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Geschichte voller Fallstricke "Rise of the Ronin" ist ein erzählerisches Meisterwerk

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In "Rise of the Ronin" wird viel getötet.

In "Rise of the Ronin" wird viel getötet.

(Foto: Screenshot/Team Ninja)

Team Ninja ist eigentlich bekannt für schwere Actionkost mit vielen Fabelwesen. Für "Rise of the Ronin" wählt das Studio jedoch ein realistischeres Setting, eines, das sich vor allem durch politische Spaltung auszeichnet. Eine sehr gute Entscheidung, wie sich im Test zeigt.

Videospielwelten sind meist einfach. Helden treffen Schurken, Helden bezwingen Schurken, Helden reiten gen Sonnenuntergang. Graustufen gibt es nur selten, die Rollenverteilung ist klar, für Nuancen kein Platz. Auch komplexeste Handlungen lassen sich in der Regel aufs "Schwarz gegen Weiß"-Narrativ runterbrechen, zumindest im Actiongenre. Irrungen und Wirrungen verkommen dort zu Füllmasse. Doch es gibt Ausbrecher, Spiele mit innovativen Ansätzen. Manche sind dabei zu verkopft, andere sehr gelungen. "Rise of the Ronin" gehört zu Letzteren. Es ist in vielerlei Hinsicht lehrreich, ohne dabei zu langweilen, was besonders am herausragenden Setting liegt.

Das japanische Studio Team Ninja wählt in "Rise of the Ronin" ein Japan Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Inselstaat ist ein nahezu unberührtes Idyll, eine Ghibli-Märchenlandschaft, nur ohne Fantasiewesen. Handwerker prügeln vor ihren Hütten fleißig Stahlrohlinge in Form, Bürger benebeln sich mit Sake in Kirschblütenrosa gefärbten Freudenvierteln, Samurai preschen über weite Felder, es ist herrlich. Dennoch gibt es in der wunderschönen Welt ein Problem: Es fehlt an Fortschritt.

Ein akkurater Anfang

Während die voranschreitende Industrialisierung den Westen in neue technologische Sphären treibt, hängt der Inselstaat fest. Muskelkraft statt Dampfmaschinen, Holzhütten statt Steinbauten, Schwerter statt Gewehre. Beinharter Protektionismus hat einen sumpfigen Boden bereitet, in dem die Bevölkerung versinkt. Um nicht den Anschluss zu verlieren, will das Shogunat Japan öffnen und mit den Vereinigten Staaten paktieren. Nationalisten sind davon wenig begeistert. Sie ziehen mit Klingen und Bögen los, um den Shogun zu stürzen und Traditionen zu erhalten - ein Kampf für den Status quo.

Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit.

Landschaften wie aus einem Märchenbuch.

Landschaften wie aus einem Märchenbuch.

(Foto: Screenshot/Team Ninja)

Nicht nur Fortschrittsglaube treibt den Shogun zu einem Bündnis mit westlichen Mächten. US-amerikanische Kriegsschiffe lauern vor der Bucht Japans wie Raubtiere. Schlägt der japanische Herrscher ein Bündnis aus, schlagen die Bestien ihre Klauen in die Insel. Nationalisten fürchten also eine Kulturrevolution, ein Leben in Knechtschaft unter westlicher Knute, der Shogun wiederum die Zerstörung seines Reichs. Beide setzen auf viel Gewalt, um ihre Standpunkte durchzusetzen. Und in diesem brodelnden Dampfkessel findet sich der Protagonist (wahlweise auch die Protagonistin) wieder.

Es ist ein schwerer, dafür historisch halbwegs akkurater Anfang. Schiffe, US-Japan-Pakt und Proteste gab es wirklich. Wer sich damit nie beschäftigt hat, dürfte in den ersten Stunden allerdings überfordert sein. Doch das gilt ebenso für die Hauptfigur. Zunächst ist sie völlig unpolitisch, blind für die Vorgänge im Land. Zwar hat sie eine eigene Motivation, sie sucht nach einem Familienmitglied, doch die ist nur Initialzünder der eigentlichen Handlung. Schnell gerät man in ein Netz aus Fraktionsstreitigkeiten und Intrigen. Und das ist weitverzweigt.

Seitensprünge über Seitensprünge

Beide Fraktionen, ob nun blutige Nationalisten oder nicht minder blutige Patrioten, haben unzählige Anhänger. Im Spielverlauf erläutern sie ihre Motive, etwa über Nebenmissionen, und schließen mitunter sogar Freundschaften mit der Hauptfigur. Der steht wiederum frei, welcher Gruppe sie sich darauf anschließen möchte. Keine schlechte Idee, politische Perspektiven über ein Sozialsystem aufzuschlüsseln, zumal Team Ninja so die "Gut/Böse"-Falle umgeht. Nur gibt es leider viel zu viele Bekanntschaften.

Mit jeder Mission kommen neue hinzu, manchmal bis zu drei. Das Freundschaftsbuch wächst, wird immer dicker, doch nach Stunden ist bereits vergessen, wer die ersten Seiten ziert - hat was von einem LinkedIn-Profil, nur mit deutlich düstereren Texten. Dass "Rise of the Ronin" von vielen Wendehälsen bevölkert ist, macht das Ganze noch unübersichtlicher. Viele Bekanntschaften wechseln die Fraktionen, sind morgens Agitatoren, mittags Vasallen und abends, naja, in der Regel tot - oder wieder Agitatoren. Politische Akteure werden in "Rise of the Ronin" offensichtlich nicht nur durch Ideale getrieben, sondern oft auch durch Opportunismus.

Kämpfe wie aus einem Old-School-Smauraifilm.

Kämpfe wie aus einem Old-School-Smauraifilm.

(Foto: Screenshot/Team Ninja)

Dass sich unter den unzähligen Bekanntschaften keine Vertreter des "gewöhnlichen" Volkes finden, sondern nur Fürsten, Samurai und was die japanische Bourgeoisie noch zu bieten hat, ist allerdings schade. Wie es auch ausgeht, die Bevölkerung selbst hat kein Mitspracherecht. Im feudalen Japan herrscht ein Kastensystem. Gibt es eine Revolution, geht diese nur von den Bürgerlichen aus, nicht von Handwerkern, Bauern, Fischern. Bisschen mehr Einblick in die Stimmung anderer sozialer Schichten hätte dem Spiel gutgetan.

Immerhin schlagen sich vor ihren Türen wutgetriebene Samurai die Schwerter um die Ohren. Denn in "Rise of the Ronin" gibt es nur Schlachtfelder, keine Podien. Für die Bürger ist das mit Sicherheit anstrengend, für die Spieler aber ein großer Spaß. Das liegt am großartigen Kampfsystem.

Kämpfe erfordern Geschick

Während sich Unbeteiligte in den Häusern verkriechen, fegen Spieler wahlweise mit Katana, Speer, Lanze oder Musketen durch ihre Siedlungen. Für jeden Waffentypen gibt es zudem mehrere Kampfstile, die nach Schere-Stein-Papier-Prinzip aufeinander wirken. Spieler können die Haltung fix wechseln, um sich gegenüber Kontrahenten einen Vorteil zu verschaffen - der reicht aber nicht. Kämpfe werden über ein Parade-System entschieden.

Werden Schläge geblockt, anschließend Gegentreffer gelandet, verfällt der Gegner in Panik, die Deckung bricht, es folgt ein kritischer Treffer. Team Ninja orientiert sich hier an "Sekiro: Shadows Dies Twice". Anleihen von From Software-Titeln sind bei dem Entwickler üblich. Für "Nioh" diente bereits die "Dark Souls"-Reihe als Vorbild. Trotzdem gelingt es dem Studio mittels kleinerer Kniffe wie den Stilen, die auch in anderen Spielen Werkzeug waren, die Grundsubstanz um ein paar Zutaten zu erweitern. Und wie immer sieht es großartig aus, wenn die Figuren über die Bildschirme tanzen, dabei fleißig Gliedmaßen absäbeln.

Eintauchen ins altertümliche Japan

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Und so gelungen das Kampfsystem auch sein mag, es bleibt ein seltsamer Beigeschmack, wenn sich politische Ansichten nur mittels Todesstoß durchsetzen lassen. Derlei Widersprüche sind im Actiongenre leider normal, wobei es in "Rise of the Ronin" zumindest für einen Moment glaubwürdig ist, wenn manche Figur die Gewalt hinterfragt und anschließend die Seite wechselt. Die Menschen sind mitunter zwiegespalten. Doch das erzeugt nur Wirkung, bis sie den nächsten Widersacher töten.

"Rise of the Ronin" ist trotzdem ein gelungenes Spiel, das sich abseits von gewohnten Pfaden bewegt, das auf Schurken und Helden verzichtet, das so einige moralische Dilemmata bereithält. Das Setting ist noch (halbwegs) unverbraucht. Dass sich Team Ninja auch an "Assassin's Creed" ein Beispiel genommen hat und Kampfeinlagen mit Geschichtsunterricht verknüpft, war eine gute Entscheidung. Vielleicht wird viel getötet, vielleicht auch etwas zu viel; vielleicht hätte es auch gutgetan, mehr von der Bevölkerung zu erfahren, dafür aber weniger Samurai zu treffen; vielleicht hätte die Hauptfigur auch ein wenig mehr Farbe vertragen können - doch abseits der Schwächen ist "Rise of the Ronin" der Beweis, dass für Action-Unterhaltung nicht zwangsläufig "Schwarz/Weiß"-Narrative nötig sind.

Quelle: ntv.de

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