Guillotine statt Glanz Russland sieht Rot
26.02.2010, 11:28 Uhr
Noch voller Hoffnung: Russland bei der Eröffnungsfeier in Vancouver.
(Foto: dpa)
Nur Platz zehn in der Medaillenwertung: Die einstige Wintersport-Weltmacht Russland ist in Vancouver tief gestürzt. Sportler und Trainer müssen sich nun ätzende Kritik gefallen lassen.
Häme statt Hurra. Spott statt Siege. Und am Ende die Guillotine auf dem Roten Platz? Der russische Bär tapst vier Jahre vor den Heimspielen in Sotschi hilflos hinterher. Die einstige Wintersport-Weltmacht wird im olympischen Medaillenspiegel von Vancouver durchgereicht und aus der Heimat mit ätzender Kritik überschüttet. Tiefpunkt der Tragödie: Die 3:7-Klatsche der Sbornaja im Eishockey-Prestigeduell gegen Gastgeber Kanada. Immer lauter werden in der Staatsduma die Forderungen nach Ablösung von Sportminister Witali Mutko.
Die (Unglücks)-Zahl 13 der bisherigen Medaillen hat fast schon etwas Beschwörendes. Nur dreimal Gold, viermal Silber und sechsmal Bronze konnten die Russen vor den letzten drei Olympia-Tagen auf Eis und Schnee absahnen. Platz zehn. Zu wenig. Zwar war der Lack auch in Turin schon ab, doch 22 Medaillen (8/6/8) glänzten vor vier Jahren immerhin noch.
"Russen nicht unterschätzen"
Das Echo aus der Heimat dürfte Stimmung und Motivation im russischen Olympia-Team auch nicht gerade heben. "In anderen Ländern bemüht man sich, Sportler nach Niederlagen wieder aufzubauen. In Russland ist es so: Gewinnen wir, sind alle unsere Freunde. Verlieren wir, will man auf dem Roten Platz gleich die Guillotine aufstellen", beklagte Eishockey-Nationaltrainer Wjateschlaw Bykow.

Enttäuschung nach der Niederlage gegen Kanada: "Verlieren wir, will man auf dem Roten Platz gleich die Guillotine aufstellen", beklagt Eishockey-Nationaltrainer Wjateschlaw Bykow.
(Foto: AP)
IOC-Präsident Jacques Rogge macht sich offenbar auch Sorgen, denn in vier Jahren wird Sotschi bei den XXII. Olympischen Winterspielen zum Nabel der Sportwelt. "Ich habe schon Gespräche mit der sportlichen und politischen Führung Russlands geführt und darauf hingewiesen, dass die Heimmannschaft in Sotschi so stark wie möglich sein sollte", sagte der Belgier in Vancouver. "Man sollte die Russen nicht unterschätzen, sie kennen sich aus im Sport. Russland ist eine der Supermächte im Sport, vielleicht nicht heute, aber sie haben noch vier Jahre Zeit."
"Verlorene Generation"
Während Experten eine schlampige Nachwuchsarbeit für den Absturz verantwortlich machen, nennen einige Medien das verschärfte Anti-Doping-Programm. In der Tat: Viel Positives gab es von den Russen bisher nicht. Eine Ursache sei die "verlorene Generation" der 90er Jahre, als auch der Sport am Tiefpunkt war. Der Zusammenbruch der alten Strukturen wirkt bis heute nach. Aus Stadien wurden in den 90ern Marktplätze, Profisportler wurden mit ein paar Kopeken abgespeist, hatte die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin von Turin und heutige Duma-Abgeordnete Swetlana Schurowa in der Online-Ausgabe der "Komsomolskaja Prawda" beklagt.
In den 90er Jahren wanderten etliche Spitzentrainer aus Russland in die USA ab, mit ihren fleißigen und hochmotivierten Eis-Eleven im Schlepptau. Trainer weg, Asse weg, Vorbilder weg. Das rächte sich. "Ich glaube, wir müssen alle russischen Trainer nach Russland zurückholen", forderte Eistänzer Maxim Schabalin, der mit Oxana Domnina nur auf dem Bronze-Platz landete.
Trotz der Misere brennt im Kreml nachts (noch) kein Licht. Dabei hatte Regierungschef Wladimir Putin bei der Verabschiedung der Sportler in Moskau angesichts der Zeitlücke noch gescherzt: "Bei einer Goldmedaille können Sie mich ruhig nachts wecken." Bisher musste der frühere Präsident nur dreimal aufstehen: Für die Biathlon- Staffel der Frauen, Skijäger Jewgeni Ustjugow und Überraschnungs- Olympiasieger Nikita Krijukow (Skilanglauf/Sprint).
Quelle: ntv.de, Ralf Jarkowski, dpa