Winokurow radelt zu Olympiasieg Radprofi sendet fatales Signal

"Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, nach Doping zu fragen": Alexander Nikolajewitsch Winokurow.

"Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, nach Doping zu fragen": Alexander Nikolajewitsch Winokurow.

(Foto: dpa)

Lange Gesichter bei Hunderttausenden Zuschauern und bei den britischen Tour-Helden Wiggins und Cavendish: Ausgerechnet der umstrittene Radprofi Alexander Winokurow stiehlt beim Olympia-Rennen allen die Show und sorgt für ein fatales Signal im Kampf gegen das Doping.

Höhnisches Gelächter und Schenkelklopfen bei der Sieger-Pressekonferenz. Alexander Nikolajewitsch Winokurow werde sich wegen der Dopingkontrolle etwas verspäten, hieß es nach dem olympischen Straßenrennen unweit des Buckingham Palast. Kurz zuvor waren nicht nur den geschlagenen britischen und enttäuschten deutschen Favoriten um Mark Cavendish und André Greipel die Gesichtszüge eingefroren: Ausgerechnet Winokurow, der Prototyp des Old-School-Radprofis mit bewegter Vergangenheit, hatte die Favoriten vor einem Millionenpublikum ausgetrickst und mit dem unerwarteten Gewinn der Goldmedaille für ein fatales Signal gesorgt.

Anti-Doping-Aktivist Werner Franke hält den 38-jährigen Kasachen, Träger des Ordens für "Verdienste um das Vaterland", schlicht für einen "Serientäter". Der Molekular-Biologe aus Heidelberg fand den Rennausgang unter satirischen Gesichtspunkten "schöner als die Eröffnungsfeier". Der Winokurow-Sieg sei "die passendste Ouvertüre für die Sommerspiele". Die Meinung des Weltverbandes zum Sieg eines Unbelehrbaren formulierte UCI-Sprecher Enrico Carpani: "Er hat bezahlt für das, was er getan hat. Jeder verdient eine zweite Chance." Verbands-Chef Pat McQuaid sagte: "Wir sollten uns darauf konzentrieren, dass er gewonnen hat und seine Sache gutgemacht hat." Ohne die Absetzung der "Osaka-Regel", nach der Dopingsünder für die folgenden Spiele gesperrt waren, wäre Winokurow in London allerdings gar nicht starberechtigt gewesen - genau wie David Millar oder Alejandro Valverde.

"Das Kapitel liegt hinter mir"

Winokurow hofft, mit seinem Überraschungscoup seine zweijährige Dopingsperre wegen Fremdblutdopings und auch die bisher folgenlos gebliebenen Bestechungsvorwürfe zu Rennausgängen von 2003 (Paris-Nizza) und 2010 (Lüttich-Bastogne-Lüttich) abgeschüttelt zu haben. Er steht mit dieser Hoffnung ziemlich allein da. "Auch so kann man eine Karriere beenden", bemerkte Greipel mit einem Seitenblick auf Winokurow, der Gold vor dem Kolumbianer Rigoberto Uran und dem Norweger Alexander Kristoff holte. Der gebürtige Rostocker hatte sich auf die Tempoarbeit der Briten verlassen und damit verzockt. So gehörte er neben dem einheimischen Weltmeister zu den großen Verlierern des denkwürdigen Olympia-Rennens, das von einem Millionenpublikum an den Straßen verfolgt wurde. Greipel sprintete vor der einmaligen Kulisse als Schnellster des Hauptfeldes 40 Sekunden hinter Winokurow als 27. zwei Ränge vor Cavendish ins Ziel vor der Haustür der Queen.

Zum allgegenwärtigen Reizthema hielt sich Winokurow bedeckt. "Das Kapitel liegt hinter mir. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, nach Doping zu fragen", kommentierte Winokurow nach dem Rennen unterkühlt. Bei den Sydney-Spielen 2000 hatte er hinter Jan Ullrich bereits Silber gewonnen. Diesen Erfolg toppte er am ersten Wettkampftag in London und wollte sich dann auch die Freude darüber nicht nehmen lassen. "Es ist ein unglaublicher Triumph am Ende meiner Karriere. Nach der Tour de France war ich sehr müde, aber zu Olympia musste ich einfach gehen", sagte "Wino". Er war - ähnlich wie Lance Armstrong - schon zweimal zurückgetreten und dann wiedergekommen.

Mutmaßlich letzter Karriereauftritt

Den mutmaßlichen Bluttausch mit seinem Teamkollegen Andrej Kaschetschkin, der 2007 wenige Tage nach seinem Kapitän überführt worden war, und damit Doping hat Winokurow nie zugegeben. In der Akte des erfahrenen Ex-Telekom-Stars steht noch mehr Brisantes: Im Vorjahr war er beschuldigt worden, seinen Comeback-Sieg beim Klassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich 2010 gekauft zu haben. Nachweislich waren 100 000 Euro auf das Konto des Zeitplatzierten Alexander Kolobnew geflossen. Absender: Winokurow, der lapidar von einem "Freundschaftsdienst" für den in Finanzproblemen steckenden Kollegen sprach.

Tony Martin erlebte das makabre Finale nach 250 Kilometern unterdessen nur noch als Zuschauer. Der Zeitfahr-Weltmeister, der sich am Mittwoch in seiner Spezialdisziplin nach der Verletzung des Peking-Siegers Fabian Cancellara vielleicht etwas mehr ausrechnet, wollte sich etwas schonen. Allerdings machte ihm seine linke Hand, die er sich beim Tour-Sturz vor vier Wochen gebrochen hatte, weiter zu schaffen: "Ich hatte Schmerzen, wahrscheinlich wegen der vielen Schlaglöcher. Es war im Hinblick auf Mittwoch besser, auszusteigen." Dann gibt es auch ein Wiedersehen mit Winokurow, der zu seinem mutmaßlich letzten Karriereauftritt rüstet. Allerdings wolle er sich dabei nur "ein wenig die Beine ausschütteln", stellte der Kasache mit einem Schmunzeln fest.

Quelle: ntv.de, Andreas Zellmer und Ulrike John, dpa

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen