fußballsport. Er war ein großartiger Linksaußen."

Quelle: ntv.de