"Verrückt" und irre dominant Die fatale Angst vorm FC Bayern
18.10.2021, 18:31 Uhr
"Wo seid ihr denn?"
(Foto: imago images/Jan Huebner)
Wieder einmal hat es ein hochveranlagtes Team wie Bayer Leverkusen nicht geschafft, die eigene Angst vor dem Rekordmeister unter Kontrolle zu bekommen. Doch das ist wahrhaft kein neues Phänomen. Ein Teil der irren Dominanz der Bayern fußt schon sehr lange auf den übergroßen Respekt ihrer Gegner.
"Die Angst des Gegners, das ist auch die Stärke der Bayern." Na, wie alt ist der Satz? Genau 32 Jahre. Gesagt hat ihn der damalige Fußballkolumnist und Experte par excellence, Udo Lattek. Und vor welcher Partie? FC Bayern München gegen Bayer Leverkusen. Damals wie heute ein echtes Duell um die Tabellenspitze. Und Lattek kannte sich wahrhaft aus - schließlich stand er selbst lange Jahre für den FC Bayern als Trainer an der Seitenlinie.
Der Unterschied von damals zu heute: Bayer Leverkusen hat sich im Oktober 1989 offensichtlich tatsächlich die Worte von Udo Lattek ("Seid mutig!") zu Herzen genommen. Am Ende der Partie im Münchener Olympiastadion flackerte hoch oben an der Anzeigentafel ein 1:0-Auswärtserfolg der Bayer-Elf in den trüben Abendhimmel der bayrischen Metropole. Das war vor 32 Jahren.
Nach dem Wochenende und dem 5:1-Sieg in der BayArena bezeichnete die spanische Zeitung "Marca" die Mannschaft des FC Bayern als "verrückt". Es zeigt: Europa staunt in diesen Tagen (wieder einmal) über die irre Dominanz des deutschen Rekordmeisters. Und tatsächlich spielen die Münchener in dieser Saison zumeist sehr beeindruckend auf. Doch das ist nur die eine Seite der Wahrheit. Denn natürlich wirbelten und zauberten die Münchener auf eine bemerkenswerte Art und Weise an diesem Sonntagnachmittag durch den Fußball-Westen - doch das alles konnten sie nur deshalb tun, weil der Gegner die Bayern fast ohne echte Gegenwehr schalten und walten ließ. Und das liegt nur zu einem Teil an der imponierenden Stärke der Münchener.
Der feine Unterschied zwischen Respekt und Angst
Bayerns Trainer Julian Nagelsmann meinte nach der überaus einseitig geführten Begegnung, dass sein Team sich der überragenden Bedeutung der Partie bewusst gewesen wäre. Das wirft andersherum natürlich die Frage auf: War das auf Seiten der Leverkusener nicht der Fall? Es war schon erstaunlich zu sehen, dass Bayer gestern im heimischen Stadion keinen Fuß auf den Boden bekam. Und das nach einem bisherigen Saisonverlauf, der so viel Hoffnungen geweckt hatte.
Doch die Bayer-Elf hatte auf erschreckende Art und Weise den Bayern und ihrer Art des Fußballspielens nichts entgegenzusetzen. Dabei offenbarte der Ehrentreffer der Leverkusener durchaus eine der Schwachstellen im Bayern-Spiel. Doch in diese speziellen Situationen schafften es die Bayer-Kicker zumeist erst gar nicht. Ganz im Gegenteil: Bayerns Verteidiger hatten genug Zeit und Raum, sich selbst immer wieder erfolgreich in die Angriffe der Münchener einzuschalten.
Wie groß mittlerweile europaweit der Respekt vor den Bayern ist, zeigte unter der Woche auch das bemerkenswerte Zitat von Atletico-Trainer Diego Simeone über Joshua Kimmich: "Die Bayern haben mit ihm einen besonderen Spieler. Es macht einfach Spaß, ihm beim Fußball-Spielen zuzusehen. Das einzige Mal, dass er den Ball verloren hat? Das war, als er ihn seinem Sohn zu Hause zum Spielen gegeben hat." Doch zwischen Respekt und Angst ist immer noch ein feiner, aber wichtiger Unterschied.
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Am gestrigen Sonntag hatte man in keiner Sekunde der Partie den Eindruck, dass die hochveranlagten Spieler von Bayer Leverkusen an einen Sieg über die Bayern glauben würden. Dabei standen die Chancen vor der Begegnung wieder einmal so gut wie lange nicht. Doch neben einer mutigen Taktik gehört eben auch der Glaube an die eigene Stärke zum Erfolg. Und diesen Glauben leben die Bayern wie keine andere Mannschaft in Deutschland mittlerweile seit über 50 Jahren.
Damals im Oktober 1989 fragte die Presse nach dem überraschenden Sieg von Leverkusen in München, die Bayer-Spieler und ihren Trainer nach den weiteren Zielen für die Saison. Torhüter Rüdiger Vollborn sagte: "Wir können nicht Meister werden. Aber wir wollen die Bayern so lange ärgern, wie es geht." Und Coach Jürgen Gelsdorf meinte: "Vom Titel reden wir nicht. Wir wollen uns unter den ersten acht etablieren." Bayer stand zu diesem Zeitpunkt auf dem ersten Tabellenplatz. Man muss wohl nicht extra betonen, wie die Saison endete.
Die Angst vor den Bayern ist schon alt, sehr alt. Schade eigentlich. Aber von Zeit zu Zeiten gibt es ja Gott sei Dank Mannschaften, die für einen (kurzen) Moment den Schrecken vor dem Rekordmeister vergessen. Bayer konnte es gestern leider nicht. Aber wer weiß: Die Saison ist ja noch lang - und ein Team hat es ja schon vorgemacht, wie es gehen könnte.
Quelle: ntv.de, Von Ben Redelings