Redelings Nachspielzeit

30 Jahre Saarbrücken-Spektakel Dieser Job war selbst für Neururer völlig irre

Peter Neururer wagte in Saarbrücken extrem viel.

Peter Neururer wagte in Saarbrücken extrem viel.

Vor dreißig Jahren startet Kulttrainer Peter Neururer eine ganz spezielle Mission - er übernimmt den Fußball-Zweiligisten 1. FC Saarbrücken. Was er damals noch nicht ahnen kann: Es ist bis zum heutigen Tag sein größtes Abenteuer im Profifußball geblieben - mit unglaublichen Geschichten.

"Wenn neben mir eine Bombe einschlägt, zucke ich nicht mal zusammen. Immerhin bin ich schon eineinhalb Jahre Trainer des 1. FC Saarbrücken." Treffender hätte Peter Neururer sein größtes Trainer-Abenteuer, das vor genau dreißig Jahren begann, nicht zusammenfassen können. Was der "Verbalerotiker" (Neururer über Neururer) aus dem Ruhrgebiet in seinen vierundzwanzig Monaten im Saarland erlebte, hat es vorher und nachher so nicht gegeben. Und genau das schwante ihm damals bereits nach wenigen Tagen: "Was ich in zwei Jahren auf Schalke und bei Hertha erlebt habe, passiert hier in Saarbrücken an einem Tag."

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Nach seinem kurzen Intermezzo in der ersten Fußball-Bundesliga in Berlin bei der Hertha wollte Peter Neururer schnellstmöglich wieder auf einem Trainerstuhl Platz nehmen. Saarbrücken war zwar damals in seinen Augen nicht das gelobte Land, aber als nächste Station auf dem Weg nach oben durchaus nicht gänzlich unattraktiv. Schließlich hatten sie beim 1. FC mit Klaus Schlappner und Diethelm Ferner gerade erst zwei erfahrene Schlachtrösser des deutschen Fußballs entlassen. Und nachdem sich Neururer seinen Traum von der ersten Liga in Berlin endlich erfüllt hatte, dürstete es den selbstbewussten Mann aus Marl nach mehr. Und mit genau dieser Einstellung ging es für "Peter, den Großen" in das Vorstellungsgespräch mit der Führungsriege der Saarbrücker.

Heute weiß er gar nicht mal mehr so genau, was er den Herren des damaligen Zweitligisten an diesem Vormittag erzählte, aber Neururer erinnert sich sehr präzise daran, dass er in diesen legendären Stunden ganz groß auftischte. Einen bunten Strauß voll rosaroter Zukunftsversprechen band er rhetorisch so geschickt zusammen, dass dem Vorstand sprichwörtlich die Augen übergingen. Dass die Herren durchaus empfänglich für diese Art von Worten waren, hatte Neururer schnell durchschaut. Wie empfänglich allerdings, das sollte sich erst genau ein Jahr später nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga und dem ersten Heimsieg über den Karlsruher SC zeigen. Die Fotos dieses historischen Tages sorgten in der Liga jedenfalls für Schmunzeln. Denn bei der anschließenden Pressekonferenz nach dem Erfolg drängten sich sämtliche Saarbrücker Präsidiumsmitglieder freudetrunken und stolz aufs Podium, sodass für den Gästetrainer Winnie Schäfer kein Platz mehr übrigblieb. Aber der Vorstand wusste seinen Trainer in diesen Tagen eben einfach sehr zu schätzen, wie Vizepräsident Gerhard Schwartzkopf einmal lachend erzählte: "Der Herr Neururer ist wie ein Ferrari. Er ist äußerst rasant und manchmal ein bisschen schwer zu lenken."

"Peter Neururer fährt kein Auto, Peter Neururer schleudert Auto!"

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Wie rasant Peter Neururer damals nicht nur mit dem Mundwerk war ("Nachdem hier zwei Jahre lang Verhinderungsfußball gespielt worden ist, sind die Zuschauer für jedes unfallfreie Überschreiten der Mittellinie dankbar"), zeigen gleich mehrere Geschichten. Bereits an seinem ersten Tag in Saarbrücken war er etwas knapp in der Zeit gewesen, weshalb er schließlich mit quietschenden Reifen in seinem Porsche vorfuhr. Diesen Anblick vergaß ein anwesender Reporter nie und meinte später einmal legendär: "Peter Neururer fährt kein Auto, Peter Neururer schleudert Auto!" Und da sein Carrera 2 Targa ordentlich Wumms auf die Straße brachte, geschah es auch schon einmal, dass der Saarbrücker Trainer eine Ampel erst bei Rot passierte. Doch kein Problem für Neururer, denn im Saarland war er mittlerweile so beliebt, dass die Polizei in diesen Momenten "Beifall klatschte", wie er schmunzelnd erzählte.

Das Abenteuer 1. FC Saarbrücken war für Peter Neururer auch eine Art Experiment. Er wollte damals sehen, wie weit er es mit seiner Art treiben konnte - und musste erstaunt selber feststellen: offenbar sehr weit! So äußerte er einmal schonungslos und ohne Folgen seine Kritik über den Übungsplatz der Saarbrücker Bundesligaprofis: "Die Trainingsbedingungen sind beschissen. Ecken kann ich nicht üben lassen. Wo der Eckenschütze anlaufen müsste, beginnt die Baumgrenze." Und auch über die finanziell angespannte Lage des Klubs ließ er sich ohne falsche Scheu aus: "Wir können so rund zehn Mark investieren - die müssen wir dann allerdings schon über Leasing reinholen."

Tatsächlich waren es am Ende immerhin doch noch 150.000 Mark, die ihm zur Verfügung standen, doch das änderte nichts daran, dass Neururer auf dem Transfermarkt sehr kreativ agieren musste. Vielleicht war das auch der Grund dafür, warum der spätere Kulttrainer in den zwei Jahren seiner Saarbrücker Amtszeit eine so wilde Truppe formierte, wie es sie in der Liga nur ganz selten gab - wenn überhaupt. Wolfram Wuttke, Stefan Brasas, Thomas Stickroth, Arno Glesius, Michael "Balu" Kostner und den ersten US-Amerikaner in der Bundesliga, Eric Wynalda, muss man erst einmal in einem einzigen Team unterbringen. Dazu gesellte sich damals zudem noch Co-Trainer Rüdiger "Flankengott" Abramczik.

"Vollidioten" war zu viel

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Um nur einmal eine leise Ahnung vom Erlebniswert dieser Truppe zu bekommen: Eines Tages war die Mannschaft mal wieder zu einem Auswärtsspiel unterwegs, als Arno Glesius - der Sätze sagte wie diesen: "Trainer, ich muss mal eben für drei Stunden weg: Von 8 bis 10!" - vorne im Bus direkt in der Reihe von Peter Neururer Platz nahm. Sehr zur Verwunderung des Trainers versuchte sich Glesius anschließend an einem Kreuzworträtsel. Plötzlich jubilierte der Spieler: "Ich habe gerade den australischen Laufvogel mit drei Buchstaben rausbekommen: Uhu!" Neururer versuchte erst gar nicht, sein Schmunzeln zu unterdrücken: "Ich glaube, Arno, wenn ich mich recht erinnere, ist das nicht der Uhu, sondern der Emu." Glesius schaute seinen Trainer schulterzuckend an: "Auch gut. Immerhin habe ich einen Buchstaben richtig!"

Eine andere, der zahlreichen Storys aus diesen turbulenten Zeiten: Eines Tages war das vom Verein zur Verfügung gestellte Auto von Peter Neururer in ein geparktes Fahrzeug gelenkt worden. Sachschaden: 15.000 Mark. Doch noch etwas anderes bereitete dem Klub Kopfschmerzen: Das Auto war von der Unfallstelle entfernt und an einem anderen Ort abgestellt worden. Schnell stellte sich heraus: Neururer selbst war nicht gefahren. Er hatte vielmehr den Wagen seinem Spieler Michael Krätzer geliehen. Doch dieser behauptete steif und fest, dass er den Wagen auch nicht bewegt habe: "Ich habe den Schlüssel an jemanden weitergegeben, weil ich zu viel getrunken hatte. Ich kann mich an nichts mehr erinnern." Solche Geschichten ereigneten sich damals beim 1. FC Saarbrücken fast täglich. Heutzutage komplett undenkbar.

Der Anfang vom Ende dieser spektakulären wie äußerst unterhaltsamen Zeit war schließlich gekommen, als Peter Neururer seine Freiheiten doch etwas zu sehr ausdehnte. Dass er auf einer Jahreshauptversammlung aufgestanden und die Präsidiumsmitglieder "Vollidioten" genannte hatte, bezeichnete er später als "Fehler". Doch da war es bereits zu spät. Nach dem Bundesliga-Abstieg und seinem Vertragsende nach zwei Jahren verließ Peter Neururer das schöne Saarland wieder. Und egal, was er danach in seiner wechselvollen Laufbahn auch erlebte: Das Abenteuer von Saarbrücken ist auch dreißig Jahre später immer noch das größte seiner Karriere!

Quelle: ntv.de

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