Fußball-WM 2018

Wie WG-tauglich ist die DFB-Elf? Löws Hausmeister lassen es krachen

Ein Hausmeister und ein pflegeleichter Mitbewohner: Miroslav Klose und Lukas Podolski.

Ein Hausmeister und ein pflegeleichter Mitbewohner: Miroslav Klose und Lukas Podolski.

(Foto: imago/Revierfoto)

Sechs Tore gegen Armenien - und schon ist das geneigte Publikum in WM-Stimmung. Deutschlands Fußballer dürfen positiv gestimmt nach Brasilien fliegen. Allerdings gibt Reus ernsthaft Anlass zur Sorge. Und einer benimmt sich wieder daneben.

Deutschland - Armenien 6:1 (0:0)

Deutschland: Weidenfeller - Boateng (67. Großkreutz), Mertesacker, Hummels, Höwedes - Lahm (46. Özil), Khedira (59. Schweinsteiger) - Schürrle (75. Götze), Kroos, Reus (45.+1 Podolski) - Müller (67. Klose)
Armenien: Berezovsky - Mkoyan, Haroyan, Arzumanyan, Hayrapetyan - Yedigaryan, Hovsepyan - Manucharyan (77. Tumasyan), Mkhitaryan, Ghazaryan - Movsisyan

Schiedsrichter: Lechner (Österreich)

Zuschauer: 27.000 (ausverkauft) in Mainz

Am Ende besangen die Fans die Schönheit des Erfolg es und Joachim Löw hatte das erreicht, was er gewollt hatte. Die deutsche Fußballnationalelf hat am Freitag mit 6:1 (0:0) gegen Armenien gewonnen, sich und den 27.000 Zuschauern an diesem brasilianisch warmen Sommerabend im ausverkauften Mainzer Stadion ein Schützenfest im letzten Test vor der Weltmeisterschaft beschert. Und kann nun das tun, was der Bundestrainer so ausdrückte: "Das tut jedem gut, dieses Positivgefühl mit in den Flieger nach Brasilien zu nehmen."

Dennoch wirkte Löw alles andere als gelöst, denn einer seiner Besten hat sich verletzt. Der Dortmunder Marco Reus humpelte nach einem Foul des Armeniers Artak Yedigaryan kurz vor der Pause, von Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Physiotherapeut Klaus Eder gestützt, vom Rasen und wurde zur Kernspinuntersuchung ins Krankenhaus gebracht. Das Ergebnis kam in der Nacht: Teilriss des vorderen Syndesmosebandes oberhalb des linken Sprunggelenks. Einer der besten deutschen Spieler droht nun auszufallen.

Mit vier Hausmeistern ins Campo Bahia

Die DFB-Elf ihrerseits nutzte es in der zweiten Hälfte gnadenlos aus, dass die Armenier mit ihren Kräften am Ende waren. "Wir haben den Gegner am Ende ein bisschen weich gespielt", konstatiere er und war sich mit seinem Kollegen Bernard Challandes einig, der einräumte, was eh alle gesehen hatten: "Wir hatten ein kollektives Problem nach einer Stunde." Beim deutschen Team hingegen lief es wie am Schnürchen, auch das mit dem Toreschießen klappte prima. Am Ende saß dann einer Wechselorgie zum Trotz jeder Schuss. André Schürrle (52.), Lukas Podolski (71.), Benedikt Höwedes (73.), Miroslav Klose (76.) und zweimal Götze (82. und 89.) trafen, wie sie wollten, weil man sie ließ.

Und nun? Fliegen die Mannschaft, ihre Trainer und diverse Helfershelfer heute um 22 Uhr von Frankfurt aus nach Brasilien. Dort stehen an der Küste im Nordosten des Landes im Dorf Santo André 14 neu erbaute Bungalows mit 65 Suiten auf einem 14.740 Quadratmeter großen Stück Land, das als Campo Bahia in die Geschichte eingehen wird, weil dort die deutschen Spieler während der WM wohnen. Die 23 Auserwählten sollen gerecht auf vier der Häuser aufgeteilt werden - jetzt rechnen Sie mal schön. Jedenfalls hat der Bundestrainer, wie die "Süddeutsche Zeitung" es formulierte, vier Hausmeister bestimmt, die aufpassen sollen, dass es in den Wohngemeinschaften harmonisch zugeht: Per Mertesacker, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und der neue Rekordtorschütze Klose. Wer wo einzieht, ist noch nicht raus. Die DFB-Elf unter besonderer Berücksichtigung ihrer Tauglichkeit für eine Wohngemeinschaft. Klingt wie der Titel einer Examensarbeit, ist aber nur die Einzelkritik:

