Redelings Nachspielzeit

Fußballlegende Paul Gascoigne Die bittere Geschichte des "traurigen Trinkers"

Paul Gascoigne ist einer der größten Fußballer, die England je hatte.

Paul Gascoigne ist einer der größten Fußballer, die England je hatte.

(Foto: imago images/Shutterstock)

Paul Gascoigne war einer der größten Fußballer der englischen Nationalmannschaft. Als er vor zwanzig Jahren seine Autobiografie präsentiert, hofft "Gazza" noch darauf, dass sich sein verrücktes Leben normalisiert. Doch diese Hoffnung trog. Die Abwärtsspirale drehte sich nur noch schneller.

"Früher war ich ein glücklicher Trinker, das bin ich nicht mehr. Ich bin ein trauriger Trinker." Als Paul Gascoigne vor ein paar Tagen diese Sätze in einem Podcast erzählte, horchte die Fußballwelt für einen Moment auf - denn viel ist seit einiger Zeit nicht mehr aus und über das Leben des großen englischen Fußballers zu erfahren gewesen.

Das war vor genau zwanzig Jahren noch anders. Damals erschien Gascoignes Autobiografie "Gazza" - und wie immer sorgten die Geschichten aus dem Leben des ehemaligen Nationalspielers für viel Aufsehen. Und als Gascoigne dann auch noch bei einer Signierstunde in einem Buchgeschäft in Newcastle erschien und schelmisch grinsend meinte: "Schon komisch. Hier habe ich früher immer Sachen geklaut", da hatte er die Lacher auf seiner Seite. Diese Zeiten sind längst vorbei.

"Komm, trink dir einen!"

Damals, im Frühjahr 2004 hatte er noch die Hoffnung, sein verrücktes Leben würde von nun an ein wenig normaler werden. Doch diese Hoffnung trog. Denn die Abwärtsspirale drehte sich nur noch schneller und erreichte immer neue Tiefpunkte - bis es auf einmal still wurde um den exzentrischen Fußballstar. Paul Gascoigne hat einmal gemeint, es sei dieser Mann im Ohr, der ihm zu schaffen mache. Ständig würde er sagen: "Komm, trink dir einen!" Nicht immer sei es ihm leichtgefallen, dieser Stimme zu widersprechen.

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Vor allem dann nicht, wenn er mit ihr alleine im Raum gewesen sei. Gascoigne sagte einmal sehr tiefgründig über sein Leben: "Im Spiel bin ich ganz ich selbst, abseits des Platzes weiß ich leider nicht immer, wer ich bin." Sein ehemaliger Teamkollege Tony Dorigo hatte eine Ahnung, von was Gascoigne da sprach: "Die meisten Spieler haben 90 Minuten Stress auf dem Platz und danach 22 ½ Stunden Erholung. Bei Gazza war es genau andersherum."

Das Leben des Paul Gascoigne ist eine Romanvorlage par excellence. Der Mann aus Gateshead, einer kleinen Stadt an der Tyne, vereint in sich so ziemlich alle Figuren des Kinderbuch-Klassikers "Struwwelpeter". Den bösen Friederich, den unruhigen Zappel-Philipp, den widerspenstigen Suppen-Kaspar und nicht zuletzt den unglücklichen Hanns Guck-in-die-Luft.

Gascoigne ist alles in einem: Tragik und Komik, gemixt zu einem dramatischen Kammerspiel. Wenn man die ernste Seite seines Lebens ausblendet, offenbart sich jedoch ein völlig entgegengesetztes Bild. Es zeigt einen lebenslustigen Menschen, der stets das Talent hatte, die Menschen zu amüsieren und zu begeistern. Kaum ein Fußballer hat so viele unterhaltsame Geschichten erlebt und zu erzählen wie der kleine Lausbub Paul, der gefangen scheint im Körper des Superstars Gascoigne.

"Ray, ich will nur den Ball"

Die Achterbahn-Fahrt von einem der besten Fußballer, die England je hatte, kennt jedoch schon lange keine echten Höhenflüge mehr. Eigentlich nicht mehr seitdem Gazza seine Karriere auf dem grünen Rasen beendet hat. Dabei wollte Gascoigne eigentlich immer nur spielen. Trainer Ray Hudson, der auch aus Gateshead kommt und Paul seit der frühesten Kindheit kennt, erzählte einmal: "Wir sprachen darüber, welche Wohnung er sich vorstellte und welches Auto er haben wollte, aber er meinte bloß: 'Ray, ich will nur den Ball. Nur den Ball.'"

Gascoignes Karriere nahm im Jahre 1988 Fahrt auf, als er nach vier Spielzeiten bei Newcastle United zu Tottenham Hotspur wechselte. Die Spurs überzeugten ihn damals mit einem Haus und einem Auto für seine Eltern. Und: Mit einem dreitägigen Hotelaufenthalt im feinen Londoner Hadley Wood. Nachdem Gazza zusammen mit einigen alten Kollegen und in Begleitung von 36 Flaschen Dom Perignon das vornehme West Lodge Park Hotel auseinandergenommen hatte, fiel Gascoigne dem Spurs-Präsidenten bei der Vertragsunterzeichnung überschwänglich um den Hals: "Wir möchten uns für die drei schönsten Tage unseres Lebens bedanken!" Was der neue Star der Tottenham Hotspurs lieber verschwieg: Seine Freunde und er waren aus dem Hotel hinausgeworfen worden, als Gazzas bester Kumpel Jimmy Five Bellies nackt durch den Fischteich schwamm - vor den Augen anderer entsetzter Gäste des Hauses.

Für Paul gehörten Späße und Streiche während seiner aktiven Spielerkarriere einfach dazu. Sein Motto lautete: "Ich trage in der Kabine gern zum Teamgeist bei. Ich habe das Gefühl, dass ich jede Menge Liebe geben kann." Damals bei Newcastle passierte ihm aber erst einmal ein Missgeschick. Als Nachwuchsspieler hatte er die Schuhe der Stars zu putzen. Keine tolle Aufgabe. Deshalb dachte sich der junge Paul, er hätte wenigstens eine kleine Belohnung verdient. Und so packte er die Treter des großen Kevin Keegan ein, um sie zu Hause stolz seinen Freunden zu zeigen. Dummerweise vergaß er die Schuhe beim Aussteigen im Bus.

Kurze Zeit später setzte sich Gascoigne nach dem Training auf einen Traktor, der am Übungsgelände abgestellt worden war. Mit voller Geschwindigkeit hielt er direkt auf die Umkleidekabine drauf und sprang erst im letzten Moment vom Trecker hinunter. Der Schaden an der Mauer war immens. Dennoch feixte Gazza vor Vergnügen. Der initiierte Unfall war seine Rache am Trainerteam, das ihn zu schweißtreibenden Überstunden gezwungen hatte.

"Bringt mir nur das Messer!"

Gazzas Erfindungsreichtum war in diesen Tagen fast grenzenlos. Nur hoch oben über den Wolken war Paul Gascoigne in jungen Jahren handzahm und ungewöhnlich ruhig. Als er im Alter von 19 Jahren für ein U21-Turnier in Frankreich zum ersten Mal in den Flieger stieg, ging es ihm alles andere als gut, wie er in seiner Autobiografie "Gazza" erzählte: "Ich hatte die Hosen voll, war mir sicher, das Flugzeug würde abstürzen und ich müsste sterben. Ich kippte ein paar Brandys, um mir Mut anzutrinken, hatte aber trotzdem ein mulmiges Gefühl. Der Teamarzt musste mich an die Hand nehmen und an Bord bringen, ich ließ ihn fast den ganzen Flug über nicht mehr los, weil ich vor Angst wie ein kleiner Junge zitterte."

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Über viele Jahre retteten Gascoigne seine überragenden sportlichen Fähigkeiten vor dem frühzeitigen totalen Absturz, doch nach der EM 1996 in England war die Abwärtsspirale bei Paul Gascoigne schließlich endgültig nicht mehr zu stoppen. Der Mann, der einmal sagte, er glaube an Gott, denn an was solle man denn sonst glauben, verlor Stück für Stück die Kontrolle über sein Leben. Immer seltener wurden die Verschnaufpausen auf dem Platz. Die meiste Zeit des Tages war er nur noch Paul Gascoigne, der abgestürzte Superstar.

Und so durchlebte Gazza im Frühjahr 2008 in London eine Woche des absoluten Wahnsinns. In einem Hotel soll er in seinem Zimmer den Feueralarm ausgelöst haben und in einem anderen orderte er, englischen Zeitungsberichten zufolge, beim Zimmerservice Kokain. Zwischendurch ließ sich Gazza seine Haare feuerrot färben, um sie anschließend am nächsten Tag komplett abzurasieren. Als er schließlich im dritten Hotel seiner wilden Odyssee gegen Mittag eincheckte, war Gascoigne bereits vollkommen betrunken. Neunzig Minuten nach seiner Ankunft rief er beim Zimmerservice an und bestellte ein Steak. Nur wenige Augenblicke später korrigierte er seine Bestellung: "Lasst das mit dem Steak, bringt mir nur das Messer."

"Dann ertränke ich mich eben"

Die besorgten Angestellten verständigten die Polizei. Als die Beamten im Hotelzimmer von Gascoigne ankamen, schrie dieser völlig außer sich: "Ich habe Kokain bestellt, ich will jetzt mein Kokain." Anschließend rannte er ins Bad, hielt seinen Kopf unters Wasser und versuchte sich so in der Wanne selbst umzubringen. Zwischendurch tauchte er auf und rief in seinem Wahn: "Wenn ich mir schon nicht die Handgelenke aufschlitzen kann, ertränke ich mich eben." Der tiefe Fall des ehemaligen Fußballsuperstars war nicht mehr zu stoppen.

Doch von Zeit zu Zeit schaffte er es immer noch seine Fans zum Lachen zu bringen. In einer Kneipe erzählte er einmal stolz, dass er gerade fast mit dem Papst gesprochen hätte, doch der habe im Moment keine Zeit, da er sich einen Film anschaue. Die Leute lächelten, auch weil sie Gazza nach drei Flaschen Whiskey kaum verstanden. Schließlich wählte Gascoigne die Nummer des Weißen Hauses in Washington, weil er unbedingt mit George W. Bush über seine Alkoholprobleme sprechen müsse. Bush sei gerade im Pentagon, erklärte ihm eine nette Telefonistin und legte auf.

In den letzten Jahren ist es immer ruhiger um Paul Gascoigne geworden. Seine Fans hofften deshalb schon, dass eine Operation, die seinen Alkoholkonsum minimieren sollte, angeschlagen habe. Doch auch diese Hoffnung trog. Im Podcast erzählte Gascoigne mit trauriger Stimme: "Wenn es mir richtig schlecht geht, gönne ich mir einen Drink, um mich aufzubauen." Die Sorgen um den wunderbaren Fußballer werden also nicht weniger.

Quelle: ntv.de

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