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Sogar Macron kommt ins SchwärmenDie Geschichte hinter dem besten Spiel des Jahres ist absolut verrückt

15.12.2025, 17:22 Uhr WhatsApp-Image-2025-01-14-at-07-23-43Von Tobias Hauser
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Expedition ins Ungewisse für Gustave, Lune, Sciel und Maelle in "Clair Obscur: Expedition 33". (Foto: Sandfall/Kepler Interactive/dpa-)

Bei den prestigeträchtigen Game Awards räumt "Clair Obscur: Expedition 33" alles ab. Es ist eine beinahe unglaubliche Underdog-Story, die zeigt, was kleine Entwicklerstudios den Giganten der Szene voraus haben.

Vor rund sechs Jahren hatte Guillaume Broche eine Idee. Der Spielentwickler arbeitete damals noch für Ubisoft, eines der größten Studios der Welt. Gelangweilt von seinem Job als "Narrative Director" für das Handyspiel "Might and Magic" kündigte er, um gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Kollegen sein Herzensprojekt umzusetzen. Was folgte, ist eine der verrückteren Entwicklungsgeschichten der Videospielgeschichte. Geendet hat sie mit Millionen an begeisterten Spielern, einem Lob von Emmanuel Macron und neun Auszeichnungen bei den Game Awards - begonnen hat sie in einem obskuren Videospiel-Forum.

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Ganz leicht französisch angehaucht ist "Clair Obscure: Expedition 33" schon. (Foto: Sandfall Interactive)

"Clair Obscur: Expedition 33" handelt von der namensgebenden Expedition 33, einer Gruppe von Freiwilligen, die sich auf den Weg macht, um eine mysteriöse Malerin zu vernichten. Die löscht jedes Jahr alle Menschen eines Jahrgangs aus - im Jahr, in dem das Spiel stattfindet, sind es alle 33-Jährigen. Die meisterhaft erzählte Geschichte im Belle-Époque-inspirierten Fantasy-Frankreich "Lumière" lebt vom Kontrast aus Licht und Schatten. Ästhetisch wie inhaltlich: Die düstere Melancholie, die die Welt von "Clair Obscur" prägt, steht im Kontrast zu den verschrobenen und herzerwärmend liebenswürdigen Kreaturen, die sie bevölkern. Kämpfe im Spiel sind inspiriert von rundenbasierten japanischen Rollenspielen und die Story ist genauso komplex wie seltsam.

Man könnte Broches Vision also guten Gewissens ein "gewagtes Projekt" nennen. Man könnte es auch "einen überambitionierten Traum ohne wirklichen Aussicht auf Erfolg in der übersättigten Videospielbranche voll riesiger Studios mit enormen Budgets" nennen. Doch "Clair Obscur" funktionierte allen Zweifeln zum Trotz, und das auch, weil Broche und sein Team Vision und Leidenschaft den Vorrang vor Erfahrung und Geld gaben.

Den Komponisten des vielfach ausgezeichneten Soundtracks, Lorien Testard, fand Broche beispielsweise in einem kleinen französischen Indiegame-Forum. Der Gitarren-Lehrer ohne berufliche Vorerfahrung im Videospiel-Bereich komponierte in seiner Freizeit Musik und lud die auf Soundcloud hoch. Eines Abends postete er einen Link in ein kleines Forum, das es inzwischen nicht mehr gibt. Zufälligerweise landete auch Broche an demselben Abend das erste Mal in diesem Forum und hörte sich Testards Werke an. Was er hörte, gefiel ihm, also holte er ihn ins Team.

Dann ist da noch Jennifer Svedberg-Yen, die leitende Autorin. Broche fand sie auf der Onlineplattform reddit, weil er nach Synchronsprechern für die erste Version seines Spiels suchte. Schnell wechselte Svedberg-Yen, die zuvor noch nie ein einziges Wort ihrer Arbeit veröffentlicht hatte, in das Autorenteam - und verantwortete damit eine der besten Videospiel-Geschichten der jüngeren Vergangenheit.

Den "Art Director", Nicholas Maxson-Francombe, fand Broche beim Browsen auf der Website ArtStation, wo ihm dessen Portfolio gefiel. "Ich nenne das den Guillaume-Effekt", sagte Svedberg-Yen der BBC mit Verweis auf Guillaume Broche. "Er hat ein Händchen dafür, wirklich coole Leute zu finden."

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Die Entwickler Tom Guillermin, Guillaume Broche, Francois Meurisso and Nicholas Maxson Francobme (links nach rechts) bei den Game Awards 2025. (Foto: picture alliance / Sipa USA)

Die allermeisten der nur rund 30 fest angestellten Mitarbeiter bei Sandfall passen in dieses Bild. Der Großteil kommt frisch von der Uni oder steht noch am Karriere-Anfang. Es ist die Underdog-Story eines scheinbar zufällig zusammengewürfelten Teams. Was sie vereint, ist ihre Begeisterung "Wir alle beschäftigen uns intensiv mit unseren Fachgebieten", sagt Svedberg-Yen dem "Guardian". "Wenn man Nicolas über Kunst oder Lorien über Musik sprechen hört, dann ist das einfach etwas, das unsere Gedanken und unseren Alltag erfüllt."

Broches Spiel zeichnet sich daneben vor allem durch seine klare Vision aus. Ein Spiel wie "Clair Obscur" wird nie jedem gefallen, es wagt viel zu viel. Zu seltsam und verschachtelt ist die Geschichte und zu eigenwillig die Welt. Doch das ist auch seine Stärke. "Es ist eine Besonderheit", sagt Svedberg-Yens. "Ich glaube, dass die Vision verwässert wird, wenn man versucht, zu viele Menschen anzusprechen." Am Ende erreichte das Spiel dennoch ein größeres Publikum als vermutlich jeder aus dem Team erwartet hätte. Selbst der französische Präsident Emmanuel Macron nannte "Clair Obscur" ein "leuchtendes Beispiel für französische Kühnheit".

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Die rundenbasierten Kämpfe leben von ihrer Inszenierung. (Foto: Sandfall Interactive)

Interessant ist der Erfolg von "Clair Obscur: Expedition 33" besonders, wenn man den Vergleich zu Broches vorherigem Arbeitgeber zieht: Ubisoft. Dort sah Broche nie eine Chance, seine Vision zu verwirklichen. "Es braucht sehr lange, damit man überhaupt in der Position ist, solch ein Videospiel zu pitchen", erklärte er in einem Interview mit einem französischen Youtuber, und meint damit: Um bei einem großen Entwickler eine eigene Idee verwirklichen können, muss man mühsam die Karriereleiter erklimmen und sich beweisen. 25 Jahre hätte er gebraucht, bis er seine Vision bei Ubisoft hätte umsetzen können, schätzt Broche.

Stattdessen entwickelte er das Spiel auf die "richtige" Weise, wie er sagt: "Ich denke, wenn wir erfolgreich waren, dann auch, weil wir die Dinge richtig gemacht haben. Wir haben wirklich schöne Büros mit einem großen Garten - wir spielen jeden Mittag Pétanque, was sogar im Spiel vorkommt. Um ein Spiel zu entwickeln, das Leidenschaft vermittelt, brauchten wir wirklich diese Atmosphäre einer Gruppe von Freunden, die gemeinsam etwas schaffen", sagte Broche laut Onlinemedium "mp1st". "Das ist etwas, was man wirklich nur in einem Indie-Studio machen kann."

Es muss große Firmen auch zum Aufhorchen bringen. Dass ein kleines Team mit begrenztem Budget dank moderner Möglichkeiten tatsächlich ein Spiel wie "Clair Obscur: Expedition 33" erschaffen kann, ist der Beweis, dass Risiken sich lohnen. Dass es sich auszahlt, auf kreative Stimmen zu hören und auch Wege zu gehen, die nicht den sicheren Erfolg versprechen. Klar, auch das neue "Assassin's Creed" verdient es, entwickelt zu werden. Doch an der Reihe arbeiteten Stand 2023 alleine beinahe 3000 Menschen. Vielleicht hat einer von ihnen ja die Idee für das Spiel des Jahres 2031 und bräuchte dafür nur Vertrauen und ein 30-köpfiges Team, das diese Begeisterung teilt. Wäre doch schade, wenn das unterginge.

Quelle: ntv.de

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