Roman Weidenfeller: Manuel Neuer gilt ja als einer der Besten seiner Zunft, viele halten den Münchner sogar für den Besten der Welt. Aber sagen wir es so: Falls er trotz aller Beteuerungen doch nicht zum ersten WM-Spiel am 16. Juni gegen Portugal wieder fit sein sollte, können wir uns sicher sein: Weidenfeller macht das schon. In seinem dritten Länderspiel agierte er, als sei es sein 300. - was auch damit zu tun hatte, dass er fast nichts zu tun hatte. Und für den Gegentreffer darf er sich bei seinem Vereinskollegen Kevin Großkreutz bedanken. Vielleicht sollten die beiden in eine WG ziehen. Weidenfeller könnte dann ein wenig auf den Kevin aufpassen. Und wenn er nicht spurt, muss er das Bad putzen.

Jeróme Boateng überzeugt.

Jeróme Boateng überzeugt.

(Foto: dpa)

Jeróme Boateng: Wo der 25 Jahre Abwehrspie ler des FC Bayern letztlich seine Suite im Camp bezieht, ist eigentlich egal. Er nimmt es, wie es kommt. Und kommt mit jedem und überall zurecht. Wenn der Bundestrainer sagt, er soll den rechten Verteidiger geben, gibt er halt in seinem 39. Länderspiel zum zweiten Mal nacheinander den rechten Verteidiger - defensiv stark, offensiv durchaus unternehmungslustig, insgesamt solide und unaufgeregt. Boateng ist eine Bank, auch wenn er ab und an zu einer unnötigen Grätsche ansetzt. Ist aber kein Grund zur Aufregung. Nach 67 Minuten winkte der Bundestrainer ihn raus und schickte besagten Großkreutz auf den Rasen. Der 25-Jährige feierte in seinem fünften Länderspiel einen fantastischen Einstand. Er kam, foulte und sah, wie sein Vereinskollege Henrikh Mkhitaryan den Elfmeter anstandslos zum 1:1 verwandelte.

Per Mertesacker: Der Innenverteidiger des FC Arsenal hat auch in seiner 98. Partie für die deutsche Mannschaft gezeigt, dass er zu Recht für die WM gesetzt ist. Wie sich das für einen zumindest an seinem Arbeitsplatz recht autoritären Hausmeister gehört, sagt und zeigt der 29-Jährige den anderen, wo es langgeht. Fehlt nur noch der graue Kittel. Allerdings setzten die Armenier ihn und seine Kollegen auch nicht allzu sehr unter Druck.

Mats Hummels: Weil Boateng am rechten Ende der Viererkette spielte, durfte der 25 Jahre alte Dortmunder sein 30. Länderspiel in der Innenverteidigung bestreiten. Der Beginn misslang ihm, ein verlorener Zweikampf hier, ein Fehlpass da - und glänzte dann in der Offensive plötzlich mit einem Pass auf Reus. Kämpfte sich ins Spiel und durfte am Ende mit sich zufrieden sein. Womit er grundsätzlich eher weniger Probleme hat. Abgesehen davon, dass Hummels selbst gerne Hausmeister wäre, wünschen wir uns, dass er in die WG zu Schweinsteiger kommt. Dann können sie in Ruhe und mit Blick aufs Meer dieses Bayern-gegen-Dortmund-Ding ausdiskutieren. Ansonsten gilt: "Wir sind zu 100 Prozent bereit, die Einstellung stimmt bei jedem und die Qualität ist so hoch, dass die Leistung gut sein muss."

Benedikt Höwedes: Der 26 Jahre alte Schalker hatte den Dortmunder Jüngling Erik Durm aus der Startelf verdrängt und verteidigte auf der für ihn ungewohnten linken Seite. Machte das gut, empfahl sich ernsthaft als Lösung auf der Problemposition der DFB-Elf und ist mit seiner zurückhaltenden, hilfsbereiten Art ein idealer Kandidat für jede WG. Er ist einer, der sich an die Regeln hält und ganz bestimmt nicht den letzten Jogurt aus dem Kühlschrank klaut. Gegen Armenien schlug er nur einmal über die Stränge, da aber richtig: Er mogelte nach 73. Minuten mit der Brust den Ball ins gegnerische Tor, sein zweiter Treffer in 21 Länderspielen.

