
Schumacher, ein Buch und eine Couch in einem TV-Studio.
(Foto: imago/Horst Galuschka)
Der 6. März 1987 ist kein schöner Tag für Harald "Toni" Schumacher - und der absolute Tiefpunkt seiner Karriere. An seinem Geburtstag wird der Kölner Keeper aus der Nationalmannschaft geschmissen. Der Grund: Er veröffentlicht in einem Buch aufsehenerregende Enthüllungen über den deutschen Fußball!
"Das Volk liebt den Verrat, aber es hasst den Verräter." Vor 35 Jahren schrieb der damalige Nationaltorhüter Harald "Toni" Schumacher das meistbeachtete deutsche Fußballbuch aller Zeiten. Für den Kölner Keeper sollte sich dadurch innerhalb von nur zwei Wochen die eigene Karriere komplett auf den Kopf stellen: "Was damals im März 1987 geschah, hatte ich so nicht gewollt." Und dennoch sagte Schumacher einige Jahre nach der Veröffentlichung einmal: "Ich würde das Buch sofort wieder schreiben. Lieber ein Jahr lang Löwe als zehn Jahre Schaf. Woher sollte ich ahnen, dass Wahrheit in Deutschland verboten ist?"
Für den zweifachen Vize-Weltmeister war und ist dies stets der entscheidende Punkt beim Blick auf den "emotionalen Sinkflug" mit anschließender "Bruchlandung" gewesen. Seine Mutter, so Schumacher, habe ihm mit auf den Weg gegeben, "immer ehrlich zu sein" und nun wurde er für die "Wahrheit bestraft": "Ich wollte nicht schönfärben, ich wollte das Bild so malen, wie ich es sah. Fette Ölfarben statt Aquarell."
Dass der Keeper des 1. FC Köln während seiner langen Karriere sein Mundwerk nicht immer unter Kontrolle hatte, wusste er schon früh unter Beweis zu stellen. Nachdem Schumacher im Oktober 1983 dem "fußball-magazin" ein Interview gegeben hatte, kündigte die Monatszeitschrift in dicken Lettern auf dem Cover das Gespräch wie folgt an: "Unser Nationaltorwart macht reinen Tisch. Toni Schumacher: ›Jetzt packe ich aus!‹ Ein offenherziges Interview des Kölners über Missstimmungen und Missverständnisse." Am Anfang des Gesprächs habe der Keeper, so das Magazin, noch eine Sonnenbrille getragen, am Ende hätte er schließlich mit offenem Visier agiert.
Es wird einsam um den "Tünn"
Und obwohl Schumacher mit seinen Meinungen gerne offensiv an die Öffentlichkeit ging, meinte er dreißig Jahre nach der Veröffentlichung seines spektakulären Buchs, dass er wohl besser "noch hartnäckiger, noch intensiver das Gespräch" mit seinen Kollegen und Verantwortlichen hätte suchen müssen. Er hätte nicht "frustriert aufgeben und ein Buch schreiben" dürfen. Doch auch dieses Werk hatte er sogar noch frühzeitig angekündigt. Bereits im Oktober 1986 hieß es im "fußball-magazin": "Unter die Buchautoren geht Nationaltorhüter Toni Schumacher. Der deutsche Fußballer des Jahres wird im März 1987 anhand persönlicher Erfahrungen ein Porträt des deutschen Fußballs aufzeichnen, das im Droemer-Knaur-Verlag erscheint und den Arbeitstitel 'Die Einsamkeit des Torwarts' trägt." Wie wir heute wissen: Der Titel wurde noch in "Anpfiff" geändert - und auch beim Inhalt wurde noch nachgeschärft.
Eine echte Besonderheit, die sofort für Argwohn in den Medien sorgte, war damals die Wahl des Autors. Schumachers Manager Schmitz und sein Schützling arbeiteten bei der Erstellung des Buchs nicht mit einem deutschen Ghostwriter zusammen, sondern wählten als Autor den französischen Journalisten Michel Meyer. Angeblich sollen sie zu ihm gesagt haben: "Du bist Franzose, aber du schreibst besser Deutsch als wir, also mach du das Buch."
Als dann am 23. Februar 1987 im "Spiegel" der erste Vorabdruck des Schumacher Werks erschien, begann ein zweiwöchiger Ritt durch die Hölle für den Kölner Nationalkeeper - mit dem abschließenden Höhe- bzw. Tiefpunkt am 6. März. Direkt nach dem Erscheinen des Vorabdrucks wurde die Doping-Thematik zum eigentlichen Skandal des Buchs medial hochstilisiert. Vor allem auch deshalb, weil sich die gesamte Bundesliga rasch von dem Vorwurf freisprach, dass irgendjemand zu irgendeinem Zeitpunkt je verbotene Substanzen genommen habe. Autor Michel Meyer zeigte sich resigniert angesichts der verlogenen Reaktionen: "Ich bin verblüfft über die heuchlerische Haltung des DFB. Ich denke seit einigen Tagen an ein Chanson von Guy Béart, wo der Refrain beginnt: 'Er hat die Wahrheit, drum müssen wir ihn hinrichten.'" Ein wichtiger Satz, wenn man die Reaktionen und den Empörungsgrad und Schumachers nachträgliche Gedanken über diese rastlose Zeit verstehen möchte.
Schumacher verteidigt das Buch noch heute
Neben der Doping-Thematik waren es dann vor allem die vielen kleinen Spitzen gegen Berufskollegen, die für Aufregung sorgten. Über den Schalker Nationalmannschaftskollegen Olaf Thon schrieb der Kölner beispielsweise: "Viele junge Spieler sind faule Säcke. Und ein paar sind dazu noch sträflich dumm. Olaf Thon ist ein Paradebeispiel." Auch in seiner Heimatstadt Düren war Schumacher nach der Veröffentlichung nicht mehr erwünscht. Weil er in seinem Buch ehemalige Nachbarn als "Asoziale", Väter als "Alkoholiker" und Mütter als "Mischung aus Schlampe und Kneifzange" tituliert hatte, lud ihn der Sportausschuss von einer Feierlichkeit wieder aus.
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Der Rest ist Geschichte. Die Reaktionen auch. Bayern-Keeper Jean-Marie Pfaff stellte ohne Umschweife fest: "Ich sage es ungern, aber für mich ist Schumacher ein Verräter. Große Spieler müssen Vorbilder sein. Toni soll in den Spiegel gucken und vor sich selber ausspucken." Und Sepp Maier ergänzte: "Es kann nur so sein, dass Schumacher nach der Weltmeisterschaft in Mexiko, bei der er ja unbestritten gut gehalten hat, dachte, er sei allmächtig und niemand könne ihm was anhaben. Ich habe sechs Bücher geschrieben, aber ein solches Buch würde ich noch heute nicht schreiben. So etwas gehört sich nicht." Doch für Schumacher ist es auch über dreißig Jahre später immer noch wichtig zu betonen: "Ich bekam keine einzige einstweilige Verfügung, keine Verleumdungsklage. Weil alles, was ich in meinem Buch geschrieben habe, stimmte."
Was die wenigstens wissen: Durch Schumachers Rauswurf in Köln entwickelte sich die Karriere eines anderen großen Nationalmannschaftstorhüters in eine völlig andere Richtung. Bodo Illgner hatte kurz vor der folgenreichen Buchveröffentlichung bereits einen Vertrag in Nürnberg unterschrieben. Nun stand er plötzlich wie eine Eins im FC-Tor und war natürlich unverkäuflich. Der 1. FCN zeigte sich zwar gesprächsbereit - verlangte allerdings eine Abstandssumme von 300.000 Mark. Der FC musste zahlen. Eine gute Entscheidung.
Bis heute ist das Schumacher-Buch und der Skandal um sein Werk eine große Legende der Bundesliga-Historie. Niemals zuvor und danach hat ein Buch eines deutschen Fußballers für so viel Aufsehen und Aufregung gesorgt. Und bis heute kann Harald "Toni" Schumacher nicht verstehen, was damals mit ihm passierte: "Nicht die Missstände wurden beseitigt, sondern derjenige, der sie offen angesprochen hat." Wie man im Rückblick sagen kann: leider kein ganz falscher Vorwurf des ehemaligen Nationaltorhüters.
Quelle: ntv.de