Raus aus dem inneren Gefängnis Superstar Simone Biles glänzt unter gigantischem Olympia-Druck

Sie ist zurück - und wie: Simone Biles.

Sie ist zurück - und wie: Simone Biles.

(Foto: AP)

Bei den Sommerspielen in Tokio zeigte Simone Biles Nerven, musste im Mannschafts-Finale aufgeben. Es folgten drei Jahre mentaler Aufbauarbeit. Nun kehrt die Amerikanerin auf die Olympia-Bühne zurück - und feiert ein triumphales Comeback.

Die letzten Töne der US-Nationalhymne waren noch nicht verklungen, da griff Simone Biles mit ihrer rechten Hand bereits die Goldmedaille, die um ihren Hals hing. Sie zog das Edelmetall leicht nach vorne, als wolle sie allen sagen: "schaut her, was ich hier habe" - und setzte ihr ansteckendes All-American-Lächeln auf. Turn-Superstar Biles ist zurück auf der olympischen Bühne - und wie.

Die 27-Jährige gewann am Dienstagabend in der mit 15.000 Fans - mindestens die Hälfte davon aus den USA - ausverkauften Halle in Paris Bercy Gold mit der Mannschaft. Und es passte einfach perfekt ins Gesamtbild, dass ausgerechnet Biles den krönenden Schlusspunkt setzte. Sie begann ihre Bodenkür mit "Ready for it" von Taylor Swift. Natürlich. Warum denn nicht? Die Über-Turnerin und der knackige Beat des vielleicht größten Stars der Musikgeschichte. Was sollte da eigentlich schiefgehen?

Fünftes Olympia-Gold fast drei Jahre nach Tief

Und Biles machte schnell deutlich: Sie war "ready for it". Bereit, an diesem Abend die letzten Punkte für den Olympiasieg von Team USA zu holen. Bereit, für ein triumphales Olympia-Comeback. Und bereit für ihr fünftes Olympia-Gold. Vor fast genau drei Jahren, am 27. Juli 2021, war ihre Welt noch eine ganz andere gewesen - keine glänzende, sondern eine traurige. Bei den Sommerspielen von Tokio stieg Biles nach einem verpatzten Sprung gleich zu Beginn des Mannschafts-Finales aus. Der Grund: Twisties. Eine Orientierungslosigkeit bei Drehungen in der Luft. "Das Gehirn kommuniziert nicht mehr mit dem Körper", hatte Trainer Laurent Landi in einer kürzlich veröffentlichen Netflix-Doku über Biles betont.

Sie habe sich gefühlt, als wenn sie im Gefängnis ihres eigenen Körpers und Gehirns wäre, erinnert sich Biles. Die viermalige Olympiasiegerin von Rio und 19-fache Weltmeisterin, die Frau, die Elemente mit einem so hohen Schwierigkeitsgrad turnt wie niemand anders, wirkte erstmals in ihrer Karriere so richtig menschlich. Denn Biles war nicht mehr die Unbezwingbare, nicht mehr diese dominierende Dauer-Siegerin. Nein, sie zeigte Schwächen, hatte Nerven-Flattern, fehlendes Selbstvertrauen. Wie so viele Sportlerinnen und Sportler beim bedeutendsten Wettkampf des Jahres. Wie Kinder und Jugendliche vor wichtigen Schul-Prüfungen. Wie Arbeitnehmer, die ein großes Projekt vor sich haben.

"Alles klar, jetzt legen wir los"

Und nun steht diese Simone Arianna Biles Owens an diesem 30. Juli 2024 zum Auftakt des Mannschafts-Finales wieder am Sprung. Alle Augen und Aufmerksamkeit in Paris Bercy sind auf sie gerichtet. So wie in Tokio. Und Cecile Landi, US-Nationaltrainerin und zusammen mit Ehemann Laurent auch Biles’ Privatcoach, habe, wie sie später betonte, "für einen Moment an Tokio denken" müssen. Doch Biles wirkt nicht ängstlich, sondern voll fokussiert und entschlossen. Sie läuft 25 Meter die Bahn entlang, springt kraftvoll ab, dreht sich mehrere Male und landet unter dem Jubel des Publikums souverän. Sie sei "erleichtert", gewesen, so Biles. Und sie habe sofort zu sich selbst gesagt: "Alles klar, jetzt legen wir los."

Und das Publikum wollte auch mehr sehen von ihr. Das Gros der Fans war vor allem wegen der texanischen Turnikone in den Nordosten von Paris gekommen. Auch Promis wie Nicole Kidman, Serena Williams, Spike Lee, Bill Gates, Natalie Portman, Michael Phelps, Tom Cruise, Lady Gaga, Snoop Dogg oder Ariana Grande. Alle wollten dabei sein, beim Olympia-Comeback dieser Ausnahme-Athletin. An vier Geräten wurde gleichzeitig geturnt, die Boden-Übungen nahmen die zentrale Rolle ein. Sie waren mitten in der Halle - und lautstark musikalisch untermalt. Doch wenn Biles an der Reihe war, galten ihr die Blicke, die Aufmerksamkeit, der Applaus.

Am Wettkampfmorgen noch Therapie-Sitzung

Bereits im Vorjahr hatte sich Biles bei der WM in Antwerpen mit vier Gold- und einer Silbermedaille eindrucksvoll im internationalen Scheinwerferlicht zurückgemeldet. Doch Olympia ist noch mal eine andere Herausforderung. Niemand wisse wirklich, wie die vergangenen drei Jahre für sie gewesen seien, hebt Landi hervor. Und der Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Biles ist immer noch in Therapie, hatte sogar am Dienstagvormittag in Paris noch eine Sitzung mit ihrem Spezialisten. Die Zusammenarbeit zeigt bereits große Fortschritte.

Was andere über sie denken, von ihr halten, ist ihr mittlerweile egal. All die Hasser, Nörgler und Dauer-Kritiker werden ignoriert. "Ich zähle keine Medaillen und hebe mir keine Statistiken auf", betonte Biles. Sie gehe vielmehr "einfach raus und mache das, was ich nun mal zu tun habe." Vor allem aber macht sie das, was sie "liebe und genieße." Biles braucht ohnehin niemandem mehr etwas zu beweisen. Denn sie hat ihren Platz in der Turn-Geschichte sicher. Als eine der Besten, die es je gab. Die 27-Jährige wurde an diesem Dienstagabend durch ihren Triumph zur ältesten Turn-Olympiasiegerin seit 1964 - und mit ihrer insgesamt achten Olympiamedaille vor allem zur erfolgreichsten Olympiaturnerin der US-Geschichte.

Für einen Moment größer als der Eiffelturm

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Dass sie auch mit 27 Jahren noch herausragend ist, genau das habe ihr Schützling, vor allem sich selbst, im Mannschaftsfinale dieser XXXIII. Sommerspiele gezeigt, sagt Trainerin Landi. Schwebebalken, Stufenbarren, Boden - bei jeder Übung reißt Biles die Fans von den Sitzen. Die mit einer Körpergröße von 1,42 Meter eher kleine Amerikanerin ist an diesem Abend in Paris größer als der Eiffelturm, interessanter als die Mona Lisa im Louvre und exquisiter als die feinsten Fünf-Sterne-Restaurants der Stadt.

Und die wohl beste Entertainerin ihrer Sportart will in der Halle von Bercy auch in den kommenden Tagen noch begeistern. Biles startet noch in vier weiteren Finals: Mehrkampf-Einzel, Sprung, Schwebebalken und Boden. Es könnte, wie schon 2016 in Rio, erneut eine Gold-Gala von ihr werden. Und Simone Biles ist "ready for it".

Quelle: ntv.de

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