Wieder an Bord: Kapitän Philipp Lahm.

Wieder an Bord: Kapitän Philipp Lahm.

(Foto: imago/Eibner)

Philipp Lahm: Der Kapitän ist wieder an Bo rd, auch wenn es für den 30 Jahre alten Münchner erst einmal nur für eine Halbzeit reichte; zählt aber trotzdem als sein 106. Länderspiel. Damit lässt er Jürgen Kohler hinter sich und arbeitet sich in der Rangliste auf Platz fünf vor. Gegen Armenien spielte er quasi als alleiniger Sechser, da Kompagnon Khedira sich zu Toni Kroos in die offensive Mittelfeldzentrale gesellte. Dass Lahm am Knöchel verletzt war, ließ er sich nicht anmerken. Er schnurrte wie eine Schnellbahn mit Neigetechnik über den Rasen und lenkte das deutsche Spiel. "Ich fühle mich topfit, hab schon ein paar Tage trainieren und Gas geben können. Um mich muss man sich keine Sorgen machen." Nun aber will er das Land verlassen: "Wir können zufrieden sein, mit einem Sieg auszureisen." Hat er einen Antrag gestellt? Hauptsache, er stellt sich in Brasilien eine ordentliche Wohngruppe zusammen. Zum Beispiel mit Mesut Özil, der nach der Pause für ihn in die Partie kam. Der 25-Jährige vom FC Arsenal übernahm in seinem 55. Länderspiel wie meist die Position im zentralen Mittelfeld. Schoss einmal, in der 65. Minute war das, weithin hörbar den Ball an den Pfosten des armenischen Tores.

Sami Khedira: Zeigte sich deutlich fitter als noch beim 2:2 gegen Kamerun, der 27-Jährige Champions-League-Gewinner von Real Madrid rannte in seinem 46. Länderspiel eifrig von hinten nach vorne und zurück. Fast wie vor seinem Bänderriss, fast wie ein Hausmeister. Aber eben noch nicht so dynamisch im Antritt und präzise im Passspiel wie früher. Aber: Er macht enorme Fortschritte. Sind ja noch neun Tage bis zum ersten Spiel bei der WM. Wäre von seiner Persönlichkeit her ein idealer Hausmeister. Nach einer knappen Stunde war Schluss, und der 29 Jahre alte Münchner Bastian Schweinsteiger betrat nach vierwöchiger Verletzungspause den Rasen. In seinem 102. Länderspiel ließ er die Frage unbeantwortet, ob er bis zum Weltturnier wieder im Vollbesitz seiner Kräfte ist. Als WG-Oberhaupt aber ist der Jubilar gesetzt. Jubilar? Dazu später mehr, wenn es um Lukas Podolski geht.

Marco Reus: Nun geht es für den 25 Jahre alten Dortmunder darum, ob er es irgendwie noch nach Brasilien schafft. Das ist bitter für ihn, den Bundestrainer und die Mannschaft - war Reus doch nach einer starken Saison in bester Verfassung. Er trug die Hoffnungen und hatte sich so viel vorgenommen. Der "Sportbild" sagte er: "Ich gelte ja nicht gerade als der Typ, der die großen Sprüche klopft." Und er sagte auch: "Ich sehe mich als einen Spieler der Kategorie, für die es keine Grenzen nach oben gibt." Wie wichtig er für die Nationalelf ist, zeigte er auch in seinem 21. Länderspiel bis zu seiner unglücklichen Verletzung: ballsicher, dribbelstark, ideenreich, auch wenn es mit dem Torerfolg wieder nicht klappte.

Lukas Podolski passt in jede WG.

Lukas Podolski passt in jede WG.

(Foto: imago/Jan Huebner)

Für Reus kam Lukas Podolski vom FC Arsenal, se it Mittwoch dieser Woche 29 Jahre alt, zu seinem 114. Länderspiel. Es war ein besonderer Tag für den Kölner der Herzen. Mit Schweinsteiger spielt Podolski nun seit zehn Jahren für die deutsche Nationalmannschaft. Und zwar auf den Tag genau. Es war auch ein letztes Spiel seinerzeit am 6. Juni 2004, die DFB-Elf stand mit Teamchef Rudi Völler vor der Europameisterschaft in Portugal - und verlor in Kaiserslautern gegen Ungarn und Trainer Lothar Matthäus mit 0:2. Völlers beste Tat an diesem Abend: Er wechselte nach der Pause den 19 Jahre alten Schweinsteiger und eine Viertelstunde vor dem Ende der Partie den 18 Jahre alten Podolski ein. Der kam gegen Armenien ebenfalls von der Bank und legte einen Auftritt stark wie lange nicht hin. Drei Tore bereitete er vor, eins erzielte er selbst. Sein 47. Treffer, damit zog er mit Jürgen Klinsmann und Rudi Völler gleich. Es scheint, dass er rechtzeitig zur WM da ist. "Wir müssen die Dinger frühzeitig rein machen, dann läuft es anders", kommentierte er. "In der zweiten Halbzeit haben wir dann gezeigt, was in uns steckt. Bei der WM werden es aber andere Gegner, da müssen wir eine Schippe zulegen." Hatten wir erwähnt, dass Podolski in jede WG passt?

Toni Kroos: Der 24 Jahre alte Münchner zeigte schon vor seinem 44. Länderspiel einen bisher nicht bekannten Hang zur Fürsorge und legte als einziger deutscher Spieler während der armenischen Hymne seine Hände auf die Schultern des Einlaufjungen vor ihm. Oder hat er sich nur abgestützt? Darf für sich beanspruchen, was die Zahl der Ballkontakte betrifft der Dreh- und Angelpunkt seines Teams gewesen zu sein. Was daran lag, dass er im Gegensatz zum Spiel gegen Kamerun weiter vorne im Mittelfeld als eine Art Zehner spielen durfte, da Özil es ja nicht in die Startelf geschafft hatte. Und dort, also vorne, fühlt Kroos sich einfach wohler. Sein Fazit: "Die erste Halbzeit war schon in Ordnung, da hatten wir die ein oder andere Möglichkeit. In der zweiten Halbzeit wurde es einfacher." Ansonsten gilt: Er sollte wegen seines Hangs zum Phlegma nicht mit dem Kollegen Boateng in ein Haus.

André Schürrle: Guter Mann. Der 23 Jahre alte Flügelstürmer des FC Chelsea arbeitete in seinem 33. Länderspiel daran, sich einen Platz unter denen zu erkämpfen, die in Brasilien dann auch spielen. Übernimmt auch ganz bestimmt jede anfallende Aufgabe in einer Wohngemeinschaft - und sei es, dass er für Großkreutz das Bad putzt. Gegen Armenien beeindruckte er durch seine temporeiche Zielstrebigkeit, mit der er, den Ball am Fuß, aufs gegnerische Tor zu strebte. Und getroffen hat er auch, wieder einmal. Das sehenswerte 1:0 war sein 13. Treffer im Trikot der Nationalelf. Sollte Reus tatsächlich ausfallen, ist er mit Podolski ein ernsthafter Anwärter auf einen Platz in der Startelf. Nach 74 Minuten kam der Münchner Mario Götze, seit Dienstag 22 Jahre alt, für ihn in die Mannschaft. Und darf nach seinen zwei Toren mit seinem 29. Länderspiel ebenfalls zufrieden sein.

Thomas Müller: Gilt ja als Spaßvogel, was immer das auch heißt. Auf jeden Fall würde er eine WG mit Boateng und Kroos deutlich beleben, allerdings wären dann gleich drei Münchner unter sich. Das widerspräche dann dem Teamgedanken des Bundestrainers. In sein 49. Länderspiel startete der 24 Jahre alte Müller als echte Neun. Emsig wie eh und je, stolperte er ein wenig zu viel und trat Löcher in die Luft. War wesentlich stärker, wenn er andere in die Spitze schicken konnte; Marco Reus zum Beispiel. Nach 67 Minuten war Schluss mit Mittelstürmer und es kam einer, der das nachweislich gelernt hat. Miroslav Klose, der am Montag als Hausmeister im Campo seinen 36. Geburtstag feiert, erzielte in seinem 132. Länderspiel sein 69. Tor. Damit ist die Sache mit Gerd Müllers Rekord endgültig vom Tisch. Gott sei Dank. Klose sagte hinterher: "Der Torrekord bedeutet mir natürlich etwas, wichtiger war es aber, in Form zu kommen. Wenn wir so präsent wie in der zweiten Halbzeit spielen, kommen wir zu Torchancen und dann werde ich auch die Tore machen. Wichtig ist, dass wir mehr Drang in den Strafraum haben, mehr Bewegung reinbringen. Ich will spielen und weiß, dass ich der Mannschaft helfen kann." Der Mann hat recht.

Quelle: ntv.de

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