So läuft das Halbfinale Löw lässt kämpfen, Boateng wittert das Schlitzohr
08.07.2014, 15:32 Uhr
(Foto: imago/Moritz Müller)
Brasilien setzt auf die Kraft des Trotzes, Deutschland auf einen guten Plan. Wenn heute das Halbfinale der Fußball-WM steigt, geht es, glaubt man den Beteiligten, nicht um ein schönes Spiel. Sagt selbst einer, der einst in der Seleção gezaubert hat.
Worum geht's?
In diesen Tagen ist ja viel darüber geredet und geschrieben worden, dass sich Deutschlands Fußballer vom schönen Spiel verabschiedet haben und sich nun als Pragmatiker durch diese Weltmeisterschaft kämpfen. Sogar nach Standardsituationen erzielen sie jetzt Tore, das ist ja unglaublich. Bundestrainer Joachim Löw hat allerdings ein starkes Argument auf seiner Seite: Sein Team spielt heute (ab 22 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) im Halbfinale gegen Brasilien. Übrigens auch keine Mannschaft, die bisher mit spielerischer Leichtigkeit geglänzt hat - und alle Tore in der K.-o-Runde nach ruhenden Bällen erzielte. Aber noch ist es nicht zu spät, um den Fans im Estadio Mineirao zu Belo Horizonte ein kleines Fest zu bereiten und das Endspiel am 13. Juli in Rio de Janeiro zu erreichen. Jedenfalls ließ der Bundestrainer mitteilen: "Wir haben uns im Laufe des Turniers gefestigt, sind stabil, physisch wie psychisch. Wir werden einen guten Plan entwickeln und den Brasilianern einen großen Kampf liefern." Hat er Kampf gesagt? Also doch kein schönes Spiel, kein "jogo bonito"? Wir werden sehen.
Wie stehen die Vorzeichen?
Die DFB-Elf, die heute in ihren quergestreiften, schwarz-roten Ausweichtrikots aufläuft, hat bisher alle WM-Spiele gegen Brasilien verloren. Gut, es gab auch nur eins. Aber das war nicht ganz unwichtig. Im Finale vom Yokohama unterlagen die Deutschen am 30. Juni 2002 mit 0:2. Aus dem Kader der Mannschaft heute war in Japan nur, wie könnte es anders sein, der ewige Miroslav Klose dabei. Nach 74 Minuten war er für Oliver Bierhoff ausgewechselt worden, der nun das Team managt. Auf der brasilianischen Bank saß schon damals - in seiner ersten Amtszeit - Luiz Felipe Scolari. Klose könnte heute gegen Brasilien einen Brasilianer als Rekordtorschützen bei Weltmeisterschaften ablösen. Welch' schöne Pointe, zumindest für die, die es Klose gönnen. Träfe er in Belo Horizonte, hätte er 16 Tore auf seinem Konto. Ein Treffer mehr als Ronaldo. Der übrigens in Yokohama beide Tore erzielte.
Wie ist die DFB-Elf drauf?
