"Alles blinde Pfeifen?"Als Deutschland schon einmal die große Schiri-Diskussion führte
Ben Redelings
Es ist kaum zu glauben, aber vor 25 Jahren führte ganz Fußball-Deutschland eine hitzige Debatte über die vielen falschen Pfiffe in den Stadien der Bundesliga. Die Schiedsrichter wurden kollektiv als "blinde Pfeifen" bezeichnet - und der "TV-Beweis" aus einem interessanten Grund dennoch abgelehnt!
"Fußball-Deutschland ist zornig auf die Schiedsrichter der Liga", schrieb im November vor 25 Jahren eine große deutsche Sportillustrierte - und begann in einer wöchentlichen Serie den Frust der Fußballfans zu artikulieren. "Sämtliche Schiedsrichter müssen zum Sehtest! So kann es jedenfalls nicht weitergehen", hatte beispielsweise ein gewisser Markus Uhlemann aus Bochum an die Redaktion geschrieben und damit ziemlich genau den Nerv der Zeit getroffen. Doch wenn man sich die Schlagzeilen des Jahres 2000 genauer anschaut, könnte man denken, dass man sich ins Jahr 2025 verirrt hat. Selbst die Debatte um den "TV-Beweis" (heute VAR) wurde bereits hitzig geführt.
Damals hatte man gerade in den unterklassigen englischen Ligen einen Feldversuch mit Torkameras beendet. Das Ergebnis: Die Kosten seien viel zu hoch für eine einzige Entscheidung (Tor oder kein Tor) - und somit wurde die Idee erst einmal wieder europaweit beerdigt. Und allgemein hielt man damals zum "TV-Beweis" fest: "Ansonsten ist man der Meinung, dass Tatsachen-Entscheidungen zum Fußball gehören."
Die Wut der Trainer 2025
Ein interessanter Satz, wenn man sich nur einmal die Stimmen und Stimmungen des letzten Wochenendes anschaut. "Das erste Tor ist ein Tor. Wegen dieser fünf Millimeter auf Abseits zu gehen, da hat einer Lack gesoffen. Es tut mir leid", sagte beispielsweise Unions Trainer Steffen Baumgart nach der Partie gegen die Bayern - mit ordentlich Puls. Und auch Lauterns Coach Torsten Lieberknecht war beim Interview mit RTL wenig begeistert von den Schiri-Entscheidungen des Wochenendes: "Jeder hat heute das Tor von Union Berlin gesehen. Da werden Schnürsenkel oder irgendwelche Lederfetzen dazu benutzt. Auf diese Bilder gebe ich gar nichts mehr drauf. Das ist wie Playstation spielen, diese 3D-Bilder. In Düsseldorf hat man fast sechs Minuten gebraucht, um diese Entscheidung zu korrigieren. Dann verstehe ich nicht, dass man heute so schnell entscheidet. Ich habe keine Lust mehr, mir diese 3D-Bilder anzuschauen."
Schiedsrichter Bernd Heynemann ahnte wohl damals schon, dass die Neuerung Videoschiedsrichter den Fußball nicht unbedingt besser machen würde - denn seine Worte "Über das Fernsehen" klingen fast nach denen, die man so häufig aus unterschiedlichen Mündern in den vergangenen Wochen gehört hat: "Bestimmte Szenen werden durchs Zeitlupensieb geschüttelt und noch mal in eine Zentrifuge gepresst. Nur dass man dann sagen kann: Sehen Sie, 0,4 Millimeter hat er ihn getroffen oder auch nicht. Jede auch nur andeutungsweise strittige Szene wird durch die Mangel gedreht. Immer auf der Spur: Hat der Schiedsrichter recht, hat er nicht recht?"
Björn Dau aus Großenwiehe reichte Beschwerde ein
Und dennoch würde sich Gladbachs Trainer Eugen Polanski diese Zeiten wohl insgeheim zurückwünschen, auch wenn sie, wie man jetzt im Rückblick sieht, offensichtlich auch nicht besser waren. Aber wenigstens haben damals die Schiris auf dem Platz noch die Entscheidung getroffen. Heute scheint dies, wenn man Eugen Polanski glaubt, nicht mehr so ganz der Fall zu sein: "Ich bin tatsächlich gar kein Freund vom VAR. Das wird auch immer schlimmer bei mir. Ich denke einfach, dass die Leistung der Schiedsrichter durch den VAR beeinflusst wird."
Vor 25 Jahren hatte sich der Frust ähnlich wie heute über Wochen und Monate hochgeschaukelt. So meinte damals per Fax Björn Dau aus Großenwiehe stellvertretend für viele andere Fans: "Wenn das so weitergeht, dann wird der deutsche Fußball schon bald keine Fans mehr haben, weil es keinen Spaß mehr macht zuzuschauen, wenn der Schiedsrichter die Tore schießt!"
Diskussionen ins Internet ausgelagert
Damals begann man erstmals die "falschen Pfiffe" zu zählen und die durch Fehlentscheidungen gewonnenen und verlorenen Punkte in einer "korrigierten" Tabelle darzustellen. Das Ergebnis war teilweise erschreckend. So wanderte beispielsweise der TSV 1860 München vom gesicherten Mittelfeldplatz auf Rang 12 mit 14 Punkten auf den Letzten der Tabelle mit nur sieben Zählern.
Doch auch damals legten sich die Diskussionen über das Thema "Alles blinde Pfeifen?" irgendwann einmal wieder etwas - denn schließlich ist und war es schon immer so, wie Arne Gottlieb aus Erlangen es vor 25 Jahren schrieb: "Fehlentscheidungen gehören nun mal zum Fußball wie das Salz in der Suppe. Ohne diese Entscheidungen hätten wir doch an den Stammtischen nichts mehr zu diskutieren!"
Das stimmt, auch wenn sich die Diskussionen mittlerweile ins Netz verlagert haben. Es bleibt dennoch abzuwarten, in welche Richtung sich der Fußball in den nächsten 25 Jahren bewegt. Aller Voraussicht nach wird es aber auch dann noch eine Sache geben: Fehlentscheidungen - und die hitzigen Debatten im Anschluss darüber!