Brasilien: Julio Cesar - Maicon, Dante, David Luiz, Marcelo - Luiz Gustavo, Fernandinho - Hulk, Oscar, Bernard - Fred. - Trainer: Scolari
Deutschland: Neuer - Lahm, Boateng, Hummels, Höwedes - Schweinsteiger, Khedira, Kroos - Müller, Özil - Klose. - Trainer: Löw
Schiedsrichter: Marco Rodríguez (Mexiko)
Kapitän Philipp Lahm zeigte sich gestern besonders eifrig und war mit seinem Münchner Vereinskollegen Bastian Schweinsteiger beim Abschlusstraining vor allen anderen auf dem Rasen. Ansonsten ist wie immer alles bestens, Jérôme Boateng wusste zu berichten: "Wir sind sehr motiviert." Prima. Und sonst so? "Das ganze Stadion wird gegen uns sein, das wird ein harter Test für uns. Aber wir wollen mit aller Kraft ins Finale einziehen." Der Verteidiger, am liebsten innen, wittert aber auch Gefahr: "Jeder Brasilianer ist sehr torgefährlich. Sie sind alle gut am Ball. Ich habe schon einige Spiel im Fernsehen gesehen und achte dabei darauf, wie sich ein Stürmer bewegt, was er macht. Vor allem Fred ist ein Schlitzohr. Er wartet immer auf seine Chance, bewegt sich nicht schlecht. Das ist halt ein Torjäger." Ansonsten hat Benedikt Höwedes endlich den Begriff ins Spiel gebracht, auf den alle gewartet haben: "Deutschland war immer eine Turniermannschaft. Das sind wir auch dieses Mal", sagte der Schalker, der zur Überraschung aller als Linksverteidiger bisher alle fünf Spiele absolviert hat, dem Fachmagazin "Kicker". Was er damit meint? Ein gutes Pferd springt nur so hoch, wie es muss. Und da die Hürden von Runde zu Runde immer höher liegen, springt es auch höher, immer so, dass es gerade passt. "Wir haben immer noch kein perfektes Spiel gemacht, aber wir nähern uns an." Wer heute spielt, konnte oder wollte er allerdings auch nicht sagen. "Was im Halbfinale passiert, da müssen Sie den Trainer fragen. Ich werde die Mannschaft nicht aufstellen." Aber Joachim Löw sagt wie üblich nichts. Also außer, dass er einen Plan hat. Aber jede Wette: Irgendjemand behauptet heute im Laufe des Tages irgendetwas. Zum Beispiel, dass der Dortmunder Kevin Großkreutz in der Startelf steht. Oder der Mönchengladbacher Christoph Kramer den erschöpften Sami Khedira ersetzt. Die Aufstellungen gibt’s dann gegen 21 Uhr.
Wie läuft's bei Brasilien?
Geht so. Neymar ist verletzt und Kapitän Thiago Silva muss aussetzen, weil er im Viertelfinale gegen Kolumbien seine zweite Gelbe Karte gesehen hat. Aber Zico war gestern in Rio. Sie wissen schon, Brasiliens Fußballlegende, der "weiße Pele". Der kann zwar heute mit seinen 61 Jahren nicht mehr mitspielen, kann sich aber noch daran erinnern, wie das war, als die Seleção noch gezaubert hat. Und er ist durchaus optimistisch. Zumindest hat er gesagt, dass er seinen Landsleuten allerlei zutraut: "Das Team hat die Qualität dazu, die Spieler allesamt die individuellen Fähigkeiten. Bedenken Sie, dass die Mannschaft von Beginn des Turniers unter enormem Druck stand, dem sie standgehalten hat. Es ist der richtige Zeitpunkt, um auch den Sprung ins Finale zu schaffen. Sie werden es schaffen." Sollte Brasilien etwa auch eine Turniermannschaft sein? Obwohl Neymar, der all die Hoffnungen der Brasilianer trug, heute Abend fehlt? "Brasilianer lernen in ihrem Leben zwangsläufig, aus negativen Ereignissen positive Schlüsse zu ziehen. Natürlich fällt es schwer, das Positive an Neymars Verletzung zu erkennen. Aber ich gehe davon aus, dass die Mannschaft eine Trotzreaktion zeigt. Das Zeug hat sie dazu." Das wird spannend in Belo Horizonte.
War sonst noch was?
Aber ja. Zico hat auch noch über Fußballschuhe gesprochen. Die seien heutzutage ja viel besser. Einlaufen müsse man die neuen Töppen nicht mehr, maßgeschneidert und weich wie sie seien. "Wenn ich mir die neuen Schuhe heute ansehe, kommt es mir vor, als hätte ich in der Steinzeit gespielt." Und überhaupt sei die aktuelle Spielergeneration heute gut behütet. "Ihnen fehlt nichts. Alles, was sie tun müssen, ist Fußball zu spielen." Dann mal los. Um 22 Uhr deutscher Zeit pfeift der Mexikaner Marco Rodríguez die Partie an.
Quelle: ntv